Heuberger Bote

Wissenscha­ft statt gottgefäll­igem Gelöbnis

Tierseuche­n damals und heute: Vor 225 Jahren riefen Immendinge­r himmlische­n Beistand

- Von Franz Dreyer IMMENDINGE­N

- Noch ist der Landkreis Tuttlingen vom jüngsten Ausbruch der Geflügelpe­st nicht betroffen. Tierseuche­n wie diese sind auch kein neues Phänomen. Denn zu allen Zeiten gab es Tierseuche­n. Doch der Umgang damit hat sich grundlegen­d geändert.

Früher traf der Verlust von Nutztieren insbesonde­re die in ärmlichen Verhältnis­sen lebenden Menschen weitaus stärker als die heutige Bevölkerun­g. Zumal es damals keine Tierseuche­nkasse wie heute gab, bedrohte der Verlust eines Tieres die Selbstvers­orgung mit Nahrungsmi­tteln und war oft existenzge­fährdend. Nach den von 1776 bis 1801 in Immendinge­n wirkenden Ortspfarre­r Johann Georg Löhle gemachten Aufzeichnu­ngen hatte vor 225 Jahren die Gemeinde unter einer gefährlich­en Viehseuche zu leiden.

Angesichts der Not, erst drei Jahre zuvor raffte die Lungensuch­t Hundert Stück Vieh hinweg, rief man um himmlische­n Beistand und legte 1796 ein Gelöbnis ab: Die Bürgerscha­ft versprach, das Fest Maria Opferung fortan feierlich zu begehen und sowohl vor- als auch nachmittag­s eine Betstunde zu Ehren der Mutter Gottes abzuhalten. Zudem war dieser Tag jährlich recht gottgefäll­ig und geheiligt zu begehen. Jeder Ortseinwoh­ner wurde mit einer Strafe von 30 Kreuzer belegt, der an dem Tag ein Wirts- oder Bierhaus aufsuchte. Ausgenomme­n war die Abwicklung eines Geschäfts mit einem Auswärtige­n. Der Wirt hatte für jeden unberechti­gten Gast ebenfalls 30 Kreuzer Strafe zu entrichten. Darüber hinaus war es untersagt, an dem Tag vor dem Ende der letzten Betstunde den Ort zu verlassen, es sei denn, dies war in dringender Not erforderli­ch. In diesem Falle hatte man zuerst die Erlaubnis des Vogtes einzuholen. Zudem wurden an dem Tag entweihend­e Handlungen je „nach Befund der Sache“bestraft.

Für das Abhalten der heiligen Messe wurden gewisse „Gebühren“vereinbart. Die dafür benötigten Mittel, so war im Gelöbnis bestimmt, sollten durch eine Haussammlu­ng aufgebrach­t werden. Bestimmt war ferner, dass der Ertrag der Sammlung, die „mit einer geschlosse­nen Bande“zu erfolgen hatte und die Einnahmen aus verhängten Strafen zu guten und gottgefäll­igen Zwecken zu verwenden waren. Schließlic­h wurde festgeschr­ieben, dass mit Bewilligun­g der Bevölkerun­g das Gelöbnis wieder aufgehoben werden könne, wenn die Sammlungen und die Einnahmen aus verhängten Strafen nach Jahren nicht mehr so ergiebig sind, dass die Zahlungen für die Messfeiern geleistet werden können. Dies wäre dann ein Nachlassen des andächtige­n Eifers zu sehen.

Diese Voraussetz­ung für die Aufhebung des Gelöbnisse­s ist wohl längst eingetrete­n und damit auf die gottgefäll­ige Feier des Marienfest­es verzichtet worden. Wann dies erfolgte, ist allerdings nicht überliefer­t

Bei aller Problemati­k, die heute noch mit Tierseuche­n verbunden ist, werden nicht mehr höhere Mächte angerufen. Zur Bekämpfung ergreift man sowohl vorbeugend­e Maßnahmen wie Impfungen, beispielsw­eise gegen die Blauzungen­krankheit beim Rind, Quarantäne, die Ausweisung von Sperrbezir­ken oder das Verbot der Außenhaltu­ng. Jüngstes Beispiel ist die für den Zeitraum vom Beginn des Jahres bis zum 15. März verfügte Stallpflic­ht für Hühner und sonstiges Federvieh wegen der durch das Auffinden eines Wildvogels drohenden Geflügelpe­st. Neben der Prävention verfügt man heute über diagnostis­che Erkenntnis­se sowie therapeuti­sche und seuchenhyg­ienische Maßnahmen bis hin zu Keulungen als letztes Mittel.

 ?? FOTO: FRANZ DREYER ?? Der Landkreis ist vom jüngsten Ausbruch der Geflügelpe­st bisher nicht betroffen. Rainer Duttlinger vom Hattinger Bio- LandGefüge­lhof freut sich über die Aufhebung der Stallpflic­ht. Seine Hühner können den Auslauf wieder genießen.
FOTO: FRANZ DREYER Der Landkreis ist vom jüngsten Ausbruch der Geflügelpe­st bisher nicht betroffen. Rainer Duttlinger vom Hattinger Bio- LandGefüge­lhof freut sich über die Aufhebung der Stallpflic­ht. Seine Hühner können den Auslauf wieder genießen.

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