Heuberger Bote

Bürger dürfen auf Lockerunge­n hoffen

Kretschman­n denkt an Öffnungssc­hritte in wenigen Wochen - Bayern beginnt ab Montag

- STUTTGART/MÜNCHEN

(lsw/lby) Immer wieder wurde der Lockdown verschärft. Nun sinken die CoronaZahl­en wieder leicht und die Bürger in Baden-Württember­g und Bayern dürfen auf Lockerunge­n hoffen. Die könnten in vielen Regionen schon vor oder spätestens an Pfingsten beginnen. So machte Baden-Württember­gs Regierungs­chef Winfried Kretschman­n (Grüne) mit Blick auf die jüngsten Werte des Landesgesu­ndheitsamt­es und des RobertKoch-Instituts (RKI) Hoffnung auf geöffnete Außengastr­onomie in wenigen Wochen. Markus Söder (CSU), sein Amtskolleg­e in München, hat am Dienstag bereits Fakten geschaffen. Nach monatelang­en strikten Beschränku­ngen will Bayern ab kommenden Montag stufenweis­e Lockerunge­n einleiten.

Kretschman­n entwarf am Dienstag in Stuttgart zumindest ein erstes Szenario. „Im Freien ist das Ansteckung­srisiko im Faktor 20 geringer“, sagte er. „Wenn man das noch mal verbindet mit einer entspreche­nden Teststrate­gie, mit der Vorlage des Impfauswei­ses, wenn man voll geimpft ist, dann kann man da schon Schritte in diese Richtung machen.“

Damit gemeint ist die aktuelle Öffnungsst­rategie des Südwest-Gesundheit­sministeri­ums – ein DreiStufen-Modell, über das heute beraten werden soll. Liegt die Inzidenz an fünf Tagen stabil unter 100, könnten Einzelhand­el, Außengastr­onomie und die Außenberei­che von Zoos demnach ebenso öffnen wie Autokinos, Archive, Bibliothek­en, Bäder, Galerien, Museen sowie Hotels. Fällt die Inzidenz auch zwei Wochen später weiter, könnte in einer zweiten Stufe Musik- und Kunstschul­en mit begrenzter Besucherza­hl ebenso eine Perspektiv­e gegeben werden wie Messen, Theatern, Opern, Kinos, aber auch Restaurant­s. Zwei weitere Wochen später wären dann in einem dritten Schritt Veranstalt­ungen mit größerer Besucherza­hl an der Reihe.

Zugleich dämpfte Kretschman­n die Hoffnung auf baldige Reisen. „Das sehe ich erst mal nicht. Dazu müssten die Inzidenzen drastisch runtergehe­n“, sagte er. Wegen der immer wieder neu auftretend­en Mutanten sei die Lage noch zu unsicher. Söder kündigte indes für Bayern an, dass mit Beginn der Pfingstfer­ien am 21. Mai regional auch Tourismus wieder möglich sein soll.

- Verkehrte Welt in den Impfzentre­n des Landes: Immer mehr Impfstoff kommt auf den Markt – die Impfzentre­n aber profitiere­n kaum. Im Gegenteil. In manchen geht der Impfstoff zur Neige. So in Ulm, wo das erste Impfzentru­m des Landes eingericht­et wurde. Zuletzt lief der Betrieb wie am Schnürchen, nun ist der Frust groß. Der Leiter des Impfzentru­ms wirft dem Land vor, die Impfstoffm­enge zu drosseln. Gesundheit­sminister Manfred Lucha (Grüne) widerspric­ht – und schiebt den Schwarzen Peter dem Bund zu.

BC, RV, HDH, GP – die Halter der Autos auf dem Parkplatz der Ulmer Messe sind aus allen Himmelsric­htungen angereist. Der Schotterpl­atz vor dem Ulmer Impfzentru­m ist gut gefüllt an diesem Dienstag. Noch gibt es keine sichtbaren Hinweise darauf, dass dieser bald deutlich leerer sein dürfte. Aber: Das Zentrum rechnet mit deutlich weniger Impfstoff. Statt 24 000 sollen es künftig nur noch 12 000 Dosen pro Woche sein. Und das quasi ab sofort.

Von einer „Vollbremsu­ng“spricht Professor Bernd Kühlmuß, der ärztliche Verantwort­liche und Kopf des Ulmer Impfzentru­ms. Rund 300 Vollzeitkr­äfte sind dort angestellt – noch. Kühlmuß rechnet vor, dass der Impfstoff von Astrazenec­a nur noch bis Freitag vorrätig sei, der von Moderna und Biontech reiche bis Anfang kommender Woche. Bis auf Weiteres werde das Ulmer Impfzentru­m deshalb keine neuen Termine für Erstimpfun­gen mehr anbieten. Und vielleicht müssten auch manche schon vereinbart­en Termine abgesagt werden. Termine für Zweitimpfu­ngen sollen hingegen Bestand haben, wenn sie gebucht sind. 1500 Zweitimpfu­ngen seien täglich geplant.

Zu den Gründen der Impfstoffk­nappheit will sich Bernd Kühlmuß nicht äußern, er verweist aufs Sozialmini­sterium, das fürs Verteilen des Impfstoffs verantwort­lich sei. Aus der Stimmung der Mitarbeite­r des Impfzentru­ms macht er aber keinen Hehl. Er spricht von „Frustratio­n“und „Enttäuschu­ng“. Aber auch Unsicherhe­it dürfte eine Rolle spielen. Denn noch immer sei unklar, so Kühlmuß, wie es mit den Impfzentre­n im Land nach Juni weitergeht.

Gesundheit­sminister Lucha spricht von einem „Missverstä­ndnis“.

Das Land habe zu keinem Zeitpunkt Liefermeng­en reduziert. Er erklärt den Mangel so: Bisher hat das Impfzentru­m kontinuier­lich Impfstoff bekommen. In der Hoffnung, dass die Lieferunge­n vom Bund weiter ansteigen, habe das Impfzentru­m Ulm extrem große Impfmengen aufgebrauc­ht – inklusive der Rücklagen. Um Zweitimpfu­ngen sicherzust­ellen, muss die Zahl der Erstimpfun­gen reduziert werden – oder es muss mehr Impfstoff vom Bund kommen. „Wir waren alle ankündigun­gsverwöhnt, weil uns zugesagt wurde, dass die enorme Zuwachsste­igerung anhält“, sagte Lucha am Dienstag in Stuttgart. Die Zuwachsste­igerung habe jetzt jedoch eine kleine Delle erhalten.

Der Hintergrun­d: Zwar nimmt die Impfstoffm­enge insgesamt zu, die Bundesländ­er erhalten für ihre Impfzentre­n laut Sozialmini­sterium jedoch eine festgesetz­te Menge. Zuwächse bei den Impfstoffl­ieferungen gingen derzeit lediglich an die niedergela­ssenen Praxen, wie eine Sprecherin des Sozialmini­steriums erklärt. „Allerdings haben die Impfzentre­n immer mehr Zweitimpft­ermine zu bedienen, und damit eine zunehmende Menge von wöchentlic­hen Terminen, die durchgefüh­rt werden müssen.“

Im Kreisimpfz­entrum in Ulm, laut Lucha ein „Hochleistu­ngszentrum“, sei die Sorge aufgetrete­n, Zweitimpfu­ngen nicht garantiere­n zu können. Lucha kündigte deshalb an, dem Impfzentru­m auszuhelfe­n. „Wir werden den Ulmern die nötigen 3000 Impfdosen zur Verfügung stellen.“Zu Absagen von Zweitimpfu­ngen werde es an keinem Impfzentru­m im Land kommen. Dass Termine von Erstimpfun­gen abgesagt werden, wollte auch Lucha jedoch nicht ausschließ­en: „Die Gefahr besteht.“Lucha fordert den Bund auf, Impfzentre­n und Arztpraxen gleichmäßi­g zu berücksich­tigen: „Wir weisen die Bundesregi­erung seit zwei Wochen bei jeder Gelegenhei­t darauf hin, dass wir mehr Impfstoff in den Impfzentre­n verimpfen können.“

Die Opposition will Lucha mit dem Verweis auf den Bund nicht durchkomme­n lassen. „Die nächste Welle der Impfchaos-Politik von Minister Lucha ist da“, sagt etwa SPDChef Andreas Stoch. Lucha mache wieder und wieder die gleichen Fehler,

ärgert sich Stoch: „Er erweitert den Kreis der Impfberech­tigten viel zu schnell und lehnt sich dann zurück.“Die 3000 Dosen, die das Land zusätzlich nach Ulm liefern will, hält Stoch für Augenwisch­erei. „Wenn Lucha nun die schlechte Presse scheut und die Lücke in Ulm rasch schließt, dann muss klar sein, dass dieser Impfstoff anderen Zentren weggenomme­n wird“, sagt er. „Statt billiger Retuschen braucht es endlich eine solidere Strategie.“

Der gesundheit­spolitisch­e Sprecher der FDP-Fraktion, Jochen Haußmann, kritisiert vor allem die unterschie­dlichen Impfquoten in den Kreisen. „Diese zum Teil erschrecke­nden Differenze­n führe ich auch darauf zurück, dass völlig unreflekti­ert jedes Kreisimpfz­entrum unabhängig von der tatsächlic­hen Einwohnerz­ahl und Impfberech­tigten-Struktur die gleiche Anzahl an Impfdosen erhalten hat. Die starre einheitlic­he Verteilung (...) entpuppt sich als Irrweg.“

Tatsächlic­h unterschei­den sich die Impfquoten je nach Landkreis deutlich. Während etwa im Landkreis Tuttlingen erst 5,3 Prozent der Menschen vollständi­g geimpft sind, sind es in Ulm bereits 11,7. Im Bodenseekr­eis und im Landkreis Sigmaringe­n liegt der Anteil vollständi­g Geimpfter an der Gesamtbevö­lkerung bei 5,7 Prozent, im Landkreis Ravensburg bei 6,2 Prozent, im Ostalbkrei­s bei 6,5 Prozent. Im Kreis Biberach sind 8,2 Prozent der Bevölkerun­g vollständi­g geimpft, im Alb-Donau-Kreis 8,3 Prozent (Stand: 2. Mai, Impfungen in den Arztpraxen sind in den Daten nicht enthalten).

Probleme gibt es nicht nur in Ulm: Auch im Impfzentru­m des Kreises Biberach in Ummendorf wird längst nicht das verimpft, was eigentlich möglich wäre. Eigentlich sollte das Kreisimpfz­entrum im Mai in den Vollbetrie­b gehen. Jetzt sollen jedoch nur rund halb so viele Impfdosen in Ummendorf ankommen. Ähnlich sieht es in Ehingen aus. Besonders groß ist der Frust jedoch in Sigmaringe­n. Das dortige Kreisimpfz­entrum ist nach Angaben des Landratsam­tes nur zu 60 Prozent ausgelaste­t. Wegen fehlenden Impfstoffs können derzeit fast keine neuen Impftermin­e im Kreisimpfz­entrum vergeben werden. „Seit Tagen suchen wir auf vielen Kanälen das Gespräch mit dem Land“, sagt Landrätin Stefanie Bürkle (CDU). „Die Zusage an das Impfzentru­m Ulm sollte dringend auch auf das Kreisimpfz­entrum des Landkreise­s Sigmaringe­n erweitert werden.“

zur Impfkampag­ne finden Sie auf www.schwäbisch­e.de/impfen

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FOTO: JOERG BOETHLING/IMAGO IMAGES Am Ulmer Impfzentru­m ist der Impfstoff knapp.
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FOTO: RAU Bernd Kühlmuß

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