Schulleiter reagieren auf Brandbrief des Schülervaters
Meinungen sind bei den befragten Schulen der Region unterschiedlich
- Große Aufmerksamkeit hat der Brandbrief eines frustrierten Spaichinger Vaters an Kultusministerin Susanne Eisenmann in der vergangenen Woche bekommen. Die Reaktionen der Leser, aber auch der von uns dazu befragten Schulen der Region reichen von Zustimmung und Verständnis für die aufgeworfenen Fragen bis hin zu grundsätzlichem Widerspruch.
Thematisch ging es Jan Hauser vor allem darum, dass über den Sommer seitens des Ministeriums keine tragfähigen Konzepte erstellt worden seien für Schulbildung unter Coronabedingungen, dass Grundschulkinder mit dem vorgeschlagenen Wechselunterricht trotzdem nur vier Tage im März Schule hätten und mehr. Vor allem aber die Lücken, die in der Bildungs- und Lebensbiografie entstünden vor allem von Kindern, die von zuhause keine Unterstützung bekommen, war Hauser in seinem Brandbrief ein Anliegen. Er warb vor allem auch darum, die Frage der Bildung in Coronazeiten nicht zum Wahlkampfthema zu machen.
Verständlich sei der Frust des Vaters schon, sagt ein Schulleiter, der nicht namentlich genannt werden will. Allerdings sei bei der Forderung, die Schulen wieder ganz zu öffnen der Gesundheitsschutz vernachlässigt. Es gebe auch Eltern die Angst hätten, auch vor der Mutation des Virus. Insgesamt sei das Fernlernen zeitaufwändiger für die Lehrer. Kritik am Ministerium sei gegenüber der Kurzfristigkeit zu üben, mit der die Anweisungen herausgegeben würden. Allgemein fürchtet der Schulleiter, dass es vor allem Abschlussschüler in den Bewerbungsphasen schwer haben werden. Insgesamt würde er sich freuen, wenn es seitens des Ministeriums vorgegeben werden würde, welche Inhalte im Lernstoff weggelassen werden können, um eine Einheitlichkeit zu schaffen.
Hausers Forderung nach durchlaufenden, aber kürzerem Präsenzunterricht – damit die Schüler öfter zur Schule kommen und den Kontakt nicht verlieren – sei auch von Rahmenbedingungen wie Bussen, der Internetversorgung und vor allem der technischen Ausstattung und Unterstützung durch die Eltern abhängig. Er hoffe auf eine schlüssige Teststrategie.
Michael Kasprzak, Schulleiter des Gymnasiums Gosheim-Wehingen sagt, dass auch ihn viele frustrierte Eltern angesprochen hätten, was er verstehe. Präsenzunterricht sei nicht vollständig zu ersetzen. Auf dem Heuberg seien zwei Stunden täglich Präsenzunterricht nicht möglich, weil es keine entsprechenden Busverbindungen für versetzten Unterrichtsbeginn gebe. Was sehr anstrengend sei, sei die fehlende Langzeitperspektive, immer nur auf Sicht zu fahren sei aufreibend für alle Seiten. Auch er hofft auf eine gute Teststrategie, auch um die Lehrkräfte zu schützen. Den Vorschlag Hausers, für Gymnasium G9 wieder einzuführen unterstützt Kasprzak. So könnten versäumte Unterrichtsinhalte in aller Ruhe nachgeholt werden.
Hier befindet er sich auf der gleichen Linie mit seinem Kollegen Jürgen Pach vom Gymnasium Spaichingen und ergänzt, dass er das vor dem flächendeckend eingeführten G8 in Spaichingen über Jahre geübte Modell von parallel G8 und G9 wieder einzuführen unterstütze. Das vermeide, dass es einen ausgefallenen Abijahrgang gebe und komme den Schülern entgegen, die in der Coronaphase kaum Defizite angehäuft hätten.
Die Position des Aldinger Gemeinschaftsschulleiters Bernhard Straile zum Brandbrief Hausers ist gemischt. Es gäbe Bereiche, in denen das Ministerium vor allem zu Anfang besser flankieren hätte können, zum Beispiel die Fragen des Datenschutzes
zum Onlineunterricht zentral zu managen, eine funktionierende Plattform zur Verfügung zu stellen und ähnliches. Ansonsten setze eine Verwaltung Eckpunkte. Die Umsetzung aber brauche Flexibilität, so Straile. Die Grundlinie der Pandemiebekämpfung sei: die Zahl der Menschen, die aufeinander treffen können, zu reduzieren. Ein kleines Kind etwa habe Probleme, fünf Stunden am Stück zu lernen, um Wechselunterricht zu erreichen. Das heiße: Die pädagogische Gestaltung ist die Aufgabe des Schulleiters. „In einer Amtsstube kann man kein pädagogisches Konzept erstellen.“Auch könne ein Ministerium nicht alle Umstände wie die Busverbindung oder die Größe des Schulhofs mit berücksichtigen. Er findet generell die Vorgabe „mindestens zehn Stunden pro Kind“gut, das gebe den Rahmen, die Ausgestaltung sei aber sehr unterschiedlich. „Eine erste Klasse braucht eine sehr starke Bindung an die Person“, deshalb melden sich die Lehrer bei jedem Kind regelmäßig. Ob das funktioniere, liege auch an den Familien: „Manchmal sind die Kinder einfach nicht da.“
Individuell sei auch, wie man in Aldingen eine besondere räumliche Situation habe: die Klassen 1 und 2 seien in Aixheim, 3 und 4 in Aldingen; das bedeutet: Alle könnten gleichzeitig unterrichtet werden.
Die Denkinger Schulleiterin Christina Herrmann sagt: „Genau das, was Herr Hauser fordert, nämlich jeden Tag Unterricht, setzten wir um.“Dank der Tatsache, dass in der Denkinger Grundschule keine Buskinder seien, sei es möglich, in einer Woche die Klassen 1 und 3 (zehn Stunden) und in der zweiten Woche die Klassen 2 und 4 (zwölf Stunden) mit halbierten Klassen zu unterrichten, dazwischen Lüft- und Desinfektionspause. Und in der nicht Präsenzwoche Homeschooling. Mehr ginge nicht im Rahmen der geltenden Lehrerdeputate. Ihr sei bewusst, dass zwei Stunden Schule pro Tag – was für kleine Kinder gut sei, weil sie fünf Stunden lang sowieso nicht aufnahmefähig seien – nicht arbeitnehmerfreundlich sei. „Aber ich bin ja auch für die Kinder da.“
Zur Zeit der Schließung hätten alle Kinder alle Materialien ins Haus geliefert bekommen, die Arbeitszeit der Lehrer habe sich mehr aufs Wochenende verlagert, die Arbeiten werden am Freitag zurück gebracht und am Wochenende korrigiert. Dazu die Vorbereitungen am Wochenende. „Das hat gut funktioniert“, so Herrmann. Auch an ihrer Schule hatten die Lehrer mindestens ein Mal pro Woche persönlichen Kontakt, fast überall mit Videokonferenzen. Manche Lehrer bereiteten stundenlang Lehrfilme selber vor. Das Engagement sei enorm. Ein Teil der Kinder wurde in die Notbetreuung geholt, aber leider seien manche auch nicht wirklich erreicht worden. Folge: „Wir werden intensive Gespräche führen, damit die Kinder freiwillig wiederholen.“Die allermeisten Kinder hätten gute Unterstützung, bei manchen führe die Situation aber auch zu Stress und Streit. „Das verstehe ich, Kinder können sich auch querstellen und bockig sein.“Zwei Mal pro Woche gab es Videokonferenzen, an denen die Eltern teilnehmen könnten, weil sie um 18 Uhr seien. Da wurden Fragen und auch Erklärungen zu den Aufgaben geklärt. Und: „Ich ziehe den Hut vor den Eltern.“
Das anfängliche Defizit, Veränderungen erst in der Zeitung zu lesen, um dann zwei oder drei Tage später erst die Post vom Ministerium zu bekommen, habe sich inzwischen deutlich verbessert.
Der Rektor der Schillerschule Spaichingen, Michael Maurer, stellt sich klar vor das Ministerium. Dass es in einer Situation wie dieser zu Fehlern kommen kann, sei normal. Im Übrigen sei der zum Teil sehr anspruchsvolle Onlineunterricht durchaus ein völlig neues pädagogisches Konzept. Die Priorität der
Schulen sei Planungssicherheit – das habe sich seit Beginn der Pandemie verbessert. Dann die Sicherheit für Schüler und Lehrer – an der Schillerschule trügen alle Masken – , das nötige Equipment, technische Probleme seien inzwischen einigermaßen im Griff. Und schließlich bräuchte die Schule mehr Eingriffsmöglichkeiten, zum Teil auch gegen die Eltern, wenn die Schüler zu entgleiten drohten. Maurer macht sich nicht so sehr Sorgen um die kleinen Kinder – die Lehrer seien rund um die Uhr für die Schüler erreichbar, hätten teils bis zu 100 Schüler- und Elternkontakte am Tag; weit mehr als 40 Schüler seien in der Notbetreuung. An dem von Hauser angemahnten Freitag hoffe er, dass die Lehrer ihr Engagement auf einen halben Tag beschränken könnten, denn mit allen Vor- und Nachbereitungen, Besprechungen und mehr hätten sie da problemlos eine 50-Stunden-Woche hinter sich.
Ihm machen die Schüler der Klassen 8 und 9 Sorgen, pubertierende Jugendliche, die rebellierten, Computer zockten, auf die die Eltern keinen Einfluss hätten. Und genau diese dürften nicht in die Notbetreuung geholt werden. Er befürchtet einen sprunghaften Anstieg der nicht geschafften Hauptschulabschlüsse.
Aber er sehe nicht, dass das Ministerium die Verantwortung für angebliche Missstände auf die Schulleiter abwälze. “Nach gewissen Anlaufschwierigkeiten habe ich mich durch das Ministerium ganz gut versorgt gefühlt.“