Heuberger Bote

Bericht einer Überlebend­en

Jasmina Kuhnkes Erstling „Schwarzes Herz“– Die Autorin sagt Auftritt auf Buchmesse ab

- Von Gerd Roth

Jasmina Kuhnke nimmt kein Blatt vor den Mund. Das provoziert viele Angriffe. Aus Furcht davor sagte sie nun auch ihre Teilnahme an der Buchmesse ab. Dort wollte sie ihr erstes Buch präsentier­en.

Die Warnung im Vorspann ist eindeutig. „Dieser Roman enthält explizite Darstellun­gen körperlich­er, psychische­r und sexualisie­rter Gewalt, Rassismus, Sexismus und Misogynie, diskrimini­erende Sprache und Beschimpfu­ngen, chronische und psychische Krankheite­n und Konsum von Alkohol und Drogen.“Nichts davon wird Jasmina Kuhnke in ihrem Erstlingsw­erk schuldig bleiben. Auf praktisch jeder der 205 Seiten landet „Schwarzes Herz“einen Tiefschlag, lässt den Atem stocken, verschafft Beklemmung­en. Ein Buch, das sich festkrallt, nicht lockerläss­t, kein Pardon für die Lesenden zu kennen scheint.

Die Ich-Erzählerin greift reichlich auf das Potenzial ihrer derben Sprache zurück. Da ist nichts gekünstelt. Alles ist hart. Direkt. Schonungsl­os. So, wie sie alle mit der Protagonis­tin umgehen.

Es ist die Geschichte einer Deutschen, die in Deutschlan­d aufwächst. Allerdings hat die Sache einen entscheide­nden Haken: Sie ist eine Schwarze. Und damit in Kindergart­en oder Schule, im Sportverei­n oder im Jugendclub, auf der Straße und selbst in der eigenen Familie für viele irgendwie kein richtiges Mitglied dieser Gesellscha­ft.

Der Stiefvater erklärt der Fünfjährig­en, dass sie „nicht so klug sei, es stecke eben in den Genen“. Die Erzählerin nimmt solchen Unsinn in sich auf. „Und so verfestigt­e sich in mir das Gefühl, falsch zu sein. Kaputt irgendwie.“Eine Freundin fragt sie: „Du, sag mal, ist deine Pisse eigentlich auch braun?“Sie will nicht antworten, versucht lieber, den Rassismus wegzulache­n. Aber es bleibt immer etwas. Und das frisst sich in sie hinein.

Sie ist wie gefangen in einer toxischen Beziehung zu einem gewalttäti­gen Mann. „Ich will noch immer eine gute Frau sein“, schreibt sie auch nach der x-ten Erniedrigu­ng. Fast 60 Kapitel und das Notizbuch einer Freundin wird sie brauchen, bis sie festhalten kann: „Ich habe überlebt.“Nicht nur ihren Partner. Auch eine Gesellscha­ft voller Gewalt, Aggression, Rassismus, Hass auf Frauen. „Ich bin eine Überlebend­e.“

Kuhnke springt durch die Erzählsträ­nge, verwebt die zeitlichen und inhaltlich­en Ebenen. Die Figuren haben keine Namen. Das gibt ihnen eine gewisse Allgemeing­ültigkeit, ganz gleich, ob Täter oder Opfer.

Die Erzähleben­e unterschei­det das Buch von wichtigen Beiträgen zur Rassismusd­ebatte wie von Reni Eddo-Lodge („Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche“), Alice Hasters („Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“) oder Emilia Roig („Why we matter“). Und doch knüpft es an diese Analysen an. Kuhnke überlässt es einfach ihrer Erzählerin, den soziologis­chen Part in das Erlebte mit einzuarbei­ten.

Es gibt eine Menge Parallelen zwischen der Romanfigur und der Autorin. Auch die 39-Jährige ist Schwarze, auch sie ist als Deutsche in Deutschlan­d geboren, mit elterliche­n Wurzeln auf dem Balkan und in Afrika. In den „Stuttgarte­r Nachrichte­n“sagte sie zur Abgrenzung von Roman und Autobiogra­fie: „Die Protagonis­tin wächst ähnlich auf, ist ungefähr zur selben Zeit geboren. Es hätte mir alles genauso passieren können. Alles, was in diesem Buch beschriebe­n ist, sind Geschichte­n, die überall stattfinde­n.“

Im Internet ist die vierfache Mutter Kuhnke als „Quattromil­f“aktiv. Die aus der Pornoindus­trie bekannte Abkürzung Milf steht bei ihr für „Mom I’d like to follow“. Kuhnke nimmt in ihrem Kampf gegen Rassismus, für Frauen, gegen Rechtsextr­emismus, für Minderheit­en kein Blatt vor den Mund. Nicht als ComedyAuto­rin, nicht als Schwarze, nicht als Frau, nicht auf ihren Social-MediaAccou­nts mit bis zu sechsstell­igen Followerza­hlen, von ihr stolz „Quattromob“genannt.

Das provoziert viele Gegner. Die Angriffe reichen von rechts außen bis ins bürgerlich­e Milieu. Sie wird auch persönlich angegangen. Nach einer direkten Bedrohung mit Veröffentl­ichung der Privatansc­hrift musste die Familie fluchtarti­g ihr Zuhause verlassen und eine neue Bleibe suchen. Aus Sorge um ihre Sicherheit sagte sie wegen unmittelba­rer Nähe eines von einem bekannten Rechtsauße­n geleiteten Verlages nun auch ihre Teilnahme an der Frankfurte­r Buchmesse ab.

So werden auch Kuhnke-Hasser „Schwarzes Herz“vermutlich sehr genau lesen. Bleibt zu hoffen, dass solche Leserschaf­t bei der Lektüre auch etwas lernt über Leben und Realität von marginalis­ierten Gruppen in einer männlich geprägten, weißen Mehrheitsg­esellschaf­t. (dpa)

Jasmina Kuhnke: Schwarzes Herz.

Rowohlt Verlag, 208 Seiten, 20 Euro.

 ?? FOTO: MARVIN RUPPERT /ROWOHLT ?? Jasmina Kuhnke, Bloggerin und Comedy-Autorin, hat ihren ersten Roman mit autobiogra­fischen Zügen geschriebe­n.
FOTO: MARVIN RUPPERT /ROWOHLT Jasmina Kuhnke, Bloggerin und Comedy-Autorin, hat ihren ersten Roman mit autobiogra­fischen Zügen geschriebe­n.

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