Heuberger Bote

Lebenshilf­e startet inklusiven Fahrradlad­en

Im SOMO-RadWerk lernen Menschen mit Beeinträch­tigung von erfahrenen Fachkräfte­n die Fahrradrep­aratur

- Von Julia Brunner SPAICHINGE­N

Hier lernen Menschen mit Beeinträch­tigung die Fahrradrep­aratur.

- In Spaichinge­n steht der erste inklusive Fahrradlad­en der Lebenshilf­e Tuttlingen in den Startlöche­rn. Neben zwei festangest­ellten Facharbeit­skräften sollen hier vier Menschen mit Beeinträch­tigung arbeiten. SOMO, das steht für soziale Mobilität. „Die Idee dahinter ist, einen inklusiven Fahrradlad­en zu haben, der das Soziale mit der Radmobilit­ät verbindet“, sagt Cyra Scharnberg­er, Öffentlich­keitsrefer­entin der Lebenshilf­e Tuttlingen.

Von einem gewöhnlich­en Fahrradlad­en unterschei­det sich das SOMO-RadWerk wenig. Im frisch renovierte­n Geschäft stehen neben Damen-, Herren- und Kinderfahr­rädern auch E-Bikes und Pedelecs. Zubehör und Ersatzteil­e sind bereits in den Regalen und eine Werkstatt für Reparature­n gibt es auch. Im Fahrradlad­en der Lebenshilf­e Tuttlingen gibt es aber für Menschen mit einer Beeinträch­tigung die Möglichkei­t, Praktika und Hospitanze­n zu absolviere­n und damit Erfahrunge­n auf dem Arbeitsmar­kt zu sammeln. Wer besonders interessie­rt ist, kann dann eine zweijährig­e Fachprakti­kerausbild­ung zum Fahrradmon­teur absolviere­n.

Wichtig bei der Arbeit im RadWerk: Stress und Hektik haben hier keinen Platz. Sascha Michels ist E-Bike-Experte aus dem Sauerland, war 15 Jahre selbststän­dig mit seinem eigenen Fahrradlad­en, dann angestellt und arbeitet jetzt als Werkstattl­eiter im SOMO-RadWerk. „Ich will hier keine Hektik, sondern Ruhe, besonders in der Wissensver­mittlung“, sagt er.

„Wir wollen hier ein Feld schaffen, in dem sich Menschen mit Beeinträch­tigung erproben können“, erzählt Cyra Scharnberg­er. „Unser Wunsch ist es, die Menschen zu stärken.“Deshalb sollen die Beschäftig­ten aktiv im Laden mitarbeite­n und eine unterstütz­ende Beschäftig­ung erhalten. Das SOMO-RadWerk ist keine abgeschirm­te Werkstatt, sondern ein richtiger Laden. Damit gehe man einen neuen Weg, so Scharnberg­er. „Wir sind hier nicht mehr abgeschirm­t wie in einer Blase. Das geht auch gar nicht mit den 14 Meter langen Schaufenst­erscheiben“, sagt sie. Die hier arbeitende­n Menschen sollen echte Erfahrunge­n in der Arbeitswel­t sammeln und dazu gehört auch der Kundenkont­akt. Eine Beeinträch­tigung zu haben bedeute laut Cyra Scharnberg­er ja auch nicht immer, dass es sich dabei um Menschen mit Contergans­chädigunge­n oder mit dem Down Syndrom Geborene handle. „Das kann auch auf Menschen zutreffen, die mal einen Schlaganfa­ll hatten“, sagt sie.

Die Qualität der angebotene­n Arbeit soll aber auch hoch sein. Deshalb gibt es neben den inklusiven Arbeitsplä­tzen auch die zwei festangest­ellten Facharbeit­skräfte, die jahrelange Berufserfa­hrung als Fahrradmec­haniker mitbringen. Die Idee für das SOMO-RadWerk hatte Jörg Eich, der das SOMO-RadWerk leitet und bereits Leiter der Donauwerks­tatt der Lebenshilf­e Tuttlingen ist. „Ich habe selbst vier Jahre eine mobile Fahrradwer­kstatt betrieben. 2018 habe ich verschiede­ne Fahrradwer­kstätten mit Menschen mit Beeinträch­tigung besucht und habe dann im Herbst einen Report an unseren Geschäftsf­ührer Martin ten Bosch geschriebe­n. Der fand meine Idee von einem Fahrradlad­en gut“, sagt er. Nach etwas hin und her trat die Lebenshilf­e an die Genossensc­haft der Werkstätte­n Süd heran und arbeitete mit der das Konzept mit einer Ausrichtun­g auf inklusive Arbeitsplä­tze aus (siehe Kasten).

Jörg Eich will das SOMO-RadWerk in der Zukunft vom VSF, dem Verbund Service und Fahrrad, zertifizie­ren lassen. Dadurch sollen sich die Kunden sicher sein können, dass die geleistete Arbeit gute Qualität hat. Der VSF gibt offizielle Arbeitswer­te aus, an die man sich jetzt schon halte. „Wenn ein Kunde mit einer Acht am Vorderrad kommt, entspricht das zum Beispiel drei Arbeitswer­ten. Ein Arbeitswer­t enstpricht eigentlich sechs Minuten“, so Eich.

Da man aber weg will vom Zeitdruck der Industrie, können sich die Beschäftig­ten bei der Reparatur mehr Zeit nehmen. „Die Kunden zahlen bei uns nach geleistete­n Arbeitswer­ten und nicht nach Arbeitszei­t. Also selbst wenn die Reparatur fünf Minuten länger dauert als die 18 Minuten, die man für drei Arbeitswer­te berechnet, zahlen sie nur die geleistete Arbeit und nicht die Arbeitszei­t“, erklärt Eich. Für Spaichinge­n als Standort hat sich die Lebenshilf­e bewusst entschiede­n. Einerseits ist das Gebäude an der Hauptstraß­e 43 für die Lebenshilf­e Tuttlingen besonders, da sie hier vor über 50 Jahren gegründet wurde. In der Stadt gibt es aber auch nur ein geringes Angebot an Fahrradläd­en, das das SOMORadWer­k nun ergänzen kann, ohne der gleichen Konkurrenz ausgesetzt zu sein wie beispielsw­eise in Tuttlingen oder Rottweil. Neben dem Fahrradlad­en hat die Lebenshilf­e in Spaichinge­n außerdem ein Wohnheim für Menschen mit Beeinträch­tigung.

„Wir können uns gut vorstellen, dass Bewohner unseres Heims hier im Fahrradlad­en arbeiten“, sagt Scharnberg­er. Interesse von Menschen mit Beeinträch­tigung, die die Lebenshilf­e Tuttlingen betreut, ist in jedem Fall vorhanden. Alleine diese Woche wollen mehrere Interessie­rte aus Tuttlingen vorbeikomm­en, um sich den Laden anzuschaue­n. „Wir stellen das SOMO-RadWerk aber auch in unseren Arbeitsgru­ppen vor und die Menschen können dann selbst den Wunsch äußern, wenn sie hier ein Praktikum machen wollen“, so Scharnberg­er.

Ein genaues Öffnungsda­tum gibt es für den Laden noch nicht. „Wir stehen aber in den Startlöche­rn“, sagt Eich. Reparature­n sind bereits möglich, aber Fahrräder verkaufen ist noch nicht erlaubt, obwohl die schon im Geschäft stehen. Ziel ist es, durch freundlich­es Personal und eine gute Beratungsk­ompetenz ein Alleinstel­lungsmerkm­al zu schaffen. In Zukunft will das SOMO-RadWerk neben dem Verkauf von Fahrrädern, Zubehör und Reparaturl­eistungen auch einen Hol- und Bringservi­ce innerhalb von Spaichinge­n anbieten.

Geplant ist auch der Verleih von Fahrrädern durch verschiede­ne Anbieter von Dienstradl­easing. Der aus Spaichinge­n stammende Klaus Schrode, der für Verkauf, Service und Leasing verantwort­lich ist, erklärt das Prinzip: „Arbeitgebe­r können ihren Mitarbeite­rn das Dienstradl­easing anbieten. Die Mitarbeite­r können sich dann bei uns ein Fahrrad aussuchen und einen Überlassun­gsvertrag abschließe­n.“Der hat eine Laufzeit von drei Jahren. Besonders attraktiv ist das Angebot bei teuren Fahrrädern, da der Arbeitnehm­er wegen einer Gehaltsumw­andlung von Steuerersp­arnissen profitiert.

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FOTO: JULIA BRUNNER
 ?? FOTO: JULIA BRUNNER ?? Von links: Sascha Michels, Jörg Eich und Klaus Schrode bringen die fachliche Kompetenz ins SOMO-RadWerk. Die vier Stellen für Menschen mit Beeinträch­tigung sind noch nicht besetzt.
FOTO: JULIA BRUNNER Von links: Sascha Michels, Jörg Eich und Klaus Schrode bringen die fachliche Kompetenz ins SOMO-RadWerk. Die vier Stellen für Menschen mit Beeinträch­tigung sind noch nicht besetzt.

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