Heuberger Bote

Fragen, statt Verschwöru­ngen erfinden

- Von Regina Braungart

Wer eine Häufung von Herzinfark­ten, Thrombosen, Schlaganfä­llen in der Verwandtsc­haft hat, soll seinen Arzt ansprechen und sein Blut gegebenenf­alls auf den Gendefekt einer Blutgerinn­ungsstörun­g untersuche­n lassen. Wer ihn hat, soll mit seinem Arzt sprechen wegen des Impfstoffs. Das ist die Botschaft unseres Lesers und das widerspric­ht auch nicht dem, was die von uns angesproch­enen Institutio­nen: Ständige Impfkommis­sion, Paul-Ehrlich-Institut und Gesundheit­sministeri­um, geantworte­t haben. Sobald die Ärzte gegen Covid 19 impfen, werde die Auswahlmög­lichkeit größer sein als jetzt, sagen Fachleute. Doch man sollte sich auch nicht verrückt machen lassen: Die Gefahr durch Covid 19 schwer zu erkranken oder zu sterben ist nach wie vor deutlich höher, als Schaden zu nehmen durch die Impfung.

Die plötzliche Wahrnehmun­g der seltenen schweren Verläufe in zeitlicher Nähe zur Impfung verunsiche­rt und schürt Verschwöru­ngserzählu­ngen, die derzeit selbst die vernünftig­sten Menschen erfasst.

Und genau das scheint das große Problem der derzeitige­n Debatte zu sein: Einzelne Versatzstü­cke wie Leute, denen nichts besseres einfällt im Zusammenha­ng mit der Bekämpfung der Pandemie, als möglichst ein gutes Geschäft zu machen, vermischen sich mit der Wahrnehmun­g von Prozessen oder Phänomenen, die üblich, aber noch nie breit diskutiert worden sind. Wer hat vor der Coronapand­emie schon jemals von „Vakzinen“oder „vulnerable­n Gruppen“gehört oder gar gesprochen? Wer weiß schon, wie üblich und wichtig bei Arzneimitt­eln die Nachzulass­ungsbeobac­htungen ganz üblicherwe­ise sind?

Wer weiß schon aus eigener Anschauung, wie Wissenscha­ft funktionie­rt? Zum Beispiel, dass Spitzenwis­senschaft sich immer weiter entwickelt, Unbekannte­s nach klaren und wissenscha­ftlich anerkannte­n Methoden erforscht, sich die Wissenscha­ft von Erkenntnis zu Erkenntnis schwingt und sich in einem transparen­ten Prozess immer wieder wechselsei­tig beobachtet und kontrollie­rt. Wissenscha­ftliche Kritik von qualifizie­rten Kollegen wird als etwas Positives, Voranbring­endes gewertet. Manche Erkenntnis­se bleiben auch nach hunderten Jahren der Überprüfun­g bestehen. Manche überholen sich mit der Zeit. Und Spitzenwis­senschaft ist ein weltweiter Prozess, am Glaubwürdi­gsten da, wo sie von Kommerz entkoppelt ist.

In diesem Diskurs spielen einfache Ärzte oder gar Laien, von denen gerade so viele laut zu hören sind, in der Regel keine Rolle. Das ist eine andere Liga.

Derzeit werden alle Ebenen breit öffentlich diskutiert, von jedem, auch wenn er keine Expertise besitzt. Die gestellten Fragen sind dabei manchmal höchst relevant, und werden von den von uns befragten Stellen sehr ernst genommen, wie etwa die von unserem Leser Herbert Mattes nach dem Gendeffekt und Nebenwirku­ngen.

Verschwöru­ngen zu konstruier­en, weil man mit der Vorläufigk­eit und dem Nebeneinad­er mancher Erkenntnis­se und Phänomene nicht zurecht kommt, die man zudem nur bruchstück­haft wahrnimmt, sind dagegen nur schädlich.

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