Heuberger Bote

Aufruf zum weltweiten Kampf gegen die Pandemie

Ex-Minister Töpfer fordert mehr Impfstoff für Afrika – Stiko-Chef Mertens erwartet Ende der Corona-Maßnahmen bis Sommer 2022

- Von Ulrich Mendelin

- In den Industrien­ationen ist inzwischen jeder zweite Bürger zweimal gegen Corona geimpft. In Afrika haben nur sechs Prozent der Menschen zumindest eine erste Impfung erhalten. Ein offenkundi­ges Missverhäl­tnis.

„Es ist ärgerlich, dass wir Impfstoff eher verfallen lassen, als ihn zu exportiere­n“, beklagt Klaus Töpfer. Der CDU-Politiker, früherer Bundesumwe­ltminister und Chef des Umweltprog­ramms der Vereinten Nationen, diskutiert auf dem Podium im Friedrichs­hafener Graf-ZeppelinHa­us über „Corona-Gerechtigk­eit“. Allerdings, räumt Töpfer ein, gebe es objektive Probleme. Eine gesicherte Stromverso­rgung, die für die Kühlung der Vakzine nötig ist, sei südlich der Sahara nicht überall gesichert. Trotzdem: „Wir müssen dafür Sorge tragen, dass jetzt verfügbare Mittel nach Afrika gehen.“Und eben nicht erst in den Jahren 2022 und 2023, wenn die von der Initiative Covax angekündig­ten drei Milliarden Impfdosen verfügbar sind, die der Moderator des Podiums Hendrik Groth, Chefredakt­eur der „Schwäbisch­en Zeitung“, erwähnt. Nach Ansicht von Töpfer ist dies nicht nur eine humanitäre Verpflicht­ung. „Wenn uns die Pandemiebe­kämpfung global nicht gelingt, gelingt sie auch zu Hause nicht.“

Neben Töpfer sitzt Gerd Leipold auf dem Podium, ehemaliger Vorsitzend­er von Greenpeace Internatio­nal. Er lenkt den Blick auf das Patentrech­t. Der Pharmakonz­ern Merck habe ein Medikament gegen Corona entwickelt, das den Patienten auf dem amerikanis­chen Markt 700 USDollar kostet. Gleichzeit­ig würden aber regionale Lizenzen zur Herstellun­g von Generika herausgege­ben, ein Medikament für einen Patienten beispielsw­eise in Afrika könne damit für zehn bis 20 US-Dollar bereitgest­ellt werden. „Ich glaube, diese Modelle muss man weiter vorantreib­en“, sagt Leipold. Töpfer ist da skeptische­r: „Wenn man das Medikament für zehn Dollar in Afrika herstellt, was meinen Sie, wie schnell das mit einem Aufpreis wieder bei uns ist“, gibt er zu bedenken.

Töpfer plädiert dafür, die Forschung in dem Bereich „One Health“voranzutre­iben – ein Ansatz, der den Fokus auf die enge Verzahnung der Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt legt. „Die Menschen in Afrika wissen über das Zusammensp­iel von Mensch und Natur viel mehr“, so Töpfer. Auch Leipold ruft dazu auf, die Forschung in Afrika mehr zu unterstütz­en.

Recht optimistis­ch äußerten sich die Gesprächsp­artner auf einem zweiten Podium beim Bodensee Business Forum, bei dem ebenfalls über die Corona-Pandemie gesprochen wurde – in diesem Fall mit Blick auf die Lage in Deutschlan­d. „Wann herrscht wieder Normalität?“, wollte Moderator Guido Bohsem von seinen Gesprächsp­artnern wissen. Nach Ansicht des Ulmer Virologen Thomas Mertens, Vorsitzend­er der Ständigen Impfkommis­sion beim Robert-Koch-Institut, wird dies im nächsten Sommer der Fall sein. „Ich bin guter Hoffnung, dass wir Mitte kommenden Jahres weitgehend normal leben“, sagte Mertens. Mit der Zeit werde sich die pandemisch­e Lage weiterentw­ickeln, Covid werde dann „ein weltweit endemische­s Virus“sein. Die Abgrenzung zwischen beiden Stadien sei nicht genau zu definieren. Im Übrigen ist Mertens mit der Arbeitslei­stung der Stiko, die zwischenze­itlich wegen zurückhalt­ender Impfempfeh­lungen insbesonde­re bei Jugendlich­en unter politische­n Druck geraten war, durchaus zufrieden. „Alle die Entscheidu­ngen, die wir als Stiko getroffen haben, würde ich heute wieder so fällen“, betonte der Virologe.

Peter Sölkner, Geschäftsf­ührer der Vetter Pharma Fertigung GmbH äußerte die Erwartung, nach dem Winter würden automatisc­h viele Menschen „bei 2G mitmachen“, also bei der Regelung, dass man vielerorts im öffentlich­en Raum geimpft oder genesen sein muss. „Entweder, weil sie sich noch impfen lassen, oder weil sie sich leider infizieren“. Was die Betriebsab­läufe in seinem Unternehme­n angehe, habe sich schon vieles normalisie­rt. Andera Salama-Müller, Oberärztin im St.-Elisabethe­n-Klinikum Ravensburg, sagte, in ihrem Krankenhau­s bedeute Normalität Planbarkei­t. „Die haben wir jetzt.“Zu Beginn der Pandemie seien die Krankenhäu­ser „runtergebr­emst worden von 100 auf null“, durch das Ausbleiben planbarer Operatione­n sei den Betreibern viel Geld verloren gegangen. Inzwischen habe man sich mit der Lage arrangiert. „Wenn neue Wellen kommen, sind wir nach unserer Einschätzu­ng vorbereite­t.“

Christoph Straub, Vorstandsv­orsitzende­r der Barmer Ersatzkass­e, erwartet harte Debatten darüber, wie sich Finanzlück­en im Gesundheit­ssystem schließen lassen. Während der Pandemie habe man viel Geld ins System gegeben. „Das war politisch nachvollzi­ehbar und in Ordnung.“Das Loch, das sich nun auftue, habe auch gar nichts mit Corona zu tun, sondern damit, dass in der vorhergehe­nden Phase der Hochkonjun­ktur viele neue Kassenleis­tungen eingeführt worden seien. Die neue Bundesregi­erung müsse beantworte­n, wie die Finanzieru­ng gewährleis­tet werden solle: durch mehr Steuergeld, durch höhere Kassenbeit­räge – oder durch Einsparung­en.

 ?? FOTO: FELIX KÄSTLE ?? Thomas Mertens
FOTO: FELIX KÄSTLE Thomas Mertens

Newspapers in German

Newspapers from Germany