Gericht verhängt mehrjährige Haftstrafe im Shishabar-Fall
Das Urteil des Landgerichts Rottweil ist auch eine Warnung an die Tuttlinger Gewalt-Szene
(här) Der demnächst 30-jährige Mann, der sich laut Staatsanwältin „als Chef von Tuttlingen“aufführte, soll wegen gefährlicher Körperverletzung für vier Jahre und zehn Monate ins Gefängnis wandern. So lautete das Urteil, das die 1. Schwurgerichtskammer des Landgerichts Rottweil am Freitagnachmittag nach neun Verhandlungstagen seit Mitte Februar verkündete. Staatsanwältin Isabel Gurski-Zepf hatte fünf Jahre und zehn Monate Haft gefordert.
Die beiden Verteidiger versuchten alles, um die Darstellung der Anklägerin in Zweifel zu ziehen. Das sei „ein Zerrbild“, sagte Anwalt Gerhard Walter. Und es beruhe auf „einseitig und unangemessenen Bewertungen der Polizei“. Der Angeklagten habe sich während der für ihn harten Untersuchungshaft geläutert, vor allem wegen seiner beiden kleinen Kinder, er werde „in Zukunft vermeiden, was ihn in diese Lage gebracht hat“.
Walters Kollege Bernhard Mussgnug konzentrierte seine Strategie vor allem auf das Opfer und zugleich Hauptzeugen, einen jetzt 20-jährigen Kosovo-Albaner. „Er ist nicht zum Reden gekommen, sondern zum Töten“, sagte Mussgnug mit Verweis auf den Vorfall am 28. Juni 2020 vor der Shishabar in einer Tuttlinger Nachbargemeinde. Der Angeklagte verletzte den damals 19Jährigen durch Messerstiche von hinten in die Schulter so schwer, dass er hätte verbluten können, wenn nicht eine zufällig herbeigeeilte Rettungssanitäterin entschlossen zugegriffen hätte.
Mussgnug warf dem Kosovo-Albaner vor, seinen Mandanten zunächst mit einem metallenen Baseballschläger angegriffen, dann mit einer Pistole bedroht und danach nur noch „Lügen“aufgetischt zu haben. Der Anwalt: „In meinen 30 Jahren als Strafverteidiger habe ich noch nie so einen lässigen, dreistfrechen, verlogenen und skrupellosen Zeugen erlebt!“Weil sich allerdings auch sein Mandant in Widersprüche verwickelten habe, stehe Aussage gegen Aussage, weshalb im
Zweifel für den Angeklagten geurteilt werden müsse. Weil die Tat „eine extreme Nähe zur Notwehr“aufweise, plädierte Mussgnug für einen minderschweren Fall von gefährlicher Körperverletzung und eine Haftstrafe von zwei Jahre und neun Monaten.
Das Gericht lag mit seinem Urteil näher an der Forderung der Staatsanwältin. Karlheinz Münzer, der Vorsitzende Richter, sagte es nicht direkt, aber aus seinen Erläuterungen wurde deutlich, dass dieses Urteil auch ein Warnschuss für die Gewalt-Szene in Tuttlingen ist. Immer wieder prangerte er „die Selbstjustiz“sowohl des Täters als auch des Opfers an. Wiederholt habe es gegen den Täter „Gefährderansprachen“der Polizei gegeben – ohne Erfolg. „Er lebte mit seiner Entourage deutlich jüngerer Leute über Jahre hinweg in einem Klima, in dem das Gewaltmonopol des Staates nicht anerkannt wurde“, stellte Münzer fest. Der Täter könne „von Glück sagen“, dass das Opfer überlebte, sonst würde man jetzt von einer ganz anderen Strafe reden. Die parallelen Strukturen hätten „zu einem Verhalten geführt, „das wir hier selten erlebt haben!“, sagte Münzer.
Die tieferen Ursachen machte der Richter in der Lebensgeschichte aus. Mit 17 Jahren sei der junge Mann 2008 aus dem Irak als Asylbewerber gekommen und habe letztlich trotz mancher vielversprechender Ansätze die Integration nicht geschafft, vor allem wegen mangelnder Schul- und Ausbildung.
Bereits in der Nacht zum 27. Juni war es zwischen den beiden früheren Freunden vor einer Bar in der Tuttlinger Innenstadt zu einem blutigen Streit gekommen. Deshalb sei der 19-Jährige am Abend des 28. Juni zur Shishabar gekommen, um sich zu rächen. Zwar sei der Angriff von ihm ausgegangen, aber geschossen habe nicht er, sondern der Bruder des Täters, wie aus einem Video hervorgehe. Durch die folgenden Messerstiche habe der Täter den Tod des Gegners in Kauf genommen, aber gerade noch rechtzeitig von dem Opfer abgelassen und so Schlimmeres vermieden.