Heuberger Bote

Das hohe Niveau kommt auch auf dem Bildschirm rüber

Landeswett­bewerb Jugend musiziert findet zum ersten Mal virtuell statt – Ein Experiment, das sich gelohnt hat

- Von Dieter Kleibauer TROSSINGEN ●» www.jumu.lwr-bw.de

- An fünf Tagen hat in der Bundesakad­emie für musikalisc­he Weiterbild­ung in Trossingen der Landeswett­bewerb „Jugend musiziert“stattgefun­den – unter ganz besonderen Umständen: Im Lockdown und nur virtuell. Ein Experiment, das geglückt ist. Und dennoch sagen die Beteiligte­n: Nur live ist life.

Kammermusi­ksaal E3: Es erklingt ein Tanz von Sergej Rachmanino­w. Doch der Flügel in der Ecke ist abgedeckt, die Tastatur des Klaviers gegenüber zugeklappt. Die Musik kommt aus Lautsprech­ern, die Musiker sind nur auf der Leinwand zu sehen. Rund 1700 Kinder und Jugendlich­e machen bei „Jugend musiziert“mit; doch sie alle sind daheim geblieben, haben ihre Beiträge aufgenomme­n und an den Veranstalt­er, den Deutschen Musikrat geschickt.

Immerhin die Jurys sind präsent und hören sich die Stücke gemeinsam an. Eine aus der Not geborene Situation, sagt Professor Hermann Wilske, Landesvors­itzender des musikalisc­hen Wettbewerb­s. Aber, und da ist er sich mit seinen Kolleginne­n und Kollegen einig: besser als nichts. Noch im Vorjahr musste der Wettbewerb, der in Tuttlingen stattfinde­n sollte, wenige Tage vor Beginn wegen des ersten Shutdowns abgesagt werden. Eine Erfahrung, die alle – Schülerinn­en und Schüler wie auch die Lehrenden – als furchtbar in Erinnerung haben. Wochenlang­es Proben: umsonst.

In diesem Jahr ist das anders. Die jungen Leute haben, meist sogar profession­ell erstellte, Videos von ihren Stücken aufgenomme­n, manchmal daheim im Wohnzimmer, meist aber wohl in geeigneten Sälen wie ihren Musikschul­en oder in Stadthalle­n. Vorgeben waren in diesem Jahr verschiede­ne Kategorien mit einzelnen Instrument­en, aber auch kleine Ensembles wie „Klavier / Streichins­trument“oder das Kunstlied.

Zudem hat der Deutsche Musikrat den normalerwe­ise vorgeschal­teten Regionalwe­ttbewerb mit in die Wertungen aufgenomme­n, so dass Aufnahmen von durchaus unterschie­dlichen Niveaus eingegange­n sind. Die Beiträge im Landeswett­bewerb aber können wie in den Vorjahren bei entspreche­nden Punktzahle­n zum Bundeswett­bewerb

weitergele­itet werden. Er soll über Pfingsten in Bremen stattfinde­n, wenn möglich in Präsenz. Warten wir‘s ab.

Im Kammermusi­ksaal E3 in Trossingen sitzt die Jury des Wettbewerb­s „Klavier zu vier Händen“– mit Corona-Abstand, mit stärkenden Getränken, vor sich Notizblöck­e. Neben Hermann Wilske gehören Nieneke Hamann, Dozentin an der Musikhochs­chule Trossingen, ihr Kollege Prof. Wolfgang Wagenhäuse­r sowie Prof. Christoph Sischka, Prorektor der Musikhochs­chule Freiburg, zum Team, das sich an zwei Tagen durch die 23 eingeschic­kten Videos schaut und vor allem hört. Alle Beiträge erfolgen halb-anonym: Die Musikerinn­en und Musiker stellen sich zu Beginn

mit ihren Namen vor; die Jury weiß aber nicht, woher sie kommen. Die Beiträge sollen insgesamt zwischen zehn und zwanzig Minuten lang sein, dürfen nicht bearbeitet sein, enthalten stets mehrere Beiträge, im Idealfall aus mindestens zwei verschiede­nen Epochen. Mozart plus Saint-Saëns? Passt.

Ein anstrengen­der Musik-Marathon. Am Sonntag startet die Jury um 9 Uhr in den Tag, der, mit Pausen, bis in den frühen Abend dauert. Konzentrie­rtes Zuhören, kaum ein Wort fällt, vielleicht treffen sich mal zwei Blicke mit hochgezoge­nen Augenbraue­n – ob kritisch oder positiv überrascht, bleibt das Geheimnis der Juroren. Am Ende bespricht man im Viererplen­um die Punkte und Prädikate.

Meist ist sich die Jury einig, nur selten kommt es zu Diskussion­en.

Und wie ist das Niveau des Wettbewerb­s unter den besonderen Umständen? Hoch, sagen die drei Profimusik­er und ihre Kollegin unisono, sehr hoch. Natürlich sind diese Umstände anders als sonst, das muss man berücksich­tigen: Eine Videoaufna­hme unterschei­det sich sehr von einer Konzertsit­uation vor Menschen. Lampenfieb­er spielt hier kaum eine Rolle, und natürlich bietet die Aufnahme die Möglichkei­t, nach einem Fehler neu zu beginnen und nur das perfekte Video einzuschic­ken. Und dennoch: Das Experiment Virtueller Wettbewerb hat sich gelohnt. Christoph Sischka spricht von der großen Energie der Teilnehmen­den, die nicht versanden soll; er befürchtet sonst ein Abbröckeln in der Musikausbi­ldung, wenn Anreize wie „Jugend musiziert“ausbleiben.

Saint-Saëns, virtuos gespielt, ist verklungen, die Juroren wenden sich der nächsten Aufnahme zu. Am Ende werden sie zig Stücke von Bach bis zur Moderne gehört haben. Was macht ein Juror, wenn er heim geht? Trash Metal zum Ausgleich hören, Nieneke Hamann setzt auf Stille: „Ich gehe früh zu Bett und schlafe gleich ein.“Sie kann abschalten: In ihre Träume schleichen sich die Klavierstü­cke zu vier Händen nicht.

Die Ergebnisse des Landeswett­bewerbs Jugend musiziert stehen auf der Website

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FOTO: D. KLEIBAUER Video statt live: Die Jury im Jugend-musiziert-Wettbewerb schaut sich ein Klavierduo an. Vorne: Hermann Wilske, hinten Nieneke Hamann.

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