Das hohe Niveau kommt auch auf dem Bildschirm rüber
Landeswettbewerb Jugend musiziert findet zum ersten Mal virtuell statt – Ein Experiment, das sich gelohnt hat
- An fünf Tagen hat in der Bundesakademie für musikalische Weiterbildung in Trossingen der Landeswettbewerb „Jugend musiziert“stattgefunden – unter ganz besonderen Umständen: Im Lockdown und nur virtuell. Ein Experiment, das geglückt ist. Und dennoch sagen die Beteiligten: Nur live ist life.
Kammermusiksaal E3: Es erklingt ein Tanz von Sergej Rachmaninow. Doch der Flügel in der Ecke ist abgedeckt, die Tastatur des Klaviers gegenüber zugeklappt. Die Musik kommt aus Lautsprechern, die Musiker sind nur auf der Leinwand zu sehen. Rund 1700 Kinder und Jugendliche machen bei „Jugend musiziert“mit; doch sie alle sind daheim geblieben, haben ihre Beiträge aufgenommen und an den Veranstalter, den Deutschen Musikrat geschickt.
Immerhin die Jurys sind präsent und hören sich die Stücke gemeinsam an. Eine aus der Not geborene Situation, sagt Professor Hermann Wilske, Landesvorsitzender des musikalischen Wettbewerbs. Aber, und da ist er sich mit seinen Kolleginnen und Kollegen einig: besser als nichts. Noch im Vorjahr musste der Wettbewerb, der in Tuttlingen stattfinden sollte, wenige Tage vor Beginn wegen des ersten Shutdowns abgesagt werden. Eine Erfahrung, die alle – Schülerinnen und Schüler wie auch die Lehrenden – als furchtbar in Erinnerung haben. Wochenlanges Proben: umsonst.
In diesem Jahr ist das anders. Die jungen Leute haben, meist sogar professionell erstellte, Videos von ihren Stücken aufgenommen, manchmal daheim im Wohnzimmer, meist aber wohl in geeigneten Sälen wie ihren Musikschulen oder in Stadthallen. Vorgeben waren in diesem Jahr verschiedene Kategorien mit einzelnen Instrumenten, aber auch kleine Ensembles wie „Klavier / Streichinstrument“oder das Kunstlied.
Zudem hat der Deutsche Musikrat den normalerweise vorgeschalteten Regionalwettbewerb mit in die Wertungen aufgenommen, so dass Aufnahmen von durchaus unterschiedlichen Niveaus eingegangen sind. Die Beiträge im Landeswettbewerb aber können wie in den Vorjahren bei entsprechenden Punktzahlen zum Bundeswettbewerb
weitergeleitet werden. Er soll über Pfingsten in Bremen stattfinden, wenn möglich in Präsenz. Warten wir‘s ab.
Im Kammermusiksaal E3 in Trossingen sitzt die Jury des Wettbewerbs „Klavier zu vier Händen“– mit Corona-Abstand, mit stärkenden Getränken, vor sich Notizblöcke. Neben Hermann Wilske gehören Nieneke Hamann, Dozentin an der Musikhochschule Trossingen, ihr Kollege Prof. Wolfgang Wagenhäuser sowie Prof. Christoph Sischka, Prorektor der Musikhochschule Freiburg, zum Team, das sich an zwei Tagen durch die 23 eingeschickten Videos schaut und vor allem hört. Alle Beiträge erfolgen halb-anonym: Die Musikerinnen und Musiker stellen sich zu Beginn
mit ihren Namen vor; die Jury weiß aber nicht, woher sie kommen. Die Beiträge sollen insgesamt zwischen zehn und zwanzig Minuten lang sein, dürfen nicht bearbeitet sein, enthalten stets mehrere Beiträge, im Idealfall aus mindestens zwei verschiedenen Epochen. Mozart plus Saint-Saëns? Passt.
Ein anstrengender Musik-Marathon. Am Sonntag startet die Jury um 9 Uhr in den Tag, der, mit Pausen, bis in den frühen Abend dauert. Konzentriertes Zuhören, kaum ein Wort fällt, vielleicht treffen sich mal zwei Blicke mit hochgezogenen Augenbrauen – ob kritisch oder positiv überrascht, bleibt das Geheimnis der Juroren. Am Ende bespricht man im Viererplenum die Punkte und Prädikate.
Meist ist sich die Jury einig, nur selten kommt es zu Diskussionen.
Und wie ist das Niveau des Wettbewerbs unter den besonderen Umständen? Hoch, sagen die drei Profimusiker und ihre Kollegin unisono, sehr hoch. Natürlich sind diese Umstände anders als sonst, das muss man berücksichtigen: Eine Videoaufnahme unterscheidet sich sehr von einer Konzertsituation vor Menschen. Lampenfieber spielt hier kaum eine Rolle, und natürlich bietet die Aufnahme die Möglichkeit, nach einem Fehler neu zu beginnen und nur das perfekte Video einzuschicken. Und dennoch: Das Experiment Virtueller Wettbewerb hat sich gelohnt. Christoph Sischka spricht von der großen Energie der Teilnehmenden, die nicht versanden soll; er befürchtet sonst ein Abbröckeln in der Musikausbildung, wenn Anreize wie „Jugend musiziert“ausbleiben.
Saint-Saëns, virtuos gespielt, ist verklungen, die Juroren wenden sich der nächsten Aufnahme zu. Am Ende werden sie zig Stücke von Bach bis zur Moderne gehört haben. Was macht ein Juror, wenn er heim geht? Trash Metal zum Ausgleich hören, Nieneke Hamann setzt auf Stille: „Ich gehe früh zu Bett und schlafe gleich ein.“Sie kann abschalten: In ihre Träume schleichen sich die Klavierstücke zu vier Händen nicht.
Die Ergebnisse des Landeswettbewerbs Jugend musiziert stehen auf der Website