Viel Zündstoff
SPD, Grüne und FDP haben in den Koalitionsgesprächen einige Konfliktthemen zu klären
Von Dieter Keller, Dorothee Torebko, Dominik Guggemos, Hajo Zenker und Stefan Kegel
- Nicht einmal vier Wochen nach der Bundestagswahl beginnen am Donnerstag die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, Grünen und FDP. Bei einigen Themen droht noch Streit. Eine Übersicht über die wichtigsten Konfliktpunkte.
Klima und Umwelt
Klimaschutz spielt eine zentrale Rolle. Im Sondierungspapier haben sich die Parteien auf wesentliche Schritte wie den deutlichen Ausbau von Windkraft und Solarenergie geeinigt. Allerdings wollen die Grünen noch „hart nachverhandeln“– auch weil sie sich vor ihrer Basis verantworten müssen, die letztlich über den Koalitionsvertrag abstimmt. Kritisch könnte es beim Kohleausstieg werden. Derzeit heißt es, dieser solle „idealerweise“schon vor 2030 und nicht erst 2038 gelingen. Was das genau bedeutet und ob es tatsächlich dazu kommt, ist offen. Auch die Höhe des CO2-Preises könnte auf den Tisch kommen. Ein weiteres Konfliktfeld ist das Gas-Pipelineprojekt Nord Stream 2. Die Grünen lehnen es ab, die FDP sieht es kritisch, die SPD ist dafür. Grünen-Chefin Annalena Baerbock möchte ihm die Betriebsgenehmigung verweigern.
Verkehr
In diesem Thema steckt Sprengstoff. Die Sondierer haben sich zwar auf einen verbindlichen Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor bis 2035 geeinigt und diesen damit an die EU-Vorgaben angeglichen. Mit dem Tempolimit ist ein weiteres umstrittenes Thema vom Tisch. Doch anderes ist noch ungeklärt, etwa was mit der Deutschen Bahn passiert. Sie gilt als Motor der Mobilitätswende. Die FDP und Grünen möchten Netz und Betrieb trennen und den Konzern verschlanken. Die Sozialdemokraten lehnen das ab. Völlig unklar ist auch, ob es auf dem Land eine Mobilitätsgarantie nach dem Vorbild BadenWürttembergs geben wird. Dort wollen Grüne und CDU, dass alle Orte von 5 Uhr früh bis Mitternacht mit dem ÖPNV erreichbar sein sollen.
Rente und Arbeit
Mindestens 48 Prozent Rentenniveau, keine Rentenkürzungen, kein höheres Rentenalter – das ist in den nächsten vier Jahren relativ problemlos zu schaffen. Schwierig wird es erst längerfristig. Allerdings muss wohl schon 2023 der Rentenbeitrag steigen, im Gespräch sind 19,3 Prozent. Spätestens dann wird – auch durch die Krankenkassenbeiträge – das Ziel von maximal 40 Prozent Sozialbeiträgen gerissen, das im Sondierungspapier gar nicht auftaucht. Der Ersatz von Hartz IV durch ein „Bürgergeld“klingt spektakulärer, als er sein dürfte.
Gesundheit
Ein Konfliktfeld wurde bereits in der Sondierung abgeräumt – es bleibt beim Nebeneinander von gesetzlicher und privater Krankenversicherung. Ein Punktsieg für die FDP. Dass auch Beamte und Selbstständige gesetzlich versichert sein müssen, ist vom Tisch, nicht dagegen, wie stattdessen das Defizit der Krankenkassen geschlossen werden soll. Ins Geld gehen auch andere Punkte. So will man die ambulante und stationäre Versorgung besser verzahnen. Allerdings: Bisher wird derselbe Eingriff in der Arztpraxis schlechter vergütet als im Krankenhaus. Verabredet sind zudem die Besserstellung von Geburtshilfe und Notfallversorgung und eine „Offensive für mehr Pflegepersonal“.
Inneres und Migration
Bei kaum einem anderen Politikfeld haben SPD, Grüne und FDP so große Schnittmengen. Das bedeutet nicht, dass der Koalitionsvertrag schnell geschrieben wäre. Besonders das geplante Fachkräfteeinwanderungsgesetz dürfte ein Knackpunkt sein. Die Liberalen wollen vor allem top ausgebildete Fachkräfte ins Land holen. Die Grünen sind zwar ebenfalls für ein Punktesystem, wollen aber auch Gering- und Unqualifizierten eine Chance geben. Die SPD hat sich bisher ziemlich vage positioniert.
Interessant wird, wie die angestrebte „Generalrevision der Sicherheitsarchitektur“aussehen soll. Grüne und FDP wollen die Bürgerrechte stärken, die SPD hat die Sicherheitspolitik mit weitgehenden staatlichen Überwachungsrechten in den GroKo-Jahren durchaus mit Überzeugung mitgetragen.
Außenpolitik
Wenn es um Deutschlands Rolle in der Welt geht, treffen bei den künftigen Partnern Welten aufeinander. Die SPD nickte bisher zwar Auslandseinsätze der Bundeswehr ab, agierte aber sehr vorsichtig bei Deutschlands Rolle in der Welt. Streit droht, weil Grüne und FDP eine „wertebasierte“Außen- und Sicherheitspolitik ins Sondierungspapier hineinverhandelt haben. Das macht die Auseinandersetzung mit autoritären Regimen in der Welt nicht einfacher. Die FDP fordert zudem eine stärkere, auch robustere Einsatzfähigkeit der Bundeswehr bei der Durchsetzung deutscher Interessen.