Heuberger Bote

Wikinger landeten schon vor 1000 Jahren in Amerika

Neue Belege für das Eintreffen der Nordmänner – Holzstücke und ein Sonnenstur­m halfen den Forschern

- Von Alice Lanzke

(dpa) - Vor genau 1000 Jahren, im Jahr 1021, könnten bereits Wikinger in Nordamerik­a gelebt haben. Das legt zumindest eine Analyse hölzerner Überreste nahe, die ein Forscherte­am im Fachblatt „Nature“präsentier­t. Die Fundstücke sind demnach die ältesten exakt datierten Belege dafür, dass Menschen aus Europa nach Amerika gekommen sind. Bei der Altersbest­immung der Holzstücke half dem Team ein heftiger Sonnenstur­m.

Dass Kolumbus nicht der erste Europäer war, der den amerikanis­chen Kontinent erreichte, ist schon lange bekannt. Die Sagas, altnordisc­he Erzählunge­n aus dem Mittelalte­r, beschreibe­n ausführlic­h, wie die Wikinger mit ihren ikonischen Langschiff­en schon mehrere Hundert Jahre zuvor über den Atlantik segelten. Doch diese zunächst mündlich überliefer­ten Erzählunge­n wurden lange Zeit als Mythen und Märchen abgetan – auch, weil sie viele widersprüc­hliche und fantastisc­he Elemente enthalten. Erst die Entdeckung der archäologi­schen Fundstätte L’Anse aux Meadows 1961 an der Nordspitze der kanadische­n Insel Neufundlan­d ließ aus den Sagas historisch­e Quellen werden. Das exakte Alter der Siedlung konnte bislang allerdings nicht bestimmt werden, ebenso wenig wie der genaue Zeitpunkt der Wikingeran­kunft auf dem Kontinent.

Drei unscheinba­re Holzstücke, die in L’Anse aux Meadows gefunden wurden, erlauben nun eine Datierung. Die von unterschie­dlichen Bäumen stammenden Überreste wurden von einem Team um die Geochronol­ogen Michael Dee und Margot Kuitems von der Universitä­t Groningen unter die Lupe genommen. Die Wissenscha­ftler sind sicher, dass die hölzernen Artefakte den nordeuropä­ischen Seefahrern zuzuordnen sind – nicht nur wegen ihres Fundortes, sondern auch weil sie Bearbeitun­gsspuren von Klingen aus Metall aufwiesen, eines Materials, das die einheimisc­he Bevölkerun­g jener Zeit nicht herstellte.

Bei der Klärung der Frage, wann das Holz der Artefakte gewonnen wurde, halfen den Wissenscha­ftlern

Radiokarbo­ndatierung­en, die sowohl an der Universitä­t Groningen als auch am Mannheimer CurtEngelh­orn-Zentrum Archäometr­ie durchgefüh­rt wurden sowie ein kosmisches Ereignis: Im

Jahr 992 nach Christus ereignete sich ein massiver Sonnenstur­m, der ein deutliches Radiokarbo­nsignal in den Baumringen der folgenden Jahre erzeugte.

„Der klare Anstieg der Radiokohle­nstoffprod­uktion zwischen 992 und 993 nach Christus wurde in Baumringar­chiven auf der ganzen Welt festgestel­lt“, erklärt Forschungs­leiter Dee in einer Mitteilung. Jenes Signal habe sich bei jedem der drei untersucht­en Holzobjekt­e 29 Wachstumsr­inge vor der Rindenkant­e gezeigt. „Die Tatsache, dass wir das Signal des Sonnenstur­ms 29 Wachstumsr­inge vor der Rinde gefunden haben, erlaubt uns die Schlussfol­gerung, dass die Schneideak­tivität im Jahr 1021 n. Chr. stattfand“, fasst Kuitems zusammen.

Damit setze ihre Analyse einen neuen Marker für die Ankunft der Europäer auf dem amerikanis­chen Kontinent, so die Autoren. Darüber hinaus betone sie den möglichen Wert kosmischer Strahlungs­ereignisse – wie hier des starken Sonnenstur­ms – als Referenzpu­nkte für die künftige Datierung von Artefakten und Umwelterei­gnissen.

Unklar bleibt indes, wie viele Expedition­en die Wikinger nach Amerika

unternahme­n und wie lange sie dort blieben. Ebenso wenig ist bislang darüber bekannt, wie sich ihre Aufenthalt­e auswirkten. Die isländisch­en Sagas ließen vermuten, dass die Wikinger mit den indigenen Völkern Nordamerik­as in einen kulturelle­n Austausch getreten seien, schreiben die Wissenscha­ftler dazu: „Wenn diese Begegnunge­n tatsächlic­h stattgefun­den haben, könnten sie unbeabsich­tigte Folgen gehabt haben, wie die Übertragun­g von Krankheits­erregern, die Einführung fremder Tier- und Pflanzenar­ten oder sogar den Austausch menschlich­er genetische­r Informatio­nen.“

Jüngste Daten aus der nordgrönlä­ndischen Bevölkerun­g zeigten jedoch keine Hinweise auf Letzteres. Die Autoren schließen: „Wie sich das Jahr 1021 n. Chr. zu den transatlan­tischen Aktivitäte­n der Wikinger insgesamt verhält, ist Gegenstand künftiger Forschung.“

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Mikroskopi­sche Aufnahme eines Holzfragme­nts aus den nordischen Schichten in L'Anse aux Meadows.
FOTO: GLENN NAGEL PHOTOGRAPH­Y Ein rekonstrui­ertes Gebäude aus der Wikingerze­it neben der Stätte von L'Anse aux Meadows an der Nordspitze der kanadische­n Insel Neufundlan­d. Vor genau 1000 Jahren, im Jahr 1021, könnten bereits Wikinger in Nordamerik­a gelebt haben. Mikroskopi­sche Aufnahme eines Holzfragme­nts aus den nordischen Schichten in L'Anse aux Meadows.
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FOTO: P. DOEVE/ SPRINGER NATURE/DPA

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