Gegen Rechtsextreme und Antisemitismus
Vorwürfe an die Sicherheitsbehörden und Forderungen an die Schulen
- Es herrscht Einigkeit auf dem Podium in Friedrichshafen: Die Sicherheitsbehörden in Deutschland haben in der Vergangenheit schwere Fehler begangen im Kampf gegen extremistische Gewalt. Doch welches ist der richtige Weg für die Zukunft? Und welche Möglichkeiten gibt es, Antisemitismus in Deutschland zu bekämpfen? Diese Fragen diskutierten Experten beim Bodensee-Business-Forum.
„Wie soll ich das meinen Klienten erzählen“, fragt Anwältin Seda Basay-Yıldız, die im NSU-Prozess die Familie des ermordeten Enver Simsek vertrat. Gemeint sind Versäumnisse von Polizei und Behörden in den Ermittlungen zu den zehn Morden des Neonazi-Terrornetzwerks „Nationalsozialistischer Untergrund“. Zehn Jahre nach dessen Aufdeckung sieht Basay-Yıldız noch „viele offene Fragen“.
Über geschwärzte Akten und das „angebliche Unwissen“von sogenannten V-Personen, szenezugehörigen Informanten der Sicherheitsbehörden, wünscht sie sich Aufklärung und Konsequenzen in Form einer „grundlegenden Reform der Sicherheitsbehörden“. Noch weiter will der Politologe und Rechtsextremismusexperte Timo Büchner gehen. Er fordert eine Abschaffung des Verfassungsschutzes. „Das strukturelle Versagen erfordert Konsequenzen“, sagt er. Zwar brauche Deutschland Sicherheitsbehörden, doch müssten diese neu aufgestellt und der Einsatz von V-Leuten eingestellt werden.
Der FDP-Bundestagsabgeordnete Benjamin Strasser, Obmann im Untersuchungsausschuss zum islamistischen Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz, will die Arbeit der Behörden strenger beobachten. „Wir brauchen eine klare parlamentarische Kontrolle“sagt er. Die Fehler der Vergangenheit seien deutlich, allerdings wolle er den Einsatz von VLeuten in Ausnahmefällen weiterhin erlauben.
Weniger Kritik an den Sicherheitsbehörden, sondern vielmehr an Schulen äußern der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Abraham Lehrer, und der Psychologe und Autor Ahmad Mansour mit Blick auf den Antisemitismus in Deutschland. Sie nehmen die Kultusminister inBund und Ländern in die Pflicht. Angesichts des Nahost-Konflikts sei es wichtig, dass Lehrerinnen und Lehrer ein differenziertes Bild vermitteln könnten. Sonst spiele man Extremisten aller Richtungen in die Hände, sagt Mansour, der neben dem rechten und linken Antisemitismus auch Judenfeindlichkeit feststellt, die durch die Flüchtlingsbewegungen ab 2015 in Deutschland angekommen sei. „Wir müssen diese Menschen erreichen, die in einer Gesellschaft sozialisiert wurden, in der Israel als Erzfeind gilt.“Abraham Lehrer glaubt, dass insbesondere die Begegnung von Kindern und Jugendlichen in Schulprojekten helfen könnte, Vorurteile zu überwinden. „Der Schüleraustausch zwischen Deutschland und Frankreich war ein Erfolgsprojekt“und könne als Vorbild für Zusammenarbeit aller Konfessionen dienen, sagt er. Den Sicherheitsbehörden attestiert er mehr Aufmerksamkeit hinsichtlich Antisemitismus. Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) forderte die Zivilgesellschaft auf, „wach und engagiert“zu bleiben.