Heuberger Bote

Die Grundidee von Olympia ist schon jetzt gescheiter­t

- Von Martin Deck

Immerhin auf Erling Haaland ist Verlass. Mit seinem Doppelpack bewahrte der Norweger Borussia Dortmund vor einer peinlichen Niederlage beim Abstiegska­ndidaten 1. FC Köln und bewies einmal mehr, welch herausrage­nder Stürmer er im Alter von 20 bereits ist. Im (unvorstell­baren) Fall, dass er noch einige Jahre bei den Westfalen bleiben sollte, ist es bei seiner aktuellen Torquote nur ein Frage der Zeit, bis er zum BVB-Rekordtors­chützen aufsteigt. Das ist aber reine Theorie. Angesichts des Interesses zahlreiche­r Topclubs am norwegisch­en Kraftpaket und der seit Samstag wieder größeren Gefahr, dass die Borussia in diesem Jahr die Qualifikat­ion für die Champions League verpasst, ist ein Wechsel im Sommer wohl nahezu so wahrschein­lich, wie der Abstieg der benachbart­en Schalker am Saisonende – und das nicht erst seit Haalands Frust-Abgang nach dem 2:2 in Köln.

Und so bleibt bis auf weiteres Adi Preißler mit seinen 168 Treffern Rekordtors­chütze des BVB. In zweieinhal­b Wochen, am 9. April, wäre er 100 Jahre alt geworden. Zwar ist die Vereinsleg­ende 2003 verstorben, eines seiner Zitate hält ihn aber bis heute in Erinnerung: „Grau is alle Theorie – entscheide­nd is auf´m Platz.“

Auch wenn Preißlers Aussage bis heute nicht an Aktualität verloren hat, hat sie dennoch keinen Anspruch auf Allgemeing­ültigkeit. In den vergangene­n Wochen stand vielmehr der Grundsatz im Vordergrun­d: „Entscheide­nd ist auf der Tribüne.“So hat UEFA-Präsident Aleksander Ceferin in unverschäm­ter Art und Weise von den Ausrichter­städten der EM eine Zusage gefordert, bei der EURO 2021 Zuschauer zuzulassen. In Rostock

und Berlin sind mit Segen der Politik Tests angelaufen, wie Fans in die Arenen zurückkehr­en könnten.

Für die Olympische­n Spiele in Tokio kommen mögliche Erkenntnis­se jedoch zu spät, die japanische Hauptstadt hat am Samstag die Entscheidu­ng gefällt, dass zu den Wettbewerb­en im Sommer keine Zuschauer aus dem Ausland anreisen dürfen. Es gehe um den „Erfolg der Spiele“, sagte Tokios Gouverneur­in Yuriko Koike zur Begründung. Aber wie definiert sie Erfolg? Die Spiele irgendwie durch die Pandemie gebracht zu haben, ohne dass jemand krank wurde? Wenn das der Anspruch ist, sind die Verantwort­lichen aus Regierungs- und Sportpolit­ik ihrem Ziel tatsächlic­h ein Stück näher gekommen.

Die Frage ist aber: Kann das der einzige Anspruch sein? War es nicht die

Grundidee von Pierre de Coubertin, mit der Wiederbele­bung der Olympische­n Spiele ein Friedensfe­st zur Völkervers­tändigung zu schaffen? Natürlich, die Entscheidu­ng gegen die massenweis­e Einreise von Olympia- und Paralympic­s-Fans ist nach Stand der Pandemie absolut nachvollzi­ehbar und richtig. Und wenn man wie das Internatio­nale Olympische Komitee vor allem die Bedürfniss­e der zahlenden Fernsehsen­der im Blick hat, kann man es durchaus so sehen wie der erfahrene IOC-Funktionär Dick Pound, der kürzlich meinte, Zuschauer seien „schön, aber kein Muss“. Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympische­n Sportbunds (DOSB), sieht die Entscheidu­ng, keine ausländisc­hen Zuschauer zuzulassen, gar als „Opfer, das der Sport bringen muss“. Ein Opfer, das zum Zweck erbracht wird, das angeschlag­ene Vertrauen in die olympische­n Pandemie-Spiele zu stärken. Ob es dazu allerdings die Kraft besitzt, ist mehr als fraglich. Die Mehrheit der Japaner ist gegen die Austragung der Sommerspie­le, nach den Infektione­n bei der Leichtathl­etik-EM in Polen und beim Fecht-Weltcup in Ungarn wachsen auch bei den vielen Sportlern die Zweifel.

Von denen will IOC-Präsident Thomas Bach am liebsten gar nichts hören. Für den „Herrn der Ringe“gilt der Leitsatz: „Die Frage ist nicht, ob die Olympische­n Spiele stattfinde­n, sondern wie.“Selbst Geisterspi­ele, gegen die sich der Herr der Ringe lange ausgesproc­hen hat, rücken näher. Ein weiteres Opfer. Doch auch dann wäre die Sicherheit, die Bach als oberstes Gebot bei jeder Gelegenhei­t betont, nicht zu garantiere­n. „Wenn 11 000 Athletinne­n und Athleten sowie deren Betreuer und die Medienvert­reter zusammenko­mmen“, sagte Hörmann, „dann ist die olympische Familie schon mit einer beachtlich­en Zahl vertreten.“Und damit auch das Virus und viele seiner Mutationen, die den Schrecken nur noch vergrößern.

Keine Frage, die japanische­n Organisato­ren tun ihr Bestes, um die meisten Risiken auszuschli­eßen. Aber wie will man ein Weltsportf­est retten, das die Welt nicht ins Stadion lassen kann? Diese Spiele sind schon jetzt wegen der Pandemie bis zur Unkenntlic­hkeit verstümmel­t. Sie werden zu einem sterilen Schauspiel mit Trennwände­n, Kontaktver­boten und Zugangsbes­chränkunge­n getrimmt. Und so steht schon jetzt fest, dass die Grundidee von Olympische­n und Paralympis­chen Spielen, Menschen zusammenzu­bringen und Atmosphäre­n der Vielfalt zu schaffen, gescheiter­t ist.

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