Abgestunken
Von Zeit zu Zeit gerät die kulinarische Welt aus den Fugen. In Frankreich zum Beispiel gerade jetzt: Grund ist der klassische Camembert aus der Normandie. Dabei handelt es sich um ein duftendes Nationalheiligtum, das zur Identitätsstiftung eines jeden stolzen Franzosen taugt und ihm sprichwörtlich die Tränen in die Augen treibt – sofern er gut gereift ist. Doch der Weichkäse steckt nun in einer Identitätskrise, weil er von der italienischen Konkurrenz vom Thron gestoßen worden ist: Erstmals seit es offizielle Käseaufzeichnungen in
Frankreich gibt, haben die Franzosen mehr Mozzarella als Camembert gegessen. Mon dieu!
Zwei Käse, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Während der eine arm an Geschmack und reich an Elastizität ist, nämlich der zur Gummiartigkeit neigende Mozzarella, ist der andere bei entsprechend guter Lagerung viskos und vermag zwei bis drei Etagen eines mittelgroßen Hauses aufgrund seines Geruchs zeitweise unbewohnbar zu machen. Jedenfalls ist die Camembert-Gewerkschaft SNFC alarmiert. Markterhebungen haben gezeigt, dass gerade die 35- bis 49-Jährigen am meisten Mozzarella kaufen, zulasten des abgestunkenen Camemberts.
Was bedeutet die französische Entwicklung also für hiesige Lebensmittel und deren Tradition? Den geschilderten Verdrängungstendenzen gilt es im Schwabenland und im Freistaat unbedingt vorzubeugen. Denn sonst werden eines Tages bei uns mehr Ravioli als Maultaschen verzehrt. Oder mehr Tagliatelle als Spätzle. Oder mehr Prosecco als Trollinger. Mon dieu!