Tuttlingen first? Bär will im Impfzentrum priorisieren
In der Landesimpfstatistik belegt der Kreis einen hinteren Platz – Landrat fordert Wohnortfilter im Impfzentrum
- Die Befürchtungen haben sich bestätigt: Die Einwohner des Landkreises Tuttlingen sind im Vergleich mit den Menschen in anderen Regionen des Landes seltener gegen das Coronavirus geimpft worden. Landrat Stefan Bär will dies ändern. Auswärtige sollen schon bei der Terminvergabe ausgeschlossen werden – wenigstens zeitweise.
„So erfüllt das Kreisimpfzentrum seinen Zweck nicht“, hatte der Verwaltungschef bereits Ende April kritisiert und damit die Verteilung der Impfungen und Termine angesprochen. Nur etwas mehr als die Hälfte der Möglichkeiten (51 Prozent) sichern sich Tuttlinger Kreisbewohner. Menschen aus dem Kreis Konstanz nutzen zu 26 Prozent das Tuttlinger Kreisimpfzentrum. „Wir sind eher ein regionales Impfzentrum“, moniert Bär.
Das Verhältnis von heimischen und auswärtigen Impfberechtigten führt dazu, dass der Kreis Tuttlingen in der Impfstatistik des Landes den viertletzten Platz belegt. Von den 141 738 Einwohnern haben 24 417 Menschen die Erstimpfung (17,2 Prozent) erhalten. Vollständig geschützt sind 7574 Menschen (5,3 Prozent). Schlechter ist die Versorgung nur in Pforzheim (Erstimpfung: 11,9 Prozent; Zweitimpfung: 4,2 Prozent), dem Landkreis Freudenstadt (15,0; 5,1) und in Heilbronn (16,1; 6,0). Nicht in den Zahlen enthalten sind die Impfungen bei den Hausärzten.
Besonders deutlich wird der Unterschied, wenn man die Versorgung der Menschen in anderen Kreisen seit Beginn der Impfung am 27. Dezember dagegen hält. Im Landkreis Emmendingen sind 30,7 Prozent der Menschen erst-, 9,4 Prozent zweimal geimpft. In Freiburg sind es 27,1 beziehungsweise 10,5 Prozent. Auf den Spitzenplätzen liegen auch Ulm (24,2; 11,7), der Rhein-Neckar-Kreis (25,0; 10,8) und Baden-Baden (25,9; 9,6). „Das System ist eindeutig nicht ausgewogen“, bemängelt Bär und erinnert daran, dass das Land immer von einer fairen Verteilung des Impfstoffs gesprochen habe. Auch für Stefan Helbig, Erster Landesbeamter, ist die Spreizung zwischen den Regionen zu groß.
„Dass der Landkreis Tuttlingen bei der Impfquote weit hinten liegt, erschreckt und ärgert mich – vor allem vor dem Hintergrund, dass wir bei der Inzidenz weiter ganz oben sind“, sagt Tuttlingens Oberbürgermeister Michael Beck. „Man spürt leider, dass die Voraussetzungen innerhalb des Landes ungleich verteilt sind. In den Landkreisen, die näher an den Landesimpfzentren liegen, ist die Quote deutlich höher.“
Ob eine andere Verteilung der Zentralen Impfzentren (ZIZ) besser gewesen wäre, lässt Pascal Murmann aus der Pressestelle des Landessozialministeriums offen. Er verweist lediglich darauf, dass der vermutete Zusammenhang, Kreise und Städte mit einem Zentralen Impfzentrum hätten eine bessere Durchimpfung, nicht korrekt sei. So würden Mannheim (17,9; 9,4), der Landkreis Schwäbisch Hall (19,4; 7,8) und Stuttgart (18,8; 7,4) – sogar mit zwei zentralen Impfzentren – unter dem Landesdurchschnitt liegen. Von solchen Quoten sind die Landkreise Konstanz (19,3; 5,3), Lörrach (18,8; 4,6), Sigmaringen (18,7; 5,7), Tuttlingen oder SchwarzwaldBaar (23,8; 6,1) noch ein Stück entfernt.
Um die Situation in Tuttlingen zu verbessern, sei man „fast täglich“mit dem für den hiesigen Kreis zuständigen ZIZ in Offenburg sowie dem Sozialministerium in Kontakt, berichtet Bär. Die Verabredung, „die Stadt- und Landkreise mit niedriger Impfquote stärker zu unterstützen“, wie Murmann sagt, wird eingehalten. In der nächsten Woche bekommt der Landkreis Tuttlingen aufgrund der Auswertung einmalig weitere 1100 Dosen von Biontech/ Pfizer. Dies ist aber nur ein geringes Zugeständnis in einem mühseligen Geschäft. „Der Pizzakarton von Biontech ist schön. Es hilft aber nicht, den Rückstand aufzuholen“, macht
Helbig klar.
Weil es wohl nicht dazu kommen wird, dass zur Unterstützung von bisher unterversorgten Gebieten bei anderen Kreisen Impfstoff abgezweigt wird, schlägt Bär eine andere Priorisierung vor. „Wir wollen bei der Terminvergabe einen Einwohnerfilter“, sagt er. Neben dem Alter und dem Risiko sollte die Postleitzahl abgefragt werden. So könnte der vorhandene Impfstoff direkt den Tuttlinger Landkreis-Bewohnern zu Gute kommen. „So könnte man schnell, effektiv und ohne zusätzlichen Impfstoff den Rückstand aufholen. Das muss nicht auf Dauer sein, nur so lange, wie wir unter dem Durchschnitt liegen. Dafür werden wir beim Ministerium werben“, sagt Bär.
Wie erfolgreich die Idee ist, bleibt abzuwarten. Bisher hat das Ministerium das Modell, sich überall impfen lassen zu können, vehement verteidigt. Man könne sich so, am Arbeitsort oder dort, wo es wegen lebender Verwandter geschickter sei, impfen lassen, hieß es. Außerdem hätten sich auch Tuttlinger in anderen Kreisen gegen das Virus schützen lassen können. Wie viele dies gemacht haben, könnte das Ministerium
nicht auflisten. Die „auswärtigen“Tuttlinger sind in den Landkreiszahlen schon enthalten.