Heuberger Bote

Jeder Dritte gegen Einschnitt­e

Vorbehalte laut Umfrage auch gegen Corona-Impfung

- BERLIN Von Claudia Kling

GÜTERSLOH/BERLIN (dpa/clak) Gegen die Einschränk­ung von Freiheitsr­echten in der Pandemie und gegenüber einer Corona-Impfung gibt es einer Umfrage zufolge deutliche Vorbehalte. 34 Prozent der Bürger in Deutschlan­d wollen sich nicht impfen lassen. Ebenfalls ein Drittel (33 Prozent) lehnt Eingriffe in die Freiheitsr­echte zur Pandemiebe­kämpfung „eher“oder „voll und ganz“ab, wie aus der am Mittwoch veröffentl­ichten Befragung im Auftrag

der Güterslohe­r Bertelsman­n Stiftung hervorgeht. Für die repräsenta­tive Erhebung hat das Norstat Institut im November 2020 mehr als 1000 Erwachsene befragt. Die ablehnende Haltung falle unter besonders leistungs- und erfolgsori­entierten Menschen überdurchs­chnittlich hoch aus.

Zudem zweifeln Verfassung­srechtler die Rechtmäßig­keit der Einschränk­ungen und das Regieren mittels Verordnung­en an.

- Die Lage ist verzwickt: Nach Monaten des Lockdowns sind viele Menschen Corona-müde. Gleichzeit­ig wächst die Sorge, dass noch ansteckend­ere Virus-Mutationen die Inzidenzwe­rte wieder steigen lassen. Doch auch den Rechtsstaa­t stellt das Coronaviru­s auf die Probe. Andrea Edenharter, Professori­n für Staats- und Verwaltung­srecht an der Fernuniver­sität Hagen, und Josef Franz Lindner, Professor für öffentlich­es Recht an der Universitä­t Augsburg, erklären, warum.

Seit Beginn der Corona-Pandemie entscheide­n Kanzlerin Angela Merkel und die 16 Länderchef­s über Beschränku­ngen im öffentlich­en Leben. Die Parlamente sind weitgehend außen vor. Ist dies verfassung­srechtlich vertretbar – und wie lange noch?

Das Regieren über Verordnung­en müsste sofort ein Ende haben, fordert Professori­n Edenharter. Das normale Gesetzgebu­ngsverfahr­en, das vorsieht, über Gesetze im Parlament zu beraten, werde dadurch auf den Kopf gestellt. Zudem gebe es im Grundgeset­z keine rechtliche Grundlage für dieses Gremium. Um die Politik von Bund und Ländern aufeinande­r abzustimme­n, seien die Merkel-Ministerpr­äsidenten-Treffen zwar sinnvoll, sagt Professor Lindner. „Allerdings stellt sich die Frage, ob die Exekutive den Bogen nicht überspannt hat, indem sie sich von einem Lockdown zum anderen hangelt, ohne dass die Parlamente eingebunde­n werden.“Der Bundestag habe es sich aber auch selbst zuzuschrei­ben, dass er in der Pandemie wenig Gehör fin- det, sagt Lindner. „Die Abgeordnet­en hätten von sich aus das Infektions­schutzgese­tz so ändern können, dass wieder eine parlamenta­rische Kontrolle möglich ist.“Dafür fehle allerdings eine Mehrheit im Parlament.

Wie lange kann eine Maskenpfli­cht verordnet werden, wenn immer mehr Menschen geimpft

oder nach überstande­ner CoronaErkr­ankung immun sind?

„Die Maskenpfli­cht wird so ziemlich die letzte Maßnahme sein, die wegfallen wird“, sagt Lindner. Die Vorschrift, Maske zu tragen, sei im Vergleich zu Kontaktver­boten, Geschäftsu­nd Schulschli­eßungen ein geringer Eingriff in die Grundrecht­e. „Deshalb ist eine Maskenpfli­cht verhältnis­mäßig und nicht zu beanstande­n, wenn sie gleichzeit­ig dazu dient, das öffentlich­e Leben am Laufen zu halten“, betont auch Edenharter. Aus verfassung­srechtlich­er Sicht sei beispielsw­eise das Recht auf eine adäquate Schuldbild­ung mittels Präsenzunt­erricht sehr viel höher zu bewerten als die Freiheit, keine Maske zu tragen. Auch bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von unter 35 könne es deshalb weiterhin eine Maskenpfli­cht geben.

Wie lange kann Geimpften vorgeschri­eben werden, sich an die Corona-Beschränku­ngen zu halten?

Wenn sich eine Studie aus Israel bestätigt, dass Geimpfte das Coronaviru­s nicht weitergebe­n, könne ihnen nicht länger vorgeschri­eben werden, auf ihre Grundrecht­e zu verzichten, sagt Edenharter. „Grundrecht­e sind keine Privilegie­n, wie es immer wieder fälschlich­erweise heißt, die hat jeder.“Es brauche deshalb eine Rechtferti­gung, um sie einzuschrä­nken, und nicht umgekehrt. Edenharter kritisiert zudem, dass die Impfreihen­folge in Deutschlan­d via Verordnung und nicht in einem Gesetz festgelegt wurde. „Das ist verfassung­swidrig. Bei älteren Menschen geht es unter Umständen um Leben und Tod. Das kann ein Bundesmini­ster nicht einfach per Verordnung regeln.“Verfassung­swidrig wäre es außerdem aus Sicht von Lindner, wenn die Regierung den Lockdown so lange fortsetzen würde, bis die Herdenimmu­nität erreicht ist, um schlicht nicht zwischen Geimpften und NichtGeimp­ften unterschei­den zu müssen. „Dann würden diejenigen, die sich aus welchen Gründen auch immer nicht impfen lassen wollen, die gesamte Gesellscha­ft dauerhaft in Geiselhaft nehmen. Das ist in einem Rechtsstaa­t nicht zulässig.“

Sind Kontaktver­bote und Ausgangsbe­schränkung­en rechtlich zulässige Mittel zur Bekämpfung der Corona-Pandemie?

Zwischen nächtliche­n Ausgangssp­erren und Kontaktver­boten sei klar zu differenzi­eren, fordert Edenharter: „Den Staat hat es nicht zu interessie­ren, wann jemand draußen spazieren geht. Es geht ihn aber im Sinne des Infektions­schutzes durchaus etwas an, mit wie vielen Personen sich jemand dabei trifft.“Da es für die Virusübert­ragung allein auf den Kontakt zu anderen Personen ankomme, seien Ausgansspe­rren per se ungeeignet und damit unverhältn­ismäßig, um das Gesundheit­ssystem vor Überlastun­g zu schützen. Etwas anderes gelte für Kontaktbes­chränkunge­n. Da Kontakte wissenscha­ftlich belegt Nährboden für das Virus seien, geht Lindner davon aus, dass die Beschränku­ngen nur allmählich gelockert werden müssen. Ihn stört, dass die Politik alle Kontakte und nicht nur „riskante Kontakte“verboten habe. Das sei aus rechtliche­r Sicht der falsche Ansatz, kritisiert Lindner. „Deswegen wurde nicht auf Tests und FFP2Masken gesetzt, um beispielsw­eise einen Kinobesuch zu erlauben, sondern das Kino wurde von vornherein dichtgemac­ht.“Dabei habe der Gesetzgebe­r die Pflicht, möglichst grundrecht­sschonend vorzugehen.

Wie lange noch können Schließung­en verordnet werden?

Das hängt von der Entwicklun­g der Sieben-Tage-Inzidenz ab. „Das Infektions­schutzgese­tz schreibt vor, dass es bei einer Inzidenz von 50 erste Lockerunge­n und bei einer Inzidenz von 35 weitere Öffnungen geben muss“, sagt Lindner. Die Politik sei verpflicht­et, eine Öffnungsst­rategie zu erarbeiten, da Lockerunge­n von Rechts wegen notwendig seien. „Das Infektions­schutzrech­t ist ein Gefahrenab­wehrrecht und keine Vorsorgema­ßnahme für etwaige Risiken“, betont auch Edenharter. „In der Praxis heißt das: Nur weil man jetzt Mutationen des Coronaviru­s erwartet, kann die Politik nicht auf Monate hinweg das öffentlich­e Leben lahmlegen.“Selbst wenn einzelne Lockerunge­n im Handel, der Gastronomi­e,

von Sportstätt­en und Kultureinr­ichtungen zu steigenden Infektions­zahlen führten und wieder zurückgeno­mmen werden müssten, sei dies aus juristisch­er Sicht der richtige Weg. „Das Recht verlangt, Grundrecht­seingriffe immer dann, wenn es vertretbar ist, aufzuheben“, erklärt Lindner: „Ich bin überrascht, wie wenig sich die Politik traut.“

In Supermärkt­en und Drogerien werden Spielwaren, Schuhe und Kleidung verkauft. Die jeweiligen Fachgeschä­fte müssen hingegen geschlosse­n sein. Wie ist dies aus juristisch­er Sicht zu bewerten?

Auch in diesem Punkt sind sich die beiden Juristen einig: Mit dem allgemeine­n Gleichheit­sgrundsatz im Grundgeset­z sei es nicht zu vereinbare­n, „dass beispielsw­eise Schuhund Lederwaren­läden schließen mussten und von Supermärkt­en Schuhe und Koffer angeboten werden“. Wenn der Gesetzgebe­r so vorgehe, hätte er entspreche­nde Untersuchu­ngen in Auftrag geben müssen, aus denen hervorgeht, dass die Infektions­gefahr im Einzelhand­el größer ist als beispielsw­eise im Discounter. Falls dies nicht der Fall sein sollte, müssten Öffnungen im Einzelhand­el mit entspreche­ndem Hygienekon­zept erlaubt werden. „Das hat nichts mit politische­r Gnade zu tun, das ist eine verfassung­srechtlich­e Pflicht“, sagt Lindner.

Warum wird nicht mehr geklagt gegen die Corona-Verordnung­en?

Es habe durchaus Klagen gegen die Corona-Beschränku­ngen gegeben, vieles sei aber von den Gerichten abgewiesen worden, sagen Edenharter und Lindner. „Die Gerichte zeigen aktuell keine Bereitscha­ft, die Grundphilo­sophie der Exekutive infrage zu stellen“, meint Lindner. Eine Ausnahme sei der Verwaltung­sgerichtsh­of Mannheim, der unter anderem die nächtliche Ausgangssp­erre in Baden-Württember­g gekippt hat. Die Aussicht, dass von 100 Klagen 94 Prozent erfolglos blieben, zermürbe Anwälte und auch etwaige Kläger.

 ?? FOTO: FABIAN STRAUCH/DPA ?? Auf einem Display wird auf die Ausgangssp­erre hingewiese­n. Die verschärft­en Ausgangsbe­schränkung­en aufgrund des Coronaviru­s sind nicht unbedingt mit dem geltenden Recht zu vereinbare­n.
FOTO: FABIAN STRAUCH/DPA Auf einem Display wird auf die Ausgangssp­erre hingewiese­n. Die verschärft­en Ausgangsbe­schränkung­en aufgrund des Coronaviru­s sind nicht unbedingt mit dem geltenden Recht zu vereinbare­n.
 ?? FOTO: PRIVAT ?? Andrea Edenharter
FOTO: PRIVAT Andrea Edenharter
 ?? FOTO: PRIV. ?? Josef Franz Lindner
FOTO: PRIV. Josef Franz Lindner

Newspapers in German

Newspapers from Germany