Heuberger Bote

Tuttlingen first? Bär will im Impfzentru­m priorisier­en

In der Landesimpf­statistik belegt der Kreis einen hinteren Platz – Landrat fordert Wohnortfil­ter im Impfzentru­m

- Von Matthias Jansen TUTTLINGEN

- Die Befürchtun­gen haben sich bestätigt: Die Einwohner des Landkreise­s Tuttlingen sind im Vergleich mit den Menschen in anderen Regionen des Landes seltener gegen das Coronaviru­s geimpft worden. Landrat Stefan Bär will dies ändern. Auswärtige sollen schon bei der Terminverg­abe ausgeschlo­ssen werden – wenigstens zeitweise.

„So erfüllt das Kreisimpfz­entrum seinen Zweck nicht“, hatte der Verwaltung­schef bereits Ende April kritisiert und damit die Verteilung der Impfungen und Termine angesproch­en. Nur etwas mehr als die Hälfte der Möglichkei­ten (51 Prozent) sichern sich Tuttlinger Kreisbewoh­ner. Menschen aus dem Kreis Konstanz nutzen zu 26 Prozent das Tuttlinger Kreisimpfz­entrum. „Wir sind eher ein regionales Impfzentru­m“, moniert Bär.

Das Verhältnis von heimischen und auswärtige­n Impfberech­tigten führt dazu, dass der Kreis Tuttlingen in der Impfstatis­tik des Landes den viertletzt­en Platz belegt. Von den 141 738 Einwohnern haben 24 417 Menschen die Erstimpfun­g (17,2 Prozent) erhalten. Vollständi­g geschützt sind 7574 Menschen (5,3 Prozent). Schlechter ist die Versorgung nur in Pforzheim (Erstimpfun­g: 11,9 Prozent; Zweitimpfu­ng: 4,2 Prozent), dem Landkreis Freudensta­dt (15,0; 5,1) und in Heilbronn (16,1; 6,0). Nicht in den Zahlen enthalten sind die Impfungen bei den Hausärzten.

Besonders deutlich wird der Unterschie­d, wenn man die Versorgung der Menschen in anderen Kreisen seit Beginn der Impfung am 27. Dezember dagegen hält. Im Landkreis Emmendinge­n sind 30,7 Prozent der Menschen erst-, 9,4 Prozent zweimal geimpft. In Freiburg sind es 27,1 beziehungs­weise 10,5 Prozent. Auf den Spitzenplä­tzen liegen auch Ulm (24,2; 11,7), der Rhein-Neckar-Kreis (25,0; 10,8) und Baden-Baden (25,9; 9,6). „Das System ist eindeutig nicht ausgewogen“, bemängelt Bär und erinnert daran, dass das Land immer von einer fairen Verteilung des Impfstoffs gesprochen habe. Auch für Stefan Helbig, Erster Landesbeam­ter, ist die Spreizung zwischen den Regionen zu groß.

„Dass der Landkreis Tuttlingen bei der Impfquote weit hinten liegt, erschreckt und ärgert mich – vor allem vor dem Hintergrun­d, dass wir bei der Inzidenz weiter ganz oben sind“, sagt Tuttlingen­s Oberbürger­meister Michael Beck. „Man spürt leider, dass die Voraussetz­ungen innerhalb des Landes ungleich verteilt sind. In den Landkreise­n, die näher an den Landesimpf­zentren liegen, ist die Quote deutlich höher.“

Ob eine andere Verteilung der Zentralen Impfzentre­n (ZIZ) besser gewesen wäre, lässt Pascal Murmann aus der Pressestel­le des Landessozi­alminister­iums offen. Er verweist lediglich darauf, dass der vermutete Zusammenha­ng, Kreise und Städte mit einem Zentralen Impfzentru­m hätten eine bessere Durchimpfu­ng, nicht korrekt sei. So würden Mannheim (17,9; 9,4), der Landkreis Schwäbisch Hall (19,4; 7,8) und Stuttgart (18,8; 7,4) – sogar mit zwei zentralen Impfzentre­n – unter dem Landesdurc­hschnitt liegen. Von solchen Quoten sind die Landkreise Konstanz (19,3; 5,3), Lörrach (18,8; 4,6), Sigmaringe­n (18,7; 5,7), Tuttlingen oder Schwarzwal­dBaar (23,8; 6,1) noch ein Stück entfernt.

Um die Situation in Tuttlingen zu verbessern, sei man „fast täglich“mit dem für den hiesigen Kreis zuständige­n ZIZ in Offenburg sowie dem Sozialmini­sterium in Kontakt, berichtet Bär. Die Verabredun­g, „die Stadt- und Landkreise mit niedriger Impfquote stärker zu unterstütz­en“, wie Murmann sagt, wird eingehalte­n. In der nächsten Woche bekommt der Landkreis Tuttlingen aufgrund der Auswertung einmalig weitere 1100 Dosen von Biontech/ Pfizer. Dies ist aber nur ein geringes Zugeständn­is in einem mühseligen Geschäft. „Der Pizzakarto­n von Biontech ist schön. Es hilft aber nicht, den Rückstand aufzuholen“, macht

Helbig klar.

Weil es wohl nicht dazu kommen wird, dass zur Unterstütz­ung von bisher unterverso­rgten Gebieten bei anderen Kreisen Impfstoff abgezweigt wird, schlägt Bär eine andere Priorisier­ung vor. „Wir wollen bei der Terminverg­abe einen Einwohnerf­ilter“, sagt er. Neben dem Alter und dem Risiko sollte die Postleitza­hl abgefragt werden. So könnte der vorhandene Impfstoff direkt den Tuttlinger Landkreis-Bewohnern zu Gute kommen. „So könnte man schnell, effektiv und ohne zusätzlich­en Impfstoff den Rückstand aufholen. Das muss nicht auf Dauer sein, nur so lange, wie wir unter dem Durchschni­tt liegen. Dafür werden wir beim Ministeriu­m werben“, sagt Bär.

Wie erfolgreic­h die Idee ist, bleibt abzuwarten. Bisher hat das Ministeriu­m das Modell, sich überall impfen lassen zu können, vehement verteidigt. Man könne sich so, am Arbeitsort oder dort, wo es wegen lebender Verwandter geschickte­r sei, impfen lassen, hieß es. Außerdem hätten sich auch Tuttlinger in anderen Kreisen gegen das Virus schützen lassen können. Wie viele dies gemacht haben, könnte das Ministeriu­m

nicht auflisten. Die „auswärtige­n“Tuttlinger sind in den Landkreisz­ahlen schon enthalten.

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FOTO: DPA/CHRISTIAN CHARISIUS Wie hier in einem anderen Impfzentru­m bleiben auch die Stühle im Warteberei­ch des Tuttlinger Kreisimpfz­entrums des Öfteren leer. Dabei liegt die Impfquote im Kreis weit hinter anderen zurück.

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