Fragen, statt Verschwörungen erfinden
Wer eine Häufung von Herzinfarkten, Thrombosen, Schlaganfällen in der Verwandtschaft hat, soll seinen Arzt ansprechen und sein Blut gegebenenfalls auf den Gendefekt einer Blutgerinnungsstörung untersuchen lassen. Wer ihn hat, soll mit seinem Arzt sprechen wegen des Impfstoffs. Das ist die Botschaft unseres Lesers und das widerspricht auch nicht dem, was die von uns angesprochenen Institutionen: Ständige Impfkommission, Paul-Ehrlich-Institut und Gesundheitsministerium, geantwortet haben. Sobald die Ärzte gegen Covid 19 impfen, werde die Auswahlmöglichkeit größer sein als jetzt, sagen Fachleute. Doch man sollte sich auch nicht verrückt machen lassen: Die Gefahr durch Covid 19 schwer zu erkranken oder zu sterben ist nach wie vor deutlich höher, als Schaden zu nehmen durch die Impfung.
Die plötzliche Wahrnehmung der seltenen schweren Verläufe in zeitlicher Nähe zur Impfung verunsichert und schürt Verschwörungserzählungen, die derzeit selbst die vernünftigsten Menschen erfasst.
Und genau das scheint das große Problem der derzeitigen Debatte zu sein: Einzelne Versatzstücke wie Leute, denen nichts besseres einfällt im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Pandemie, als möglichst ein gutes Geschäft zu machen, vermischen sich mit der Wahrnehmung von Prozessen oder Phänomenen, die üblich, aber noch nie breit diskutiert worden sind. Wer hat vor der Coronapandemie schon jemals von „Vakzinen“oder „vulnerablen Gruppen“gehört oder gar gesprochen? Wer weiß schon, wie üblich und wichtig bei Arzneimitteln die Nachzulassungsbeobachtungen ganz üblicherweise sind?
Wer weiß schon aus eigener Anschauung, wie Wissenschaft funktioniert? Zum Beispiel, dass Spitzenwissenschaft sich immer weiter entwickelt, Unbekanntes nach klaren und wissenschaftlich anerkannten Methoden erforscht, sich die Wissenschaft von Erkenntnis zu Erkenntnis schwingt und sich in einem transparenten Prozess immer wieder wechselseitig beobachtet und kontrolliert. Wissenschaftliche Kritik von qualifizierten Kollegen wird als etwas Positives, Voranbringendes gewertet. Manche Erkenntnisse bleiben auch nach hunderten Jahren der Überprüfung bestehen. Manche überholen sich mit der Zeit. Und Spitzenwissenschaft ist ein weltweiter Prozess, am Glaubwürdigsten da, wo sie von Kommerz entkoppelt ist.
In diesem Diskurs spielen einfache Ärzte oder gar Laien, von denen gerade so viele laut zu hören sind, in der Regel keine Rolle. Das ist eine andere Liga.
Derzeit werden alle Ebenen breit öffentlich diskutiert, von jedem, auch wenn er keine Expertise besitzt. Die gestellten Fragen sind dabei manchmal höchst relevant, und werden von den von uns befragten Stellen sehr ernst genommen, wie etwa die von unserem Leser Herbert Mattes nach dem Gendeffekt und Nebenwirkungen.
Verschwörungen zu konstruieren, weil man mit der Vorläufigkeit und dem Nebeneinader mancher Erkenntnisse und Phänomene nicht zurecht kommt, die man zudem nur bruchstückhaft wahrnimmt, sind dagegen nur schädlich.