Vom Bahnhof Zoo ins Nirgendwo
Neue Serie über Christiane F. nutzt das Format zur tieferen Figurenzeichnung
- Anti-Drogen- und AntiKriegsfilme teilen oft eine Gemeinsamkeit: Auf manche Zuschauer wirken sie gar nicht so anti. Sie werden eher von den glamourösen oder glorifizierenden Elementen in ihren Bann gezogen als von den oft fatalen Konsequenzen. Das war auch bei „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“der Fall.
Bei der 1978 erschienenen Vorlage – bis heute das erfolgreichste deutsche Sachbuch der Nachkriegszeit – stand noch die Abschreckung im Vordergrund. Bald wurden die von zwei Sternredakteuren ausgewerteten Tonbandprotokolle der jungen Christiane Felscherinow zur Schullektüre, besorgte Eltern drückten das Buch ihren Sprösslingen in die Hand.
Bei der Umsetzung in Kinobilder wirkten dann zwar auch die Entzugsund Elendsszenen drastischer, daneben stand aber der Reiz des Rausches: Bowie sehen, danach Heroin schnupfen, auf den Dächern über Berlin zu „Heroes“tanzen, das waren ikonische Szenen. Christiane-Darstellerin Natja Brunckhorst wurde zum Stammgast in der „Bravo“und aus der westdeutschen Provinz strömte junges Publikum in die eigentlich schon im Abstieg begriffene Disco „Sound“, in der Christianes Drogenclique regelmäßig abhing.
Rund 40 Jahre sind seitdem vergangen, was die Frage aufwirft, an welche Zielgruppe die Neuauflage der Geschichte sich nun richtet. Schließlich ist das Publikum seitdem um einiges abgebrühter geworden und schwerer zu schocken, Drogenkonsum wird regelmäßig in Filmen und Serien dargestellt, der Kinostart der ähnlich einschlagenden Romanverfilmung von „Trainspotting“liegt auch schon 25 Jahre zurück.
Jüngere Zuschauer müssen also zunächst erst einmal neu eingefangen, Anhänger des Originals überzeugt werden. Letztere äußerten sich teils schon im Vorfeld der Veröffentlichung kritisch, die ersten Bilder sähen doch alle zu sehr nach Hochglanzoptik aus, an die Vorlage käme eh nichts heran.
Um die durchaus vorhandenen Kritikpunkte in einem Rutsch abzuräumen: Ja, so schmuddelig wie die Vorlage sieht Berlin hier nicht aus, vor allem das „Sound“wirkt wie ein recht beliebiger Techno-Tempel und nicht wie ein nahezu mystischer Ort des Nachtlebens. Und ja, die Darsteller sind ein gutes Stück älter als ihre Rollen, im Gegensatz zur damals tatsächlich erst 14-jährigen Brunckhorst. Schließlich sollte über die Szenen mit Alexander Scheer als David Bowie besser der Mantel des Schweigens gebreitet werden – beim 1981er Film spielte noch das Original mit.
Das war es dann aber schon fast an Kritikpunkten. Für sich genommen kann die Serie in vielen Punkten überzeugen: einerseits als eigenständige Neuauflage, andererseits als ein umfassenderer Blick auf das Ausgangsmaterial. Denn das Team um Annette Hess („Weissensee“) und Oliver Berben hat sich die OriginalTonbänder noch einmal vorgenommen und die beim Serienformat mit acht Folgen naturgemäß längere Spielzeit genutzt, um weitere Figuren hinzuzufügen oder sich mehr Zeit für bestehende zu nehmen.
Davon profitieren vor allem die Erwachsenenrollen. Neben den komplex gezeichneten Eltern sticht vor allem Bernd Hölscher als Tierhandlungsbesitzer Günther heraus. Er lässt die minderjährigen Mädchen bei sich wohnen, versorgt sie mit Heroin – verlangt im Gegenzug aber Dienstleistungen im Haushalt und sexueller Natur. So monströs diese Handlungen sind, so jovial-unbeholfen ist das Teddybär-Äußere dieser Figur.
Im Mittelpunkt steht aber natürlich weiterhin die Clique um Christiane. Jana McKinnon („The Trouble With Being Born“) verleiht ihrer Rolle zu Beginn eine glaubhafte Einsamkeit. Jede neue Verletzung durch die zerrüttete Ehe der Eltern spiegelt sich in ihren Augen. Über mehrere Folgen knüpft sie Bande zu fünf anderen angeknacksten Seelen und das
Gefühl der Verbundenheit und die Euphorie der ersten Rauscherfahrungen bestimmen das Bild. Doch der Absturz nimmt unweigerlich seinen Lauf und die Sucht macht auch die engsten Freunde zu Egoisten …
Das Berlin, in dem man sich dabei tummelt, ist eine Mischung aus mehreren Jahrzehnten, ebenso die Musik, die dazu läuft. Das wird teils als Anachronismus kritisiert, kann aber auch als Element der Zeitlosigkeit der Geschichte über besonders extreme Formen des Erwachsenenwerdens gesehen werden. Und dass Mobiltelefone noch nicht zu existieren scheinen, ist durchaus handlungsrelevant – man schreibt sich noch Briefe, ständig sucht jemand jemanden im Club, am Bahnhof Zoo oder auf dem „Babystrich“.
Das 25-Millionen-Euro-Budget sieht man der Produktion an, immer wieder verweben sich Traumsequenzen mit dem realen Geschehen. Unter den Aspekten moderner SerienSehgewohnheiten betrachtet kann die Produktion daher überzeugen. Und wer danach oder stattdessen das Original sehen will, hat dazu ebenfalls Gelegenheit – derzeit wird es auch auf Amazon Prime gestreamt.