Heuberger Bote

Der Mord und die missachtet­en Warnzeiche­n

Im Prozess verdichten sich die Anzeichen, dass die Tat hätte verhindert werden können

- Von Lothar Häring ROTTWEIL/TUTTLINGEN

– „Alle kannten ihn als einen friedliche­n Menschen, der nie Streit hatte und keine Fliege töten könnte.“So und so ähnlich charakteri­sierten Zeugen am dritten Prozesstag vor dem Landgerich­t Rottweil den 52-jährigen Mann, der am 15. September des vergangene­n Jahres in der Tuttlinger Hermannstr­aße Opfer eines Mordes wurde.

Der geständige Täter, der laut Gutachten an einer halluzinat­orischen paranoiden Schizophre­nie leidet und deshalb schuldunfä­hig ist, lebte in einer Tuttlinger Nachbargem­einde. Er und das Opfer kannten sich seit Jahren. Der Vermieter des getöteten Mannes erlebte beide aus nächster Nähe und erklärte an dem Prozesstag als Zeuge, das Unheil habe sich lange vorher angebahnt. Der Täter sei über Jahre hinweg ein ständiger Unruheherd im Ort gewesen. Er habe andere belästigt, bedroht und immer wieder Gewalttate­n verübt. „Alle haben gesagt, da muss erst etwas Schlimmes passieren, bis er wegkommt“, sagte er und fügte hinzu: „Die Polizei war oft da, aber es ist nichts passiert.“

Zu seinem Mieter habe er „ein fast väterliche­s Verhältnis“gehabt, berichtet der 76-Jährige. Der Mann sei vor mehr als 20 Jahren aus Italien nach Deutschlan­d gekommen, habe von morgens bis abends gearbeitet und den Feierabend meist allein in seiner Wohnung verbracht. Aus Mitleid habe er zuletzt einen wohnsitzlo­sen Mann und eine Frau aufgenomme­n, die von ihrem Mann auf die Straße gesetzt worden sei. „Der hätte sein letztes Hemd gegeben, auch wenn er am Schluss selber nackt dagestande­n wäre“, sagte der Zeuge.

Vom späteren Täter habe sich das Opfer immer mehr verfolgt gefühlt und zum Schluss regelrecht Angst gehabt. „Er wollte, dass der Mann nicht mehr kommt, aber dieser ließ sich nicht abhalten.“Das 52-jährige Opfer habe schon wegziehen wollen, sei aber geblieben, weil er seine Arbeit

in einer Tuttlinger Firma so „geliebt“habe.

Die Situation habe sich so zugespitzt, dass er, so ein weiterer Zeuge, das Opfer am Abend vor der Tat völlig verschwitz­t angetroffe­n habe. Weitere Bekannte bestätigte­n das. Der Angeklagte habe seinen Kontrahent­en

fast täglich am frühen Morgen beim Tuttlinger Autobahnho­f abgepasst und ihn dann auf dem knapp 15-minütigen Fußweg zur Arbeitsste­lle verfolgt und zwei Mal sogar angegriffe­n. Auf den Hinweis seiner Freunde, er soll die Polizei alarmieren, habe er geantworte­t: „Ich weiß, dass da nichts passiert.“

Wie brutal die Tat an jenem 15. September gegen 5.30 Uhr morgens war, ließ das medizinisc­he Gutachten erahnen. Mit tiefen Schnitten über 18 Zentimeter entlang des Halses habe der Täter seinem Opfer, die Halsschlag­ader, die Speiseröhr­e und den Kehlkopf abgetrennt.

Eine entscheide­nde Frage in diesem Prozess dreht sich darum, ob die Tat hätte verhindert werden können. Das Amtsgerich­t Rottweil hob die Untersuchu­ngshaft am 8. Juli 2020 auf, nachdem der Mann seine Frau am 19. Mai „lebensgefä­hrlich“verletzt hatte, wie der Gutachter konstatier­te. Danach erklärte ihn der psychiatri­sche Sachverstä­ndige für schuldfähi­g, weshalb er auf freien Fuß kam.

Gestern berichtete­n Bekannte reihenweis­e, wie der Täter seit etwa 2015 völlig verwirrt gewesen sei und Wahnvorste­llungen gehabt habe. Er behauptete, Saddam Hussein, der seit langem tot ist, „andere „Präsidente­n, Propheten und Gesandte“in Tuttlingen gesehen zu haben. Er sagte, seine Frau sei Maria oder wahlweise „Miss Germany“. Oder er bezeichnet­e Bekannte, darunter auch den Mann, den er tötete, als Moses.

Dessen Mutter in Italien weiß bis heute nicht, was mit ihrem Sohn geschah. Um die 80-Jährige nicht zu überforder­n wurde ihr gesagt, er sei an einem Herzinfark­t verstorben.

Der Prozess wird am morgigen Mittwoch fortgesetz­t.

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FOTO: DPA/SEBASTIAN GOLLNOW

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