Klimaschützer feiern Urteil
Verfassungsgericht verlangt vom Bund Nachbesserungen
(dpa) - Umweltverbände sowie die Aktivisten von Fridays for Future zeigten sich am Donnerstag begeistert vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach das Bundes-Klimaschutzgesetz zu kurz greift. Martin Kaiser, Chef von Greenpeace Deutschland, sprach von einem „sensationellen Urteil“. Luisa Neubauer von Fridays for Future von einem „unfassbar großen Tag“. Klimaschutz sei ein Grundrecht. Jörg-Andreas Krüger, Chef des Naturschutzbunds Deutschland (Nabu), betonte: „Freiheit bedeutet jetzt gerichtlich verbrieft eine hohe Artenvielfalt und ein stabiles Klima.“
Die Karlsruher Richter verpflichteten den Gesetzgeber, bis Ende 2022 die Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen für die Zeit nach 2030 näher zu regeln. Verfassungsbeschwerden mehrerer Klimaschützer waren zum Teil erfolgreich. Die zum Teil noch sehr jungen Beschwerdeführenden seien durch die Regelungen in dem Gesetz in ihren Freiheitsrechten verletzt.
- Selbst die Kläger schienen vom Urteil überrascht zu sein. „Die großen Auswirkungen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts werden erst langsam realisiert“, hieß es bei den Umweltverbänden hinterher. Tatsächlich können sie einen Sieg feiern, der von historischer Tragweite sein könnte: Die Karlsruher Richter haben die Klimapolitik der Bundesregierung für teils verfassungswidrig erklärt.
Beanstandet wird das Klimaschutzgesetz der Großen Koalition. Es legt für einzelne Bereiche wie Verkehr, Landwirtschaft oder Gebäude fest, wie viel CO2 sie in welchem Jahr ausstoßen dürfen. Dieses Gesetz aber, so das Verfassungsgericht, verstößt gegen das Prinzip der Generationengerechtigkeit. Die Regierung gehe darin sehr nachsichtig mit den Menschen von heute um, weswegen kommende Generationen um so gravierendere Einschränkungen hinnehmen müssten.
So sieht das Gericht zwar keinen Verstoß gegen die „grundrechtlichen Schutzpflichten“, auch keinen Verstoß gegen das Klimaschutzgebot an sich. Weil die Vorgaben aber die Hauptlast der CO2-Einsparungen, zu denen man sich mit dem Pariser Klimaabkommen verpflichtet hat, auf nach 2030 verschieben, würden die teils „sehr jungen Beschwerdeführenden“in ihren Freiheitswerten verletzt. „Von diesen künftigen Emissionsminderungspflichten ist praktisch jegliche Freiheit potenziell betroffen, weil noch nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden und damit nach 2030 von drastischen Einschränkungen bedroht sind“, heißt es in der Erklärung. Künftig, so die Richter, könnten gravierende Freiheitseinbußen zum Schutz des Klimas gerechtfertigt sein. Die Regierung müsse bis Ende 2022 Vorkehrungen treffen, um die Lasten abzumildern.
An Vorschlägen dazu mangelt es den Umweltverbänden nicht: Ein schnellerer Ausstieg aus der Kohle müsse her und ein Tempolimit auf Autobahnen, die Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 müsse gestoppt, öffentliche Gebäude saniert werden. Die GroKo hingegen dürfte sich schwertun. So begann bereits kurz nach Bekanntwerden des Urteils ein Hauen und Stechen, wer für die Ohrfeige aus Karlsruhe verantwortlich sei. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) versuchte, den Schwarzen Peter in die Tasche des gleichnamigen Wirtschaftsministers Altmaier (CDU) zu schieben. Der wiederum verwies auf seine Vorschläge von vergangenem Herbst, die die jährlichen CO2-Einsparungen – wie vom Gericht gefordert – festlegen würden, die aber mit der zweiten Corona-Welle untergegangen sind. Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) kündigte eine Reform des Klimaschutzgesetzes bis zum Sommer an.