Lebenshilfe startet inklusiven Fahrradladen
Im SOMO-RadWerk lernen Menschen mit Beeinträchtigung von erfahrenen Fachkräften die Fahrradreparatur
Hier lernen Menschen mit Beeinträchtigung die Fahrradreparatur.
- In Spaichingen steht der erste inklusive Fahrradladen der Lebenshilfe Tuttlingen in den Startlöchern. Neben zwei festangestellten Facharbeitskräften sollen hier vier Menschen mit Beeinträchtigung arbeiten. SOMO, das steht für soziale Mobilität. „Die Idee dahinter ist, einen inklusiven Fahrradladen zu haben, der das Soziale mit der Radmobilität verbindet“, sagt Cyra Scharnberger, Öffentlichkeitsreferentin der Lebenshilfe Tuttlingen.
Von einem gewöhnlichen Fahrradladen unterscheidet sich das SOMO-RadWerk wenig. Im frisch renovierten Geschäft stehen neben Damen-, Herren- und Kinderfahrrädern auch E-Bikes und Pedelecs. Zubehör und Ersatzteile sind bereits in den Regalen und eine Werkstatt für Reparaturen gibt es auch. Im Fahrradladen der Lebenshilfe Tuttlingen gibt es aber für Menschen mit einer Beeinträchtigung die Möglichkeit, Praktika und Hospitanzen zu absolvieren und damit Erfahrungen auf dem Arbeitsmarkt zu sammeln. Wer besonders interessiert ist, kann dann eine zweijährige Fachpraktikerausbildung zum Fahrradmonteur absolvieren.
Wichtig bei der Arbeit im RadWerk: Stress und Hektik haben hier keinen Platz. Sascha Michels ist E-Bike-Experte aus dem Sauerland, war 15 Jahre selbstständig mit seinem eigenen Fahrradladen, dann angestellt und arbeitet jetzt als Werkstattleiter im SOMO-RadWerk. „Ich will hier keine Hektik, sondern Ruhe, besonders in der Wissensvermittlung“, sagt er.
„Wir wollen hier ein Feld schaffen, in dem sich Menschen mit Beeinträchtigung erproben können“, erzählt Cyra Scharnberger. „Unser Wunsch ist es, die Menschen zu stärken.“Deshalb sollen die Beschäftigten aktiv im Laden mitarbeiten und eine unterstützende Beschäftigung erhalten. Das SOMO-RadWerk ist keine abgeschirmte Werkstatt, sondern ein richtiger Laden. Damit gehe man einen neuen Weg, so Scharnberger. „Wir sind hier nicht mehr abgeschirmt wie in einer Blase. Das geht auch gar nicht mit den 14 Meter langen Schaufensterscheiben“, sagt sie. Die hier arbeitenden Menschen sollen echte Erfahrungen in der Arbeitswelt sammeln und dazu gehört auch der Kundenkontakt. Eine Beeinträchtigung zu haben bedeute laut Cyra Scharnberger ja auch nicht immer, dass es sich dabei um Menschen mit Conterganschädigungen oder mit dem Down Syndrom Geborene handle. „Das kann auch auf Menschen zutreffen, die mal einen Schlaganfall hatten“, sagt sie.
Die Qualität der angebotenen Arbeit soll aber auch hoch sein. Deshalb gibt es neben den inklusiven Arbeitsplätzen auch die zwei festangestellten Facharbeitskräfte, die jahrelange Berufserfahrung als Fahrradmechaniker mitbringen. Die Idee für das SOMO-RadWerk hatte Jörg Eich, der das SOMO-RadWerk leitet und bereits Leiter der Donauwerkstatt der Lebenshilfe Tuttlingen ist. „Ich habe selbst vier Jahre eine mobile Fahrradwerkstatt betrieben. 2018 habe ich verschiedene Fahrradwerkstätten mit Menschen mit Beeinträchtigung besucht und habe dann im Herbst einen Report an unseren Geschäftsführer Martin ten Bosch geschrieben. Der fand meine Idee von einem Fahrradladen gut“, sagt er. Nach etwas hin und her trat die Lebenshilfe an die Genossenschaft der Werkstätten Süd heran und arbeitete mit der das Konzept mit einer Ausrichtung auf inklusive Arbeitsplätze aus (siehe Kasten).
Jörg Eich will das SOMO-RadWerk in der Zukunft vom VSF, dem Verbund Service und Fahrrad, zertifizieren lassen. Dadurch sollen sich die Kunden sicher sein können, dass die geleistete Arbeit gute Qualität hat. Der VSF gibt offizielle Arbeitswerte aus, an die man sich jetzt schon halte. „Wenn ein Kunde mit einer Acht am Vorderrad kommt, entspricht das zum Beispiel drei Arbeitswerten. Ein Arbeitswert enstpricht eigentlich sechs Minuten“, so Eich.
Da man aber weg will vom Zeitdruck der Industrie, können sich die Beschäftigten bei der Reparatur mehr Zeit nehmen. „Die Kunden zahlen bei uns nach geleisteten Arbeitswerten und nicht nach Arbeitszeit. Also selbst wenn die Reparatur fünf Minuten länger dauert als die 18 Minuten, die man für drei Arbeitswerte berechnet, zahlen sie nur die geleistete Arbeit und nicht die Arbeitszeit“, erklärt Eich. Für Spaichingen als Standort hat sich die Lebenshilfe bewusst entschieden. Einerseits ist das Gebäude an der Hauptstraße 43 für die Lebenshilfe Tuttlingen besonders, da sie hier vor über 50 Jahren gegründet wurde. In der Stadt gibt es aber auch nur ein geringes Angebot an Fahrradläden, das das SOMORadWerk nun ergänzen kann, ohne der gleichen Konkurrenz ausgesetzt zu sein wie beispielsweise in Tuttlingen oder Rottweil. Neben dem Fahrradladen hat die Lebenshilfe in Spaichingen außerdem ein Wohnheim für Menschen mit Beeinträchtigung.
„Wir können uns gut vorstellen, dass Bewohner unseres Heims hier im Fahrradladen arbeiten“, sagt Scharnberger. Interesse von Menschen mit Beeinträchtigung, die die Lebenshilfe Tuttlingen betreut, ist in jedem Fall vorhanden. Alleine diese Woche wollen mehrere Interessierte aus Tuttlingen vorbeikommen, um sich den Laden anzuschauen. „Wir stellen das SOMO-RadWerk aber auch in unseren Arbeitsgruppen vor und die Menschen können dann selbst den Wunsch äußern, wenn sie hier ein Praktikum machen wollen“, so Scharnberger.
Ein genaues Öffnungsdatum gibt es für den Laden noch nicht. „Wir stehen aber in den Startlöchern“, sagt Eich. Reparaturen sind bereits möglich, aber Fahrräder verkaufen ist noch nicht erlaubt, obwohl die schon im Geschäft stehen. Ziel ist es, durch freundliches Personal und eine gute Beratungskompetenz ein Alleinstellungsmerkmal zu schaffen. In Zukunft will das SOMO-RadWerk neben dem Verkauf von Fahrrädern, Zubehör und Reparaturleistungen auch einen Hol- und Bringservice innerhalb von Spaichingen anbieten.
Geplant ist auch der Verleih von Fahrrädern durch verschiedene Anbieter von Dienstradleasing. Der aus Spaichingen stammende Klaus Schrode, der für Verkauf, Service und Leasing verantwortlich ist, erklärt das Prinzip: „Arbeitgeber können ihren Mitarbeitern das Dienstradleasing anbieten. Die Mitarbeiter können sich dann bei uns ein Fahrrad aussuchen und einen Überlassungsvertrag abschließen.“Der hat eine Laufzeit von drei Jahren. Besonders attraktiv ist das Angebot bei teuren Fahrrädern, da der Arbeitnehmer wegen einer Gehaltsumwandlung von Steuerersparnissen profitiert.