Auf dem Abstellgleis
Warum für Guido Wolf kein Platz im grün-schwarzen Kabinett mehr ist
Für Guido Wolf ist im neuen Kabinett kein Platz mehr
- Der Abschied kommt nicht ganz überraschend: Wie erwartet übergibt Justizminister Guido Wolf an diesem Mittwoch die Amtsgeschäfte an seine Nachfolgerin Marion Gentges. Für den 59-Jährigen bedeutet das eine enorme Umstellung. Nach etlichen politischen Spitzenposten und einer erfolglosen Kandidatur zum Ministerpräsidenten hat Wolf bald reichlich von dem, was ihm in den vergangenen Jahren fehlte: Zeit für sich. Wie es zu diesem Umbruch kam, kann er nicht erklären – mancher Parteifreund aber schon.
Wer Guido Wolf aus Kindheitstagen im oberschwäbischen Weingarten kennt, sieht bis heute den schelmisch lächelnden Spitzbub in dem ergrauten Politiker. Es war ein ereignisreicher Weg für ihn aus dem katholischen Elternhaus, in dem er mit zwei Geschwistern aufwuchs. Nach dem Abitur am Ravensburger Spohngymnasium studierte Wolf Jura in Konstanz und startete sein Arbeitsleben im Tuttlinger Landratsamt. Nach etlichen weiteren Arbeitsplätzen – etwa als Verwaltungsrichter am Sigmaringer Gericht und in Stuttgarter Ministerien – kehrte er 2002 in eben jene Behörde seiner beruflichen Anfangsjahre als Landrat zurück. Dort blieb er bis 2011, also bis zu jenem Zeitpunkt, an dem er Landtagspräsident im Stuttgarter Abgeordnetenhaus wurde. Es war der vorläufige politische Höhepunkt seiner Politikerkarriere, es sollte nicht der letzte bleiben. Wolf strebte nach mehr.
Bereits 2006 war CDU-Mann Wolf vom Wahlkreis TuttlingenDonaueschingen in den Landtag gewählt worden – und hat das Mandat seither stets verteidigt. Vielleicht würde er es schaffen, den Grünen die Villa Reitzenstein, den Regierungssitz des Ministerpräsidenten, nach einer Amtszeit von Winfried Kretschmann wieder abzujagen? Zumindest hatte darauf die Mehrheit der CDU-Mitglieder im Land gebaut, als sie ihn und nicht den Parteivorsitzenden Thomas Strobl zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 2016 kürten. Der Mitgliederentscheid hat in der Partei Wunden geschlagen, die inzwischen vernarbt, aber noch sichtbar sind.
Wolf mühte sich, im Wahlkampf die Menschen von sich zu überzeugen. Vor allem an Stammtischen flogen ihm die Herzen zu, wenn er scherzte, lachte, selbst verfasste Gedichte rezitierte. Das ist die gesellige-lebensfrohe, ja, vielleicht auch barock-oberschwäbische Seite von Wolf. Sein Sinn für Humor ist fein und ausgeprägt. Als zur jüngsten Landtagswahl die Grünen in Wolfs Wahlrevier ein Großplakat des Ministerpräsidenten aufstellten, auf dem neben Kretschmanns Foto die Worte „Sie kennen mich“zu lesen waren, stellte Wolfs Team ein ebenso großes Plakat auf einen Anhänger daneben mit den Worten „Sie kennen mich besser“.
Doch Guido Wolf hat auch eine andere Seite – eine, die seinem Namen gerechter wird. Er schnappte sich Anfang 2015 von Peter Hauk den Vorsitz der CDU-Landtagsfraktion. Als Oppositionsführer in einer grün-roten Regierung kann man schließlich für Aufsehen sorgen und bissig sein – als Landtagspräsident, der überparteilich sein muss, geht das natürlich nicht. Ab diesem Zeitpunkt stellte Wolf auf Attacke um. Je näher der Wahltag im März 2016 rückte, desto schärfer wurden seine Angriffe. Das ist normal im politischen Geschäft – genützt hat es ihm aber wenig. Umfragen bescheinigten ihm in großer Regelmäßigkeit, in der Bevölkerung zu unbekannt zu sein. Ganz im Gegenteil zu Kretschmann, der es in den Regierungsjahren – auch dank guter Berater – geschafft hatte, sich als kauzig-bedächtiger Landesvater zu inszenieren.
Die entscheidende Wahlkampfzeit um die Jahreswende 2015/2016 fiel zusammen mit der Hochphase der Flüchtlingskrise. In dieser Zeit als CDU-Wahlkämpfer zu punkten, war ein mehr als schwieriges Unterfangen. Für Wolf war es besonders schwer, nachdem sich Kretschmann als glühendster Verfechter der „Wir schaffen das“-Politik von Bundeskanzlerin Angela Merkel aufschwang. Er bete jeden Abend für Merkel, hatte der Ministerpräsident gesagt. Wenn der Grüne Kretschmann die CDU-Kanzlerin schon so für sich vereinnahm, wie also sollte sich der CDU-Wahlkämpfer Wolf positionieren? Eine Zwickmühle, in der er begann, Fehler zu machen, wie Beobachter analysieren sollten. Wolf blieb nicht standhaft bei seinen Positionen, sondern lavierte zwischen dem Kanzlerinnen-Kurs und dem Populismus des damaligen
CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer. Gemeinsam mit der zeitgleich in Rheinland-Pfalz wahlkämpfenden CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner forderte Wolf Tageskontingente für Flüchtlinge – und stellte sich damit gegen den MerkelKurs. Die Zustimmungswerte für die CDU im Land sanken. Auch symbolträchtige Forderungen, etwa nach einem Burkaverbot, brachten Wolf keinen erhofften Auftrieb. Seine Anspannung stieg, seine Beratungsresistenz gleichermaßen, wie Mitglieder seines Wahlkampfteams berichteten. Das Ergebnis am Wahlabend im März 2016 war für
Wolf, für die gesamte CDU BadenWürttemberg niederschmetternd. Die erste Schmach hatte die Partei, die zuvor fast sechs Jahrzehnte das Land regiert hatte, 2011 mit der Regierungsübernahme von Grünen und SPD erlebt. Nun wurden die Christdemokraten nicht mal mehr stärkste Kraft: Sie fuhren mit 27 Prozent das bis dato schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte ein und landeten 3,3 Prozentpunkte hinter den Grünen.
Unglücklich fiel Wolfs erste Reaktion auf das Ergebnis aus: Trotz des Absturzes seiner Partei versuchte er, eine Regierungskoalition mit SPD und FDP zu schmieden. Die Sozialdemokraten machten indes schnell klar, dass die Grünen Wahlsieger seien und damit den Regierungsauftrag hätten. Im Gegenzug erteilten die Liberalen einer Ampelkoalition aus Grünen, SPD und ihnen schnell eine Absage. Eine Koalition mit den Grünen könne er sich durchaus auch vorstellen, hatte Wolf vor der Wahl gesagt – allerdings nicht in der Rolle des Juniorpartners. „Dafür stehen wir nicht zur Verfügung“, hatte er betont.
Es schlug die Stunde von Wolfs altem Widersacher Thomas Strobl. Der Landesparteichef verließ Berlin, wo er als Bundestagsabgeordneter wirkte, und schmiedete mit Kretschmann ein grün-schwarzes Regierungsbündnis – die erste Kiwi-Koalition, wie sie fortan heißen sollte. Davon war zwar nicht jeder begeistert, aber bei den allermeisten war die Angst vor fünf weiteren kraftlosen Jahren auf der Oppositionsbank größer als ihre Berührungsängste mit den Grünen. Zum Kernteam der Koalitionsverhandlungen gehörte auch Wolf – er war schließlich weiter Fraktionschef. Und er hoffte auf ein Regierungsamt, sein Auge soll er vor allem auf das Wirtschaftsministerium geworfen haben. Ob er es deshalb nicht bekommen hat, weil sich führende Verbandsvertreter gegen ihn ausgesprochen hatten, bleibt fraglich. Es war zumindest ein erstaunlicher Vorgang, dass Wirtschaftsvertreter versuchten, eine Besetzung von Kabinettsposten dadurch zu beeinflussen, dass sie einem Kandidaten die Kompetenz absprechen.
Schließlich bekam der Jurist Wolf das Justizministerium – und als Sahnehäubchen noch die Bereiche Tourismus und Europa obendrein. Trotz seines Misserfolgs hatte Wolf auch weiterhin einen Kreis an Unterstützern, gerade in der CDU-Landtagsfraktion. Um dieses Lager einzuhegen, sollte Wolf mit einem Ministerium zufriedengestellt werden. Zudem lässt es sich als Kabinettsmitglied nicht so einfach gegen die Regierung stänkern, so wohl die Räson hinter der Entscheidung.
Der Zuschnitt des Ministeriums sorgte für viele fragende Blicke: Wie passen denn Justiz, Europa und Tourismus zusammen? Diese Frage stellte etwa der damalige Vorsitzende des Vereins der Richter und Staatsanwälte in Baden-Württemberg, der Ravensburger Matthias Grewe. „Tourismus habe ich für einen Witz gehalten. Ich kann keinen inhaltlichen Zusammenhang zwischen Justiz und Tourismus erkennen.“Die Skepsis wich indes schnell einer breiten Zustimmung – vor allem unter denen, für die Wolf als Justizminister zuständig war. Er boxte viele neue Stellen für Richter, Staatsanwälte und Justizvollzugsbedienstete durch. Das brachte ihm nicht nur Anerkennung etwa vom
Landeschef des Bunds der Strafvollzugsbediensteten ein, sondern auch vom bereits genannten Grewe. „Dem Minister samt Ministerialdirigenten ist es gelungen, dem Ministerium ein größeres Gewicht zu verleihen“, lobte dieser. Es gab natürlich auch Rückschläge: Wolf konnte etwa während der jüngsten Polizeistrukturreform nicht verhindern, dass Tuttlingen sein Polizeipräsidium verloren hat.
Weniger Gegenliebe erntete Wolf weiter aus den eigenen Reihen. Manche Fraktionskollegen kritisierten, dass er den Koalitionsvertrag samt Nebenabsprachen, die eigentlich hätten geheim bleiben sollen, mitunterzeichnet hatte – in der Fraktion wirke Wolf indes völlig unbeteiligt, wenn es Kritik an einzelnen Punkten in den Schriftstücken gab. Andere werfen Wolf vor, Sand im Getriebe der ersten Kiwi-Koalition gewesen zu sein. Die Vorwürfe: Wolf habe immer wieder die gemeinsame Linie verlassen und sich beispielsweise während der Corona-Pandemie für umfänglichere Lockerungen ausgesprochen. Und dann gibt es da noch den Vorwurf, er habe versucht, ein alternatives Bündnis mit SPD und FDP zu schmieden, um GrünSchwarz während der Regierungszeit zu beenden.
Wolf wehrt alle Vorwürfe ab. „Ich verliere nicht die Fähigkeit, über all das zu schmunzeln. Da wird mir eine enorme Rolle zugesprochen, die ich nie hatte“, sagt er zum Umsturz-Vorwurf. „Und wenn ich als Quertreiber bezeichnet werde, weil ich mich dafür einsetze, im Rahmen des Vertretbaren bei Gastronomie und Hotellerie Lockerungen umzusetzen und ein Hilfsprogramm aufzusetzen, dann kann ich das ertragen.“
Was also sieht er als Grund dafür, dass er nun seinen Ministerposten verliert? „Ich kann das nicht erklären“, das müsse man ja auch gar nicht. Zu Beginn einer Legislatur würden eben neue Weichen gestellt. Bei der Besetzung von Spitzenposten spielten unterschiedlichste Faktoren eine Rolle – etwa regionaler Proporz und Geschlechterparität. „In der Zusammenstellung des Kabinetts ist man offenbar zu der Entscheidung gekommen, dass ich ihm nicht mehr angehören werde.“So gleichmütig dies auch klingen mag – leicht fällt Wolf der Abschied dennoch nicht. „Ich bin leidenschaftlicher Politiker und bleibe das auch. Ich habe das Amt mit großer Freude ausgeübt, insofern wird mir auch etwas fehlen.“Demokratie bedeute aber Ämter auf Zeit. „Und die Amtsübergabe an Marion Gentges fällt mir überhaupt nicht schwer, weil ich in ihr eine Nachfolgerin habe, die ich sehr schätze.“
Seine Leidenschaft für die Politik kann er nun voll auf seine Wahlkreisund Abgeordnetenarbeit im Landtag konzentrieren. Vielleicht gibt es ja kommende Woche noch einen Posten in der CDU-Landtagsfraktion, der seinen Namen ruft? Wolf betont: „Ich bin Teamspieler. Jeder in der Fraktion weiß, was ich an Erfahrung einbringen kann.“Ein konkretes Ziel verfolge er aber nicht.
Auf die Freizeit, die er künftig haben wird, freue er sich, sagt Wolf: sich endlich mal etwas Ruhe gönnen, ein Buch lesen, den Körper bewegen, was im Ministeralltag oft zu kurz kam – das hat er sich vorgenommen. Ob er bei diesen Aktivitäten nach der Scheidung von seiner Frau Begleitung hat, lässt er offen.