Gewalt aus dem Nichts
Ein Vorbestrafter, der Tuttlingen unsicher machte, steht erneut vor Gericht
- Er war in der Szenerie jener, die Tuttlingen und Umgebung in den vergangenen Jahren unsicher gemacht haben, einer der Wortführer und mit seiner Shishabar in einer Nachbargemeinde auch ein Anlaufpunkt für manch dunkle Gestalten. Jetzt muss sich der 30-Jährige vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts wegen versuchten Totschlags verantworten. Am Montag fand der zweite Verhandlungstag statt.
Versuchter Totschlag ist dabei längst nicht alles, es kommt eine ganze Latte weiterer Anklagepunkte gegen den einschlägig vorbestraften Mann dazu: Diebstahl, versuchte Nötigung, versuchte räuberische Erpressung, Beleidigung von Polizeibeamten und gefährliche Körperverletzung (wir berichteten).
Am zweiten Verhandlungstag schilderten zwei junge Frauen, wie ein eigentlich harmloser Besuch der Shishabar an einem späten Samstagabend im Februar 2019 gewalttätig endete: Ein Bekannter habe sich dort zunächst nur Zigaretten besorgen wollen und zur Begrüßung den Barbetreiber auf Arabisch mehrfach „Bruder“genannt. Der habe sich das verbeten, willkürlich behauptet, der Kontrahent habe ihm eine Scheibe kaputt gemacht, dabei sehr aggressiv reagiert, Lokalverbot erteilt, ihren Begleiter nach einem Wortwechsel angegriffen und den am Boden Liegenden schließlich mehrfach mit den Schuhen so heftig in den Unterleib geschlagen zu haben, dass sich der junge Mann auf dem Boden krümmte und unter Schmerzen nach Hause begleitet werden musste. „Das war ein Schock!“, sagte die 21-jährige Zeugin. Und ihre 20-jährige Freundin erklärte: „Der ist ausgerastet. Man konnte nicht mit ihm reden!“
Nach dem Muster Gewalt aus dem Nichts soll nach Zeugenaussagen auch die schwerste Tat verlaufen sein, die dem 30-Jährigen vorgeworfen wird: Am 28. Juni des vergangenen Jahres, so die Anklage, soll er einen vormaligen Freund, ebenfalls vor der Shishabar, verfolgt und durch Messerstiche so schwer verletzt haben, dass dieser beinahe verblutet wäre und nur gerettet werden konnte, weil eine Nachbarin, die zufällig Rettungssanitäterin ist, schnell zur Stelle war und richtig reagierte.
Es ging um angebliche Schulden von 180 Euro, wobei das Opfer behauptet, in Wirklichkeit habe ihm der 30-Jährige eine ungleich höhere Summe geschuldet.
Der Angeklagte bezifferte vor Gericht seine Gesamtschulden auf 80 000 Euro. Er war 2008 als Flüchtling aus dem Nordirak nach Deutschland gekommen, „um etwas zu erreichen“. Inzwischen ist er als Asylbewerber anerkannt. Im Prozess gab er an, er habe keinen Schulabschluss und könne auch nicht lesen. Andererseits berichten Zeugen, sie hätten regelmäßig Kurzmitteilungen aufs Handy von ihm bekommen.
Insgesamt sind 33 Zeugen geladen. Bisher haben zehn ausgesagt. Ein psychiatrischer Gutachter soll die Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten beurteilen.
Der Prozess wird am fortgesetzt.