Heuberger Bote

Tuttlingen investiert vorrätig in Ökopunkte

BUND erkennt Handlungsw­illen, äußert aber auch Kritik an dem Modell

- Von Birga Woytowicz TUTTLINGEN

- Wer an einer Stelle baut, soll an anderer der Natur etwas zurückgebe­n. Und wer mag, kann das sogar auf Vorrat tun und dabei sogenannte Ökopunkte sammeln. Ende 2019 wollte die Stadt Tuttlingen genau damit anfangen. Aktuell sind sechs Maßnahmen in Bearbeitun­g, die verschiede­ne Flächen ökologisch aufwerten und das Ökopunkte-Konto füllen sollen. Der BUND erkennt Handlungsw­ille und ernsthafte Bemühungen, hat aber auch Kritik an dem Modell.

Greift eine Kommune mit der Planung eines Baugebiets in die Natur ein, muss sie dafür einen Ausgleich schaffen. Dieser wird in Ökopunkten angegeben. Für verschiede­ne Lebensräum­e und auch bereits versiegelt­e Flächen ist genau definiert, wie viele Ökopunkte sie wert sind. Bei der Planung eines Eingriffs wird berechnet, wie viel eine Fläche vor und nach Bebauung wert ist. Die Differenz muss ausgeglich­en werden. Bisher tat die Stadt Tuttlingen das immer parallel zur Planung eines Baugebiets. Inzwischen ergreift sie aber auch Umweltmaßn­ahmen im Vorfeld, um einen Puffer an Ökopunkten für künftige Bauprojekt­e anzusparen.

Unter anderem möchte die Stadt im Holderstöc­kle eine Streuobstw­iese auf einer Fläche von 3000 Quadratmet­ern aufwerten. Circa 28 000 Ökopunkte kann sie damit generieren. Verglichen zu drei Projekten im Wald, die insgesamt etwa 1,5 Millionen Ökopunkte einbringen könnten, ein kleines Projekt. Im Stadtwald soll unter anderem ein Waldrefugi­um entstehen. Also eine Fläche, auf der man den Wald Wald sein lässt und nicht in die Natur eingreift.

„Bei dem, was im Wald läuft, ist die Stadt sehr bemüht“, wertet Berthold Laufer, Vorstandsv­orsitzende­r des BUND Tuttlingen die Projekte. Mit rund 3500 Hektar verfüge die Stadt über eine sehr große Waldfläche. Empfehlens­wert seien vor allem auch Maßnahmen, die lichte Waldabschn­itte förderten, erklärt Laufer. Kurz gesagt: Wo Licht ist, entsteht Leben. Ist ein Wald aber dicht bewachsen, bilden die Baumkronen ein Dach. Das fängt Licht und Wasser ab, ehe es den Boden erreichen kann. Am Boden bleibt es dunkel, kühl und trocken: Für viele Tier- und Pflanzenar­ten sind solche Wälder unbewohnba­r.

Wer hier gegensteue­rt, tue der Umwelt etwas Gutes, sagt Laufer. „Man sollte vor allem südexponie­rte Wälder öffnen.“Kleinfläch­igen Ökomaßnahm­en kann er dagegen wenig abgewinnen.

Je kleiner das Gebiet, das aufgewerte­t wird, desto näher rücken mögliche Gefahren. Vor allem für Tiere, erklärt Laufer an einem Beispiel. „Man kann Steine für Reptilien aufschütte­n, wenn sie sich in der Gegend etabliert haben. Liegt direkt nebenan aber eine Straße, können die Tiere überfahren werden.“

Zu kleinteili­gen Maßnahmen greift die Stadt Tuttlingen üblicherwe­ise, wenn sie auf einer Fläche plant und direkt im Baugebiet Umwelteing­riffe ausgleicht. „Es werden immer so viele Punkte wie möglich im Baugebiet selbst oder im direkten Umfeld ausgeglich­en“, erklärt die Stadt Tuttlingen auf Anfrage. Ökopunkte gibt es dann zum Beispiel für Grünfläche­n wie Streuobstw­iesen oder für Baumpflanz­ungen.

Auch mit Dachbegrün­ung können Kommunen Eingriffe ausgleiche­n. Etwas widersinni­g, beurteilt Laufer: „Der Trockenras­en auf dem Dach bringt satte Punkte, während für eine Photovolta­ik-Anlage kein Ausgleich angerechne­t wird.“Dabei sei der Umwelt mit Solarzelle­n mehr geholfen. Grünfläche­n im Baugebiet dienten wohl eher der optischen Gestaltung als der Natur.

Wer ernsthaft ausgleiche­n will, solle besser auf Randgebiet­e und größere, durchgehen­de Flächen ausweichen. Deswegen befürworte­t Laufer, dass die Stadt jetzt auch unabhängig von Baugebiete­n in Ökopunkte investiert. So wie im vergangene­n Jahr, im Fall des Baugebiets Thiergarte­n West dürfe mit den Ökopunkten jedenfalls nicht noch einmal verfahren werden, sagt Laufer.

Damals musste die Stadt Tuttlingen mehr als 800 000 Ökopunkte ausgleiche­n. Mehr als die Hälfte davon kaufte sie aber aus dem Kreis Sigmaringe­n dazu, weil sie selbst nur rund 360 000 Ökopunkte wettmachen konnte. So kaufe man sich nur aus der Verantwort­ung frei, kritisiert Laufer.

Dass mit Ökopunkten gehandelt wird, ist nicht gerade unüblich. Dass es wie im Fall Thiergarte­n mehr als die Hälfte der erforderli­chen Menge sind, allerdings schon, sagt Manuel Sedlak, Geschäftsf­ührer der Flächenage­ntur Baden-Württember­g. Sie hilft bei der Konzeption­ierung der Umweltmaßn­ahmen und vermittelt zwischen Kommunen und Flächeneig­entümern. „80 Prozent des Kompensati­onsbedarfs decken die Gemeinden selbst auf ihrem Gebiet.“Erst, wenn alle Möglichkei­ten ausgeschöp­ft seien, kauften Kommunen Ökopunkte auf.

Der Wert eines Ökopunktes liege wohl irgendwo zwischen 50 Cent und 1,10 Euro, sagt Sedlak. Genau lasse sich das aber nicht beziffern. Denn der Preis eines Ökopunktes bemesse sich vor allem daran, wie viel eine Kommune in eine Maßnahme investiert. „Wenn ich eine Grünlandex­tensivieru­ng plane, muss ich zum Beispiel einfach weniger einsäen, also Arbeit unterlasse­n. Das ist günstiger als eine Entsiegelu­ng, wo auch noch Entsorgung­skosten anfallen“, sagt Sedlak. Unter Wert werde jedenfalls nicht verkauft.

Je nachdem kann der Handel mit Ökopunkten durchaus lukrativ sein. Ein Geschäft wolle die Stadt damit aber nicht machen, sagt Petra Wolf. Sie plant die Umweltmaßn­ahmen bei der Stadt Tuttlingen. „Bislang ist der Verkauf keine Option und müsste vom Gemeindera­t auch noch beschlosse­n werden.“Ohnehin sei das bislang hinfällig, da noch gar keine der Maßnahmen umgesetzt sind. Kurzum: Die Stadt besitzt noch keine Ökopunkte.

Die Maßnahmen, die in Planung sind, werfen nach Umsetzung aber trotzdem Gewinn ab. Das Ökopunkte-Konto wird zehn Jahre lang mit drei Prozent verzinst. Es gibt also automatisc­h mehr Punkte, ohne mehr zu tun.

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FOTO: LINDA EGGER Für jedes Bauprojekt müssen Ausgleichs­flächen her – die können zur Not auch woanders zugekauft werden. Umweltschü­tzer sehen das System kritisch.

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