„Ich darf unbequem sein“
Die Münchner Kunstsammlerin Ingvild Goetz wird 80 und bleibt ihrem Kurs treu
- Mit einer Grafikmappe des Pop-Art-Künstlers Eduardo Paolozzi ist sie eingestiegen, 1969 war das ihre erste Erwerbung. Doch längst zählt Ingvild Goetz zu den weltweit bedeutendsten Sammlerinnen zeitgenössischer Kunst. Und wer ihr mittlerweile dem Freistaat Bayern vermachtes Museum in München-Unterföhring besucht hat, war ständig am Staunen: über die ausgefallenen Werke, die hohe Qualität, das erhellende Zusammenspiel. Am 5. Mai wird Ingvild Goetz 80 Jahre alt. Christa Sigg hat sich mit ihr unterhalten.
Frau Goetz, der Kunstmarkt hat sich verstärkt ins Internet verlagert. Kaufen Sie auch online?
Überhaupt nicht. Kunst muss man sehen, im Raum erleben, das ist nicht mit einer digitalen Abbildung zu vergleichen.
Vermissen Sie das Reisen?
Sehr sogar. Auch der Besuch guter Ausstellungen geht mir wirklich ab. Kunst ist schon etwas Wesentliches, das merkt man erst, wenn man diese Begegnung nicht mehr hat und weiß, dass sich daran so schnell nichts ändern wird. Deshalb verstehe ich die Menschen, die jetzt sagen: Kann ich nicht wenigstens ins Museum gehen?
Sie entdecken dann auch keine neuen Künstler mehr?
Wie denn? Man kann keine Atelierbesuche machen, dasselbe gilt für die Galerien. Nehmen Sie zum Beispiel Michael Armitage, der bis vor Kurzem im Haus der Kunst gezeigt wurde. Im Katalog oder online funktioniert diese Malerei nicht so recht, aber wenn man in die Ausstellung kommt, ist man tief beeindruckt. Da sieht man die feinen Pinselstriche, das Material der Leinwände, die zum Teil aus Baumrinde bestehen. Das spielt doch alles eine Rolle.
Darauf kommt es beim Digitalkünstler Beeple gar nicht an. Bei Christie’s ist im März eine Collage aus 5000 winzigen Internet-Bildern für 69 Millionen Dollar versteigert worden.
Und gekauft hat es ein Investor von Kryptowährungen. Das ist eine klare Nachricht an den Markt, denn Sammler, die vor allem auf Wertsteigerungen setzen, werden sich jetzt auf diese Kunst stürzen. Letztendlich ist es völlig egal, welche Kunst das ist, wenn ihr Preis plötzlich so in die Höhe schießt.
Verdirbt das echten Sammlern nicht die Freude?
Natürlich. Aber das sind zwei verschiedene Welten: In der einen geht es nur um die Aktie, egal ob gut oder schlecht. Und wehe, ein Kunstwerk sinkt wider Erwarten im Wert! Auf der anderen Seite gibt es Sammler, die erst auf die Kunst schauen und sich sogar freuen, ein unbekanntes Talent aufzuspüren. Das sind die Entdecker, die anderen die Aktionäre.
Das Entdecken macht Arbeit. Aber auch riesigen Spaß. Mir ging das mit zwei Künstlern so, doch als sie bekannt wurden, war die Begeisterung bald vorbei, denn sie sind zu Modekünstlern geworden.
Weil Sie sich angepasst haben?
Das sind oft guet Künstler, aber sich diese Eigenständigkeit zu bewahren, erfordert viel Kraft. Andreas Gursky zum Beispiel ist auf einmal sehr spröde geworden, um sich nicht von den dekorativen Wunschvorstellungen bestimmter Sammler vereinnahmen zu lassen. In dieser Ecke fühlen sich die meisten nicht wohl, besonders wenn sie dann noch zu Spekulationsobjekten werden. Aber manche finden das auch toll.
Wer zum Beispiel?
Jeff Koons und Damien Hirst. Jeff Koons ist für mich allerdings ein Till Eulenspiegel, der der Gesellschaft den Spiegel vorhält: Genau das, was die Leute naserümpfend als Kitsch bezeichnen, erhebt er zu Kunst, und schon finden es alle wunderbar. Er arbeitet fast wie ein Konzeptkünstler, und das finde ich spannend.
Sie haben einen guten Riecher für Qualität. Kann man das trainieren?
Dahinter stehen viele Jahre Erfahrung. Ich habe viel gesehen und weiß sofort, wenn es eine Richtung schon einmal gab. Aber ich habe auch viele Fehler gemacht. Mich hat Kunst von klein auf interessiert, wenn ich mit meinen Eltern ins Museum ging, war das immer herrlich. Ich begann früh, Kunstpostkarten zu sammeln. Zum Beispiel Rembrandts „Mann mit dem Goldhelm“– aber nur wegen dieses kuriosen Helms. Manches habe ich dann nachgezeichnet.
Wollten Sie Künstlerin werden?
Ich habe aber schnell eingesehen, dass ich nicht begabt genug bin, und lieber einen Verlag für Künstlereditionen gegründet. Das war Ende der 1960er-Jahre in Konstanz. Dort bin ich dann auf die Filmemacherin Ulrike Ottinger gestoßen, die damals eine Kneipe hatte, in der viele Künstler verkehrten. So ging das los, und ich habe eine aufregende Zeit erlebt. Die Arte Povera in Italien fand ich interessant, auch in Deutschland hat sich viel getan, mir allerdings etwas zu oft mit erhobenem Zeigefinger.
Und die Amerikaner?
Ende der 1960er- und in den 1970ern war ich viel und lange in New York. Alleine dorthin zu reisen, war zu dieser Zeit richtig gefährlich. Ich habe viele Ateliers besucht und großartige Kunst gesehen. Einmal wollte ich einen Kunsthändler wegen Arbeiten von Cy Twombly aufsuchen – nur war der Händler kurz bevor ich ankam ermordet worden. Auch die Künstlerbesuche wurden meistens zum Abenteuer. Die Taxifahrer haben sich oft geweigert, in bestimmte Gegenden zu fahren.
Damals gab es kein Internet, wie haben Sie die ganzen Künstler und Ihre Adressen gefunden?
Der Schweizer Kurator Harald Szeemann saß einmal in derselben Maschine nach New York. Wir kamen ins Gespräch, und er gab mir Adressen und gute Tipps. Szeemann hat mir das
Tor in die Kunstwelt geöffnet. Und wenn ich mit einer Arbeit nichts anfangen konnte, hat er mich aufgefordert, wieder und wieder genau hinzusehen. Das war manchmal schwer.
Sie haben von Anfang an auf Frauen gesetzt und mussten nicht – wie das jetzt viele Museen tun – Ihren Kurs korrigieren.
Es gab damals nur so wenige! Mich hat diese männliche Dominanz in der Kunstwelt immer gewundert, ob das die Künstler selbst oder die Galeristen und die Sammler waren. In meiner Sammlung haben die Werke von Frauen einen besonderen Stellenwert, weil mich die Themen und Fragestellungen interessieren.
Es fällt auf, dass Sie auch nicht unbedingt die typischen Großmeister sammeln.
Eher nicht, aber natürlich habe ich Werke von Georg Baselitz und genauso von Anselm Kiefer. Manche Künstler wurden auch erst mit der Zeit zu Großmeistern.
Nach all den Begegnungen und den vielen Erfahrungen – reizt Sie die aktuelle Kunst?
Die Neugier lässt nicht nach, und ich kann mich immer noch für neue spannende Positionen begeistern. Mich interessiert, was die jungen Leute umtreibt.
Sie haben vor fast zehn Jahren Ihr Museum dem Freistaat vermacht. Weshalb so früh?
Das war eine ganz praktische Entscheidung. Meine beiden Kinder wollen das nicht weitermachen, dafür müssten sie ihre Berufe aufgeben. Und mir war wichtig, zu Lebzeiten zu sehen, dass das Museum im bisherigen Stil weitergeführt wird und meine Mitarbeiter das begleiten.
Wie wird das Museum der Zukunft aussehen?
Es muss offen sein. Diese strikte Trennung in Epochen und Genres funktioniert nicht mehr, und das muss sich auch in einer durchlässigen Architektur widerspiegeln. Die unterschiedlichen Bereiche müssen miteinander in Dialog kommen, neben einer barocken Skulptur sollte auch ein Film oder eine Performance möglich sein. In einem großen Haus müssen alle Medien eine Rolle spielen und jeder einzelne Besucher soll auf seine Kosten kommen. Das Museum of Modern Art in New York ist ein schönes Beispiel.