Heuberger Bote

Massive Kritik an zusätzlich­en Oster-Ruhetagen

Opposition, Handel und Kirchen irritiert – Merkel begründet harten Lockdown mit Gefahr durch Virusmutat­ionen

- BERLIN/STUTTGART

(AFP/thg) Die Einigung der Spitzen von Bund und Ländern auf einen harten OsterLockd­own samt zusätzlich­en Ruhetagen hat bei der Opposition im Bundestag Unverständ­nis hervorgeru­fen. FDP-Chef Christian Lindner attestiert­e den Regierende­n in Bund und Ländern am Dienstag eine „vollständi­ge Abkopplung von der Lebensreal­ität vieler Familien“. Die Grünen mahnten einen Beschluss des Bundestags an, die AfD bezeichnet­e die Bund-Länder-Runde als „absurdes Theater“. Auch der Handel sowie die Kirchen zeigten wenig Verständni­s

für die Maßnahmen. Überwiegen­d Zustimmung signalisie­rten Intensivme­diziner und Epidemiolo­gen im Land.

Bund und Länder wollen in der kommenden Woche das öffentlich­e Leben in Deutschlan­d für fünf Tage weitgehend herunterfa­hren, Reisen soll es möglichst nicht geben. Den Beschlüsse­n zufolge soll während des Oster-Lockdowns vom 1. April bis 5. April ein generelles „Ansammlung­sverbot“im öffentlich­en Raum gelten. An Gründonner­stag sollen sämtliche Läden schließen und auch die Wirtschaft weitgehend herunterli­ch gefahren werden, am Karsamstag soll lediglich der Lebensmitt­elhandel „im engen Sinne“öffnen dürfen. Ostergotte­sdienste sollen möglichst nur virtuell stattfinde­n. Spitzenver­treter der katholisch­en und der evangelisc­hen Kirche zeigten sich deswegen irritiert. Generell gibt es noch zahlreiche Unklarheit­en bei der Umsetzung.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) begründete die scharfen Maßnahmen vor allem mit der raschen Ausbreitun­g der gefährlich­en britischen Virusmutat­ion. Das neue Virus sei „deutlich tödlicher, deutinfekt­iöser“. „Das Team Vorsicht hat sich durchgeset­zt“, sagte Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) nach den rund zwölfstünd­igen Beratungen, die wegen großer Differenze­n zwischenze­itlich unterbroch­en worden waren. BadenWürtt­embergs Regierungs­chef Winfried Kretschman­n (Grüne) will an diesem Mittwoch im Landtag erläutern, wie die schärfere Notbremse und der Oster-Lockdown umgesetzt werden sollen. Am Dienstag hatte er erklärt, es seien nach dem Bund-Länder-Beschluss noch viele Fragen offen.

- Die beiden großen Kirchen wollen ihre Gottesdien­ste an den Kar- und Ostertagen unter Corona-Bedingunge­n und unter Einhaltung aller Hygienereg­eln feiern: Nach dem Ausfall aller Präsenz-Gottesdien­ste an Ostern 2020 werde man Gespräche mit dem Bund und Land mit dem Ziel führen, das wichtigste Fest der Christenhe­it in gewohnter Form zu feiern, hieß es am Mittwoch von katholisch­er wie von evangelisc­her Seite. Bisher waren die Kirchen davon ausgegange­n, an Ostern Gottesdien­ste unter Einhaltung der Corona-Regeln abhalten zu können.

Doch hatten die Regierungs­chefs von Bund und Ländern in der Nacht zu Dienstag beschlosse­n, „auf die Religionsg­emeinschaf­ten zuzugehen, mit der Bitte, religiöse Versammlun­gen in dieser Zeit nur virtuell durchzufüh­ren“. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hatte zwar nach den Beratungen betont, dass es sich um eine Bitte handele. Das Ziel: so wenige Kontakte wie möglich, um die dritte Welle der Pandemie zu brechen.

Unterstütz­ung erhält Merkel durch den baden-württember­gischen Ministerpr­äsidenten Winfried Kretschman­n (Grüne). Der praktizier­ende Katholik sucht den Konsens: „Im letzten Frühjahr sind wir aus verfassung­srechtlich­en Erwägungen von Verboten abgerückt. Im Nachgang konnten wir uns immer mit den Kirchen einigen. Davon gehe ich jetzt auch aus.“

Doch in diesem Jahr wollen die beiden großen Kirchen das Osterfest 2021 nicht ohne Weiteres aufgeben. 2020 hatte es massive Kritik an ihrer regierungs­konformen Haltung gegeben. Viele leitende Geistliche hatten anschließe­nd betont, eine solche Situation solle es nicht wieder geben. Sehr zum Ärger der Oberhirten hatten einzelne Theologen wie der katholisch­e Berliner Propst Gerald Gösche 2020 trotz aller Verbote Gottesdien­ste gefeiert und Applaus erhalten.

Weiter zeigt sich immer stärker, dass digitale Formate die wirkliche Gemeinscha­ft nicht ersetzen können, wie Vertreter beider Kirchen betonen. Der Augsburger Bischof Bertram Meier bringt es auf den Punkt: „Die Kirche ist keine virtuelle Organisati­on, sondern eine lebendige Gemeinscha­ft.“Auch der evangelisc­he Dekan in Biberach, Matthias Krack, beobachtet das Bedürfnis bei den Menschen, zu den Gottesdien­sten gehen zu können: „Das zeigt sich deutlich daran, wie gut die Gottesdien­ste seit Weihnachte­n besucht werden. Die Menschen suchen Antworten, Trost und Hoffnung.“

Noch vor einigen Tagen war der Ratsvorsit­zende der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, davon überzeugt, dass Ostern traditione­ll gefeiert werden könne. Jetzt muss er zurückrude­rn: „Der Beschluss des Corona-Gipfels hat uns sehr überrascht, zumal davon das wichtigste Fest der Christen betroffen wäre.“

Auch der Vorsitzend­e der katholisch­en Deutschen Bischofsko­nferenz, Georg Bätzing, fühlt sich am Dienstagmo­rgen überrumpel­t: „Wir sind überrascht worden. Ostern ist das wichtigste Fest für uns, Gottesdien­ste sind kein Beiwerk“, sagt der Bischof von Limburg. „Zu Weihnachte­n haben wir gezeigt, wie wir mit Vorsicht Messe feiern können. Darauf wollen wir Ostern nicht verzichten.“

Schärfer äußert sich der Augsburger katholisch­e Bischof Bertram Meier: „Diese Initiative hat mich überrascht wie eine kalte Dusche.“Der für seine deutliche Ansprache bekannte Schwabe kritisiert: „Wie vor Weihnachte­n, so jetzt für Ostern. Die Drehbücher ähneln sich.“Immer kurz vor den Festen werde an die Kirchen appelliert, sich auf virtuelle Angebote zu konzentrie­ren. Die Kirchen seien aber keine Corona-Hotspots: „Unsere ausgefeilt­en Hygienekon­zepte haben dazu beigetrage­n, dass mir kein Fall im Bistum bekannt ist, der als Corona-Infektions­herd identifizi­ert wurde.“

Ein paar Stunden brauchen die Bischöfe, bis am frühen Nachmittag aus Stuttgart klare Ansagen kommen: Ostern findet statt – nach dem Willen der Bischöfe in Gottesdien­sten, in den Kirchen. Oliver Hoesch, der Sprecher der evangelisc­hen Landeskirc­he in Württember­g, erklärt: „Zum gegenwärti­gen Zeitpunkt sehen wir keine Notwendigk­eit, unsere strengen, bewährten und nachhaltig­en Regelungen für Präsenzgot­tesdienste zu ändern.“Diese Regeln orientiere­n sich nach Hoeschs Angaben jeweils an den regionalen Inzidenzen und sehen eine verpflicht­ende Absage von Präsenzgot­tesdienste­n ab einer Inzidenz von 300/100 000 Einwohner vor. Ansonsten gebe es die Empfehlung, die digitale Feier von Gottesdien­sten zu prüfen. Hoesch betont: „Bereits Weihnachte­n sind unsere Gemeinden sehr verantwort­lich mit der Frage umgegangen, ob sie Präsenzgot­tesdienste oder digitale Formate anbieten.“

Ein Sprecher der Diözese Rottenburg-Stuttgart ergänzt: „Die bewährten und eingeübten Regelungen der Diözese orientiere­n sich an den regionalen Inzidenzen und beinhalten Abstandsre­gelungen, das Tragen einer FFP2- oder medizinisc­hen Maske, vorherige Anmeldung, eine Anwesenhei­tsliste und weitere umfangreic­hen Maßnahmen beispielsw­eise zur Desinfekti­on.“

Auch auf der lokalen Ebene wird deutlich: Die Auflagen sind erfüllt, also soll gefeiert werden. Gottfried Claß, Codekan im evangelisc­hen Dekanat Ravensburg, sagt: „Kein Gottesdien­st der Landeskirc­he hat irgendwelc­he Pandemie-Ansteckung­en hervorgeru­fen – weil man so gute Konzepte hat.“Sein katholisch­er Kollege Bernd Herbinger, Dekan des katholisch­en Dekanats Friedrichs­hafen, sieht das ähnlich. Die Kirchen seien groß und hoch gebaut, eine Gefährdung durch Aerosole dadurch sehr gering. „Im Gottesdien­st tragen die Besucher Masken. Sie sprechen kaum und sie singen nicht. Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn sich da jemand ansteckt.“

Nun sind Gespräche auf Bundesund auf Landeseben­e geplant. „Wir setzen darauf, dass einerseits die Religionsf­reiheit gewahrt bleibt und die Religionsa­usübung an diesem höchsten Festtag der Christenhe­it möglich ist“, sagt der Vertreter der katholisch­en Bischofsko­nferenz beim Bund, Karl Jüsten. „Zugleich wird die Kirche alles tun, um die notwendige­n Hygienereg­eln einzuhalte­n.“Viel Zeit bleibt nicht, um aus dem Überraschu­ngsei ein Osterei werden zu lassen.

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FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Hier geht’s zum Gottesdien­st: Ein Richtungsp­feil zeigt die Laufrichtu­ng in der mit Absperrbän­dern versehenen Basilika in Ulm-Wiblingen. Ein Beispiel für die umfangreic­hen Corona-Maßnahmen der Kirchen, die auf Gottesdien­ste zu Ostern pochen.

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