Wirbel um Gesundheitsminister Spahn
CDU-Politiker warnt vor Leichtfertigkeit und sieht sich selbst Vorwürfen ausgesetzt
(dpa/AFP) Trotz langer Wochen im Lockdown und Fortschritten beim Impfen hat Gesundheitsminister Jens Spahn vor vorschnellen Lockerungen der staatlichen Corona-Beschränkungen gewarnt. „Ich empfehle uns allen größtmögliche Umsicht und Vorsicht“, sagte der CDU-Politiker am Freitag in Berlin. Der angestrebte Wert von maximal 35 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohnern binnen sieben Tagen sei vielerorts nicht erreicht – und für viele Länder derzeit auch nicht erreichbar. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte immer wieder betont, trotz der neuen Selbsttests, die bald überall in den Handel kommen sollen, könne man weder auf Infektionszahlen als Maßstab verzichten noch sofort öffnen.
Derweil sieht sich Gesundheitsminister Spahn selbst dem Vorwurf ausgesetzt, vergangenen Herbst – einen Tag vor seinem positiven Corona-Test im Oktober – an einem Abendessen mit etwa einem Dutzend Unternehmer in Leipzig teilgenommen zu haben. Das Treffen habe in einer Privatwohnung eines Bekannten Spahns stattgefunden, berichtet der „Spiegel“. Mehrere Gäste sollen laut einem Teilnehmer im Zuge des Abendessens an die CDU gespendet haben. Alle hätten Abstand gehalten und Maske getragen, bis sie auf ihren Plätzen gesessen hätten.
Spahns Büro bestätigte den Termin. Es habe sich um ein „privates, nicht öffentliches Abendessen“gehandelt. Die damals gültigen Regeln zum Corona-Schutz seien „nach Bestätigung des Gastgebers eingehalten“worden. Die Gäste des Abends seien nach dem positiven Test über Spahns Infektion informiert worden.
Zu etwaigen Spenden äußerte sich Spahns Büro nicht.
Der Gesundheitsminister war am 21. Oktober positiv auf das Coronavirus getestet worden. Zu diesem Zeitpunkt stiegen die Fallzahlen deutlich an. Spahn selbst habe, so der „Spiegel“, am Tag dieses Abendessens morgens im ZDF gesagt: „Wir wissen vor allem, wo es die Hauptansteckungspunkte gibt. Nämlich beim Feiern, beim Geselligsein, zu Hause privat oder eben in der Veranstaltung, auf der Party im Club.“
In der aktuellen Öffnungsdebatte riet Spahn erneut zur Vorsicht. Mit Blick auf die Bund-Länder-Beratungen am kommenden Mittwoch sagte der Minister, „Vorsicht, Impfen, Testen“seien wichtig auf diesem Weg. Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder warnte vor „unüberlegten Experimenten“ und „Öffnungshektik“. Die weitere Corona-Strategie von Bund und Ländern müsse auch einen Sicherheitspuffer für die ansteckenderen Virusvarianten beinhalten, sagte Söder.
Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) stellte derweil in Aussicht, dass um Ostern herum eine Öffnung der Außengastronomie möglich sein könnte. Voraussetzung sei die Einhaltung von Hygienevorschriften. Die Verfügbarkeit von Schnelltests könne eine Öffnung der Außengastronomie noch sicherer machen. Ähnlich äußerte sich am Freitag auch Baden-Württembergs Tourismusminister Guido Wolf (CDU), der vor allem für eine Öffnung von Hotels an Ostern plädierte. Voraussetzung sei jedoch, dass es gelinge, „massenhaft Schnell- und Selbsttests zur Verfügung zu stellen“.
- Als Spitzenkandidat will der SPD-Landtagsabgeordnete Andreas Stoch seine Partei am 14. März zum Sieg führen. Doch noch steckt die Partei im Umfragetief. Im Gespräch mit Hendrik Groth, Kara Ballarin und Theresa Gnann erklärt Stoch, warum das so ist – und warum er trotzdem zuversichtlich ist, nach der Landtagswahl in der Regierung zu sitzen.
Herr Stoch, die SPD kratzt laut Umfragen derzeit an der Einstelligkeit. Warum ist das so?
Die SPD hat bei der letzten Wahl ein erschreckend schlechtes Ergebnis geholt. Und in der laufenden Legislaturperiode gab es für uns aus der Opposition heraus wenig Vorwärtstrieb – vor allem, weil wir im selben Wählerspektrum wie die Grünen unterwegs sind. Jetzt gilt es, durch beharrliche Arbeit Vertrauen zurückzugewinnen.
Warum dringen Sie mit Ihren Themen nicht durch? Macht GrünSchwarz schlicht alles richtig derzeit?
Sicher nicht. Aber die Themenagenda wird extrem von der Corona-Pandemie bestimmt. Wie sichern wir die Arbeitsplätze? Wie schaffen wir bezahlbaren Wohnraum? Das sind doch wichtige Fragen, aber sie elektrisieren die Menschen zurzeit nicht. Die Krise ist nun mal die Zeit der Exekutive. Und man muss vielleicht auch sagen: Landespolitik spielt in der Wahrnehmung nicht die allergrößte Rolle. Da werden Fehler der Regierung vielleicht nicht im Detail wahrgenommen. Die Regierung ist sich in vielen Themen nicht einig, die CDU bremst zum Beispiel im Klimaschutz viel aus. Und das lähmt das Land in der politischen Entscheidungsfindung.
Fehlt der SPD im Land der Rückenwind aus Berlin?
Ja, leider. Seit Beginn der Pandemie ist die Bundesregierung beliebter als vorher. Von dieser steigenden Beliebtheit profitiert aber im Bund nur die CDU. SPD-Minister wie Olaf Scholz oder Hubertus Heil haben in den letzten Monaten viel und gut gearbeitet. Entscheidungen wie die Kurzarbeit, die uns wesentlich durch die Krise geholfen haben, sind sehr stark auf Druck der SPD beschlossen worden, weil wir gesagt haben: Auch in der Krise darf niemand vergessen werden. Wenn ich dann Andreas Scheuer oder Anja Karliczek anschaue, wundere ich mich schon, wie stark der Effekt Merkel ist.
Und trotzdem träumen Sie von einer Neuauflage von Grün-Rot, wie es sie zwischen 2011 und 2016 im Land gab. Ist das nicht völlig utopisch?
Überhaupt nicht. In der letzten Umfrage hatten die Grünen 34 Prozent und waren damit sieben Punkte vor der CDU. Kein Mensch glaubt noch, dass die CDU an den Grünen vorbeizieht. Für die Wähler stellt sich jetzt die Frage: Wer soll mit Kretschmann regieren? Wir standen in der jüngsten Umfrage bei elf Prozent. Insgesamt fehlt also nicht viel zu einer grün-roten Mehrheit. Das ist mein Ziel und das halte ich für sehr realistisch. Auf den letzten Metern wird Kretschmann noch mal Stimmen, auch aus dem konservativen Lager, holen, weil niemand Frau Eisenmann möchte. So war das beim letzten Mal auch.
Klar ist: Sie drängen in die Regierung. Wenn es für ein Bündnis mit den Grünen nicht reicht, wünschen Sie sich also eine Ampel-Koalition mit der FDP?
Hans-Ulrich Rülke will unbedingt regieren und ich glaube, für eine Ampel-Koalition stünde er sofort zur Verfügung. Er hat gemerkt, dass eine Deutschland-Koalition nicht zu machen ist, und seinen Furor gegen Kretschmann reduziert. Ich glaube, eine Ampel würde jedenfalls besser funktionieren als Grün-Schwarz.
Aber warum sollten sich die Grünen, so sie die Wahl gewinnen, auf solch ein Dreierbündnis einlassen? Warum nicht Grün-Schwarz fortsetzen?
Man merkt doch an den ständigen Streitigkeiten in der Koalition, was die für einen Hals aufeinander haben. Viele CDUler können mit den Grünen schon rein politisch-kulturell gar nichts anfangen. Und auch die Grünen haben von dem ständigen Ärger genug. Wir haben in der gemeinsamen Regierungszeit doch gezeigt, dass dieses Vertrauen vorhanden ist. In den letzten Jahren war Winfried Kretschmann häufig nur damit beschäftigt, irgendwelche Feuerchen auszutreten, und auch deswegen hat diese Regierung kaum einen gemeinsamen Nenner gefunden. Ich habe das Gefühl, dass bei den Grünen der Druck steigt, dass jetzt wieder politische Gestaltung notwendig ist. Und dafür braucht es die SPD in einer neuen Landesregierung.
Ihre Partei geht im Landtag hart ins Gericht mit der Regierung, vor allem mit der CDU. Allein in jüngster Zeit haben Sie den Rücktritt von Agrarminister Peter Hauk und Wirtschaftsministerin Nicole HoffmeisterKraut gefordert. Ist das Wahlkampfgetöse?
Wenn jemand sein Haus so wenig im Griff hat, wie es der Untersuchungsausschuss im Expo-Desaster für Ministerin Hoffmeister-Kraut offenbart hat, ist der Minister oder die Ministerin für dieses Amt nicht geeignet. Peter Hauk hat vor zwei Jahren gesagt, es gehe den Verbraucher nichts an, was die Bauern aufs Feld schmeißen. Wer so etwas sagt, ist doch als Minister für Landwirtschaft und Verbraucherschutz nicht tauglich. Und die Skandale in den Schlachthöfen waren doch ein Beweis für sein politisches Versagen.
Woran würde der Bürger am schnellsten merken, dass die SPD in der Regierung ist?
Wir würden das Chaos an den Schulen beenden. Außerdem würden wir vor allem im Klimaschutz und im Wohnungsbau viel mehr tun als die bisherige Landesregierung. Wir brauchen in Baden-Württemberg in den nächsten Jahren 500 000 neue Wohnungen, dies bedeutet eine Verdopplung der aktuellen Anstrengungen. Auch beim Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs ging es in den letzten Jahren nicht vorwärts, er ist zu teuer und bietet für zu viele Menschen im Land nur eine schlechte oder gar keine Anbindung. Wir würden deshalb ein 365-Euro-Jahresticket einführen und auch im ländlichen Raum für eine bessere Anbindung sorgen.
Bildung ist eines der Kernthemen der SPD. Würden Sie in einer möglichen Koalition nach der Wahl auf das Kultusministerium bestehen – und es selbst noch mal leiten wollen?
Aus meiner Sicht verbietet es sich, vor der Wahl bereits über Ämter zu spekulieren. Falls wir in die Regierung kommen, möchte ich das Amt übernehmen, in dem ich meinem Land und meiner Partei am besten dienen kann. Aber das Kultusministerium ist natürlich ein wichtiges Ministerium. Da wird uns als SPD, so denke ich, einiges zugetraut. Und ich kann nicht verhehlen, dass ich diese Aufgabe auch gerne gemacht habe.
Das geflügelte Wort dieser Tage heißt sozial-ökologische Wende oder Transformation. Die Grünen, die Linken, Sie: Alle sprechen davon. Was bedeutet das für Sie?
Wir brauchen in verschiedenen Bereichen unserer Gesellschaft eine Veränderung, weil wir sonst die Erde an den Abgrund treiben. Wir müssen den Ausstieg aus fossilen Rohstoffen und den Umstieg zu erneuerbaren Energien und der Vermeidung von CO schaffen. Der Klimawandel ist die größte Herausforderung, vor der die Menschheit aktuell steht, aber Klimaschutz darf nicht zu einer Spaltung der Gesellschaft führen. Auch Menschen mit kleinerem Geldbeutel müssen sich diesen Wandel leisten können. Wir kommen nur weiter, wenn wir sinnvolle Anreize setzen und realistische Angebote machen. Wenn Herr Kretschmann über dreckige Diesel schimpft, sage ich: Wenn die Menschen es sich nicht mehr leisten können, in der Stadt zu wohnen, müssen sie ja von außerhalb reinfahren. Diesen Menschen müssen wir ein Angebot machen, zum Beispiel einen bezahlbaren ÖPNV, eine Mobilitätsgarantie auch im ländlichen Raum, und die Sanierung der bestehenden Infrastruktur. Dieser Transformationsprozess kann nur gelingen, wenn wir alle Menschen mit ihren unterschiedlichen Lebensverhältnissen in Stadt und Land und auch mit ihren unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten im Blick haben.