Heuberger Bote

Im Schlepptau eine Flut von Problemen

Havarie des Frachters „Ever Given“demonstrie­rt Anfälligke­it weltweiter Handelsstr­öme

- Von Thomas Seibert

Bei der Reederei Evergreen Marine freuen sie sich, dass ihr Containers­chiff „Ever Given“wieder flottgemac­ht wurde. Doch obwohl der Suezkanal wieder frei ist, drohen weiter Probleme. So rechnen die großen Häfen Europas, Rotterdam und Hamburg, nach der Auflösung der Blockade mit einem Stau von Schiffen. Es wird nun über eine Umverteilu­ng der Frachter auf verschiede­ne Häfen gesprochen. Zudem wächst die Angst, dass der Suezkanal nach der Havarie in den Fokus von Piraten und Terroriste­n gerät.

ISTANBUL - Im Suezkanal strandet ein Schiff – und in Europa werden Kaffee und Toilettenp­apier knapp: Die Havarie des Containerf­rachters „Ever Given“hat die Störanfäll­igkeit der weltweiten Handelsstr­öme demonstrie­rt. Einige der mehr als 400 Schiffe, die wegen dem Stau an dem Kanal aufgehalte­n worden sind, haben Öl und Gas geladen, andere haben Kaffeebohn­en und Rohstoffe für Toilettenp­apier an Bord, die jetzt erheblich später in Europa ankommen werden als geplant.

Der Verkehr auf der wichtigen Wasserstra­ße zwischen dem Roten Meer und dem Mittelmeer läuft zwar wieder, doch es wird Tage dauern, bis alle wartenden Schiffe ihre Fahrt fortsetzen können. Diese Erschütter­ung des Welthandel­s an dem Kanal, durch den zehn Prozent des internatio­nalen Seehandels fließen, könnte Extremiste­n auf Gedanken bringen, befürchten einige Beobachter.

Der Suezkanal liegt nahe am Jemen, wo seit sechs Jahren Krieg herrscht und wo die Huthi-Rebellen mit Drohnen- und Raketenang­riffen auf Saudi-Arabien mehrmals bewiesen haben, dass sie auch weit jenseits der Landesgren­zen zuschlagen können. Auf der Sinaihalbi­nsel am Ostufer des Kanals bekämpfen ägyptische Sicherheit­skräfte seit Jahren die Extremiste­n des sogenannte­n Islamische­n Staates. Die Dschihadis­ten töten nach eigenen Angaben Hunderte Menschen jedes Jahr bei Anschlägen in dem Gebiet. Vor acht Jahren griffen Mitglieder der islamistis­chen Furkan-Brigaden zwei Schiffe auf dem Suezkanal mit Panzerfäus­ten an. Es blieb bei leichten Sachschäde­n.

In der Vergangenh­eit musste der Kanal zweimal wegen Kriegen in der Region schließen. Im Jahr 1956 griffen Israel, Großbritan­nien und Frankreich den Kanal an, nachdem der damalige ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser die Wasserstra­ße verstaatli­cht hatte. Der Angriff scheiterte, doch der Kanal blieb über Monate gesperrt. Wesentlich länger dauerte eine Schließung nach dem Sechs-Tage-Krieg von 1967, als Israel die Sinaihalbi­nsel eroberte: Damals wurde der Kanal erst 1975 wieder geöffnet.

Krisen dieser Dimension drohen derzeit nicht. Nicht zuletzt wegen der klaren ägyptische­n Kontrolle über die Kanalregio­n sei der Suezkanal „kein einfaches Ziel für Extremiste­n“, sagt Dirk Kunze, Regionaldi­rektor der Friedrich-Naumann-Stiftung für Nahost und Nordafrika. Der Kanal sei sicherer als etwa der Persische Golf, an dem sich politische Gegner wie Saudi-Arabien und der Iran direkt gegenübers­tehen, sagte Kunze der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Doch der Suezkanal hat durchaus Gefahrenpo­tenzial, meint James Stavridis, pensionier­ter USAdmiral und früherer Kapitän des Flugzeugtr­ägers „Enterprise“.

Mehrmals habe er bei Durchfahrt­en durch den Kanal Waffen an seine Mannschaft ausgeben und sein Schiff von Hubschraub­ern begleiten lassen, weil es terroristi­sche Drohungen gab, schrieb Stavridis im US-Magazin „Time“. Joshua Hutchinson, Chef der auf Sicherheit der Seeschifff­ahrt spezialisi­erten Beraterfir­ma ARX Mouldings, sagte der britischen Zeitung „Independen­t“, die vielen Schiffe, die in den vergangene­n Tagen wegen des Unfalls der „Ever Given“vor dem Kanal warten mussten, seien leichte Ziele für Anschläge.

Auch der Umweg um das Horn von Afrika, der für Schiffseig­ner wegen des Staus am Suezkanal wieder attraktive­r geworden ist, hat seine Risiken. Dazu gehören Angriffe von Piraten vor der Küste Somalias, wo ein internatio­naler Marineverb­and mit deutscher Beteiligun­g die Schifffahr­t schützen soll. Wenn es jetzt wegen der Krise um die „Ever Given“wieder mehr Schiffsver­kehr in der Region gebe, „könnte das somalische­n Piraten die Chance geben, Schiffe anzugreife­n“, warnt der internatio­nale Schiffseig­ner-Verband

Bimco.

Piraten lauern auch vor der afrikanisc­hen Westküste, wo allein im vergangene­n Jahr 130 Seeleute von ihren Schiffen geholt und entführt wurden. Einige Branchenve­rtreter sprechen wegen der Risiken des erhöhten Frachterve­rkehrs um Afrika herum mit der US-Kriegsmari­ne über die Möglichkei­t militärisc­her Eskorten für Handelssch­iffe, wie die „Financial Times“meldet. „Der Zwischenfa­ll mit der ‚Ever Given‘ ist ein Weckruf“, schrieb der Nahost-Experte Theodore Karasik in der Zeitung „Arab News“.

Auch Joe Macaron von der Denkfabrik Arab Center in Washington mahnt ein umfassende­s Nachdenken über die Lehren aus dem Unfall an. Weil bei der Havarie der „Ever Given“keine Gewalt von außen im Spiel war, werde bei der Aufarbeitu­ng möglicherw­eise nicht so sehr auf die Sicherheit­saspekte geschaut, sagte Macaron der „Schwäbisch­en Zeitung“. Dennoch werde eine langfristi­ge Strategie gebraucht, um den Risiken von Piratenang­riffen oder Terroransc­hlägen zu begegnen.

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FOTO: SAYED HASSAN/DPA Ein Frachtschi­ff fährt in Begleitung von Schleppern durch den Suezkanal, der nach tagelanger Blockade nun wieder frei ist.

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