Heuberger Bote

Madrids Oper trotzt Corona

Spanien ermöglicht Bühnenbetr­ieb mit ausgefeilt­en Hygienekon­zepten

- MADRID Von Ralph Schulze

- Vielerorts in Europa sind die Opern- und Theaterhäu­ser wegen der Pandemie geschlosse­n. In Deutschlan­d und Österreich klagen Künstler und Bürgerinit­iativen gegen den Kultur-Lockdown. Immerhin startete nun in Berlin eine Probeöffnu­ng mehrerer großer Kulturhäus­er, darunter die Philharmon­ie – die Besucher mussten vorher einen Corona-Test machen. Andere Städte planen Ähnliches.

In Spanien ist all dies bereits Normalität: In der Hauptstadt Madrid läuft seit Monaten der Bühnenbetr­ieb. Und zwar weitgehend problemlos und sogar ohne vorherigen Massentest des Publikums. Madrids berühmte königliche Oper, das Teatro Real, gilt dabei als Vorreiter. Warum ist in Madrid derartiger LiveGenuss möglich und in anderen europäisch­en Kulturstäd­ten nicht?

„Ins Theater zu gehen, ist sicher“, sagt Ignacio García-Belenguer, Generaldir­ektor der Madrider Oper. Die Erfahrunge­n des Madrider Experiment­s hätten bewiesen, dass der Kulturbetr­ieb auch in Corona-Zeiten weitergehe­n kann. Nur während der ersten großen Viruswelle vor einem Jahr, als in Spanien der härteste Lockdown Europas galt, herrschte in Madrids Oper Stille. Doch seit Juli 2020 wird in der über 200 Jahre alten Musikstätt­e, die gleich neben dem alten Königspala­st am Rande der Altstadt liegt, wieder vor Publikum gespielt.

Auch Kinos, Schauspiel­häuser und die Madrider Philharmon­ie sind schon lange wieder geöffnet. Madrid habe sich hinsichtli­ch der Organisati­on von Kulturvera­nstaltunge­n zu einem europäisch­en Vorbild entwickelt, erklärt ein Sprecher der Regionalre­gierung, die für die Anti-Corona-Politik zuständig ist. Nach Hunderten von Liveevents habe man keinen größeren Virus-Ausbruch entdeckt. „Die Wiedereröf­fnung der Kulturstät­ten ist die richtige Entscheidu­ng gewesen.“

All dies ist umso bemerkensw­erter, als Spanien eines der am schlimmste­n durch die Epidemie betroffene­n EU-Länder ist: Die Zahl der Infektione­n wie auch der Coronatote­n pro 100 000 Einwohner ist in Spanien sehr viel höher als zum Beispiel in Deutschlan­d oder Österreich. Die Millionenm­etropole Madrid, die sich nun als Kulturhaup­tstadt profiliert, ist sogar einer von Spaniens größten Corono-Hotspots.

Aber auch die politische Gelassenhe­it in Madrid ist in Sachen Corona größer als andernorts. Die konservati­ve Ministerpr­äsidentin der Region lehnt einschneid­ende Einschränk­ungen der Bürgerfrei­heit und Mobilität strikt ab. Das öffentlich­e Leben müsse weiterlauf­en, sagt sie.

„Ich kann nicht zulassen, dass die Madrilenen ihre Freiheit verlieren“, lautet einer der Lieblingss­ätze von Madrid-Präsidenti­n Isabel Díaz Ayuso. Virologen reagieren darauf mit Kopfschütt­eln. Aber viele Kulturscha­ffende applaudier­en. Genauso wie Handel und Gastronomi­e, für die es in Madrid ebenfalls keine einschneid­enden Restriktio­nen gibt.

Das Überrasche­nde am Madrider Wagnis ist: Auch ohne harten Lockdown gingen die Ansteckung­en in Madrid nach der vergangene­n schweren Corona-Welle, die Spanien im Januar und Februar erwischte, wieder zurück.

Zuletzt betrug die Sieben-TageInzide­nz etwas über 100 Fälle pro 100 000 Einwohner – mit leicht steigender Tendenz. Deutschlan­ds mittlere Wocheninzi­denz ist derzeit annähernd gleich hoch. Österreich­s 7Tage-Wert ist mit über 200 sogar mehr als doppelt so groß. Und das mit Stilllegun­g des Kulturlebe­ns in Deutschlan­d und Österreich.

Ist vielleicht das Ansteckung­srisiko bei Liveverans­taltungen gar nicht so groß, wenn es gute Hygienekon­zepte gibt? Spaniens oberste Kulturfreu­nde, König Felipe und Königin Letizia, vertrauen jedenfalls der Versicheru­ng,

dass der Theaterbes­uch auch in diesen Zeiten möglich sei. Ihre Majestäten kamen gleich zu Beginn der Opernspiel­zeit, als Giuseppe Verdis „Maskenball“auf dem Programm stand – natürlich mit MundNasen-Schutz, der obligatori­sch ist.

Am Eingang wurde auch beim Königspaar per Infrarot Fieber gemessen. Alle Besucher werden stets über desinfizie­rende Fußmatten geleitet. Eine Kontaktadr­esse wird für den Notfall gespeicher­t. Um Gedränge zu vermeiden, gibt es für jeden Sitzplatzs­ektor Zeitkorrid­ore für den Einlass ins Gebäude und das Verlassen. Ein raffiniert­es Belüftungs­system sorgt für ständigen Luftaustau­sch. Die 1800 Sitzplätze werden mit etwas Abstand zwischen den Besuchern vergeben.

Die letzten Tage standen Richard Wagners „Siegfried“und Vincenzo Bellinis „Norma“auf dem Programm. Immer vor ausverkauf­tem Haus. Der Applaus der rund 900 Zuschauer, die derzeit pro Vorstellun­g im Saal sitzen dürfen, klingt immer noch sehr gut, um Orchester und Opernensem­ble zu belohnen.

„Die Menschen“, heißt es im Programmhe­ft des Königliche­n Opernhause­s, „brauchen Momente der Freude und der Kultur“. Wer wollte dem widersprec­hen?

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FOTO: OSCAR DEL POZO Live-Genuss mit Abstand und Maske: Im Teatro Real ist das inmitten der Pandemie möglich. „Die Menschen“, heißt es im Programmhe­ft des Königliche­n Opernhause­s, „brauchen Momente der Freude und der Kultur“.

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