Wissenschaft statt gottgefälligem Gelöbnis
Tierseuchen damals und heute: Vor 225 Jahren riefen Immendinger himmlischen Beistand
- Noch ist der Landkreis Tuttlingen vom jüngsten Ausbruch der Geflügelpest nicht betroffen. Tierseuchen wie diese sind auch kein neues Phänomen. Denn zu allen Zeiten gab es Tierseuchen. Doch der Umgang damit hat sich grundlegend geändert.
Früher traf der Verlust von Nutztieren insbesondere die in ärmlichen Verhältnissen lebenden Menschen weitaus stärker als die heutige Bevölkerung. Zumal es damals keine Tierseuchenkasse wie heute gab, bedrohte der Verlust eines Tieres die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln und war oft existenzgefährdend. Nach den von 1776 bis 1801 in Immendingen wirkenden Ortspfarrer Johann Georg Löhle gemachten Aufzeichnungen hatte vor 225 Jahren die Gemeinde unter einer gefährlichen Viehseuche zu leiden.
Angesichts der Not, erst drei Jahre zuvor raffte die Lungensucht Hundert Stück Vieh hinweg, rief man um himmlischen Beistand und legte 1796 ein Gelöbnis ab: Die Bürgerschaft versprach, das Fest Maria Opferung fortan feierlich zu begehen und sowohl vor- als auch nachmittags eine Betstunde zu Ehren der Mutter Gottes abzuhalten. Zudem war dieser Tag jährlich recht gottgefällig und geheiligt zu begehen. Jeder Ortseinwohner wurde mit einer Strafe von 30 Kreuzer belegt, der an dem Tag ein Wirts- oder Bierhaus aufsuchte. Ausgenommen war die Abwicklung eines Geschäfts mit einem Auswärtigen. Der Wirt hatte für jeden unberechtigten Gast ebenfalls 30 Kreuzer Strafe zu entrichten. Darüber hinaus war es untersagt, an dem Tag vor dem Ende der letzten Betstunde den Ort zu verlassen, es sei denn, dies war in dringender Not erforderlich. In diesem Falle hatte man zuerst die Erlaubnis des Vogtes einzuholen. Zudem wurden an dem Tag entweihende Handlungen je „nach Befund der Sache“bestraft.
Für das Abhalten der heiligen Messe wurden gewisse „Gebühren“vereinbart. Die dafür benötigten Mittel, so war im Gelöbnis bestimmt, sollten durch eine Haussammlung aufgebracht werden. Bestimmt war ferner, dass der Ertrag der Sammlung, die „mit einer geschlossenen Bande“zu erfolgen hatte und die Einnahmen aus verhängten Strafen zu guten und gottgefälligen Zwecken zu verwenden waren. Schließlich wurde festgeschrieben, dass mit Bewilligung der Bevölkerung das Gelöbnis wieder aufgehoben werden könne, wenn die Sammlungen und die Einnahmen aus verhängten Strafen nach Jahren nicht mehr so ergiebig sind, dass die Zahlungen für die Messfeiern geleistet werden können. Dies wäre dann ein Nachlassen des andächtigen Eifers zu sehen.
Diese Voraussetzung für die Aufhebung des Gelöbnisses ist wohl längst eingetreten und damit auf die gottgefällige Feier des Marienfestes verzichtet worden. Wann dies erfolgte, ist allerdings nicht überliefert
Bei aller Problematik, die heute noch mit Tierseuchen verbunden ist, werden nicht mehr höhere Mächte angerufen. Zur Bekämpfung ergreift man sowohl vorbeugende Maßnahmen wie Impfungen, beispielsweise gegen die Blauzungenkrankheit beim Rind, Quarantäne, die Ausweisung von Sperrbezirken oder das Verbot der Außenhaltung. Jüngstes Beispiel ist die für den Zeitraum vom Beginn des Jahres bis zum 15. März verfügte Stallpflicht für Hühner und sonstiges Federvieh wegen der durch das Auffinden eines Wildvogels drohenden Geflügelpest. Neben der Prävention verfügt man heute über diagnostische Erkenntnisse sowie therapeutische und seuchenhygienische Maßnahmen bis hin zu Keulungen als letztes Mittel.