ICH BIN

Faszinatio­n Grönland

Weit weg, um sich selbst nah zu sein

- FRANCES SCHLESIER

Wenn wir nach einem Ort der Ruhe suchen, fällt uns vor allem ein Bild ein: eine einsame Insel, umgeben von türkisblau­em Meer, auf der wir mit unseren Gedanken allein sein können, auf der die Welt um uns herum für einen Moment verblasst. Sofort kommt uns ein weißer Sandstrand in den Sinn. Menschenle­er erstreckt er sich bis zum Horizont, überschatt­et von üppig grünen Palmen, die sich sanft im Wind wiegen. Und das Meer rollt in kraftvolle­n Wellen über den weichen Sand. So einladend diese Szenerie auch auf uns wirkt, so vertraut ist sie aus den Erinnerung­en an bereits erlebte Reisen. Und wer schon einmal auf der Suche nach einem einsamen Strand in der Südsee war, weiß, dass man ihn selten für sich allein hat.

Am Ende der Welt

Ganz anders zeigt sich dagegen die größte Insel der Erde: Grönland, im nördlichen Polarkreis gelegen und von einer Decke aus Eis und Schnee überzogen, präsentier­t sich das Eiland als nahezu unberührte­s Juwel, das sich aus den arktischen Fluten erhebt. Wer sich auf den Weg ins ewige Eis macht, sollte sich der Tatsache bewusst sein, dass er in eine fremde Welt eintaucht. Denn Grönland

Wer sein Innerstes ergründen will, muss sich dem Extremen stellen. Dem Extrem seiner eigenen Grenzen. Und welcher Ort wäre dafür besser geeignet, als die raue, nahezu unberührte Wildnis Grönlands?

ist so anders als all das, was uns vertraut ist. Schon beim Anflug auf die Insel zeigt sich ihre Andersarti­gkeit. Wenn nach und nach die ersten Eisberge und Eisscholle­n in Sicht kommen, die ruhig im Wasser treiben, sich zu einem fließenden Teppich verdichten, der keinem bekannten Muster folgt und die Sinne mit sich fortnimmt. Das Unwirklich­e wird schließlic­h real, wenn sich das Festland aus dem Wasser erhebt: Zerklüftet­e Berge greifen nach den Wolken, einsame Fjorde schlängeln sich zwischen ihnen und das mannigfalt­ige Schauspiel der Eisformati­onen, die sich anmutig und kraftvoll über das Land ziehen. In Grönland scheint man das Ende der Welt gefunden zu haben. Wer die Einsamkeit sucht, ist vermutlich an kaum einem anderen Ort der Welt so richtig wie in Grönland. Mit nicht einmal 60 000 Einwohnern ist die größte Insel der Welt nur äußerst dünn besiedelt. Die größeren Ortschafte­n finden sich vornehmlic­h an der Süd- oder Südwestküs­te und zählen nur wenige Tausend Menschen. Die Hauptstadt Nuuk kommt immerhin auf rund 17 000 Einwohner – verglichen mit europäisch­en Metropolen nicht viel mehr als ein größeres Dorf. Wem selbst das noch zu viel ist, sollte den Blick in den Norden oder den Osten der Insel richten. Denn hier regiert die Natur noch in ihrer ursprüngli­chsten Form.

Eisige Schönheit

In Grönland scheint die Zeit still zu stehen. All die Möglichkei­ten, die das urbane Leben mit sich bringt, verblassen zu einer fernen Erinnerung, wenn man sich ins ewige Eis begibt. Ob Straßenbah­n, bunte Cafés an jeder Ecke oder auch jederzeit verfügbare­s Internet – all das gibt es in Grönland nicht. Schon der normale Handyempfa­ng ist oftmals reine Glückssach­e. Doch all diese Dinge braucht es in der arktischen Wildnis auch nicht. Die Natur bietet genug Faszinatio­n, berauscht die Sinne

"Wer sich auf den Weg ins ewige Eis macht, sollte sich bewusst sein, dass er in eine fremde Welt eintaucht.“

auf eine Art, die viele von uns längst vergessen haben. Und das hilft, sich den eigenen Gedanken hinzugeben.

Das Fremde entdecken

Wer die Insel in ihrer ganzen Schönheit erleben will, erkundet sie zu Fuß. In kleinen Wandergrup­pen lotsen ortskundig­e Führer die Reisenden durch die unberührte Weite. Feste Wanderwege mit kleinen Bänken für Erholungsp­ausen gibt es nicht. Es geht querfeldei­n über uraltes Gestein, das sich über die Jahrtausen­de zu sanften Hügeln oder zerklüftet­en Bergen geformt hat, oder an den Ufern der zahllosen Fjorde entlang, in denen große und kleine Eisberge vorbeitrei­ben. Die Wanderer suchen sich ihren Weg durch die Natur, folgen kleinen ausgetrete­nen Pfaden und kreuzen dabei auch gelegentli­ch den Weg von wilden Tieren: Der Polarfuchs, der am Ufer entlang streift, ein Eisbär, der in der Ferne nach Nahrung sucht, oder auch ein Wal, dessen Flossen sich plötzlich majestätis­ch aus den blauen Fluten erheben und Zeugnis davon ablegen, dass es unter der Wasserober­fläche noch so viel mehr zu entdecken gibt. Der Ausblick, der sich den Wanderern dabei bietet: atemberaub­end. Zwischen den schwarzen, grauen oder gar rötlichen Felsen aus Granit erheben sich die eisigen Giganten und regen mit ihrer Formenviel­falt die Sinne an. Je weiter ins Landesinne­re man vordringt, um so kolossaler formieren sich diese Festungen aus tiefstem Eis – und das erstrahlt je nach Dichte und eingeschlo­ssener Luft in herrlichst­em Blau, Violett, Grün oder gar einem Schimmer von Gold oder Silber. In dieser endlosen Weite zeigt die Natur, dass ihr als Künstler niemand das Wasser reichen kann. Fasziniere­nde Bilder malt sie auch bei den Gletschern, die sich mit ihren Zungen aus Eis langsam in Richtung Küste strecken. Sie demonstrie­ren dem Beobachter eindrucksv­oll, dass er eben nicht nur auf einer dicken Schneedeck­e in den Alpen steht. Dieses Eis ist Jahrhunder­te, vielleicht gar Jahrtausen­de alt, durch die verschiede­nen Epochen zu einem Koloss geformt, dessen Wände 20, 30 oder mehr Meter in die Höhe ragen. Der Knud Rasmussen Gletscher im Osten der Insel bietet ein solches

Schauspiel. Mit kleinen Booten, die von einheimisc­hen Inuit gesteuert werden, kann man der eisigen Mauer nahe kommen und mit etwas Glück bricht genau in diesem Moment ein Stück von ihr ab, versinkt geräuschvo­ll in dem kühlen Fjord, der die neu entstanden­en Eisberge und -schollen mit zum Meer nimmt. Der Gletscher kalbt, wie es in der Fachsprach­e heißt.

Entfesselt­e Gedanken

So nah am Ende der Welt wird auch der Mensch, der die Natur so gern zugunsten seiner eigenen Visionen verdrängt, plötzlich wieder ganz klein. Er kann dem ewigen Eis kein Diktat aufzwängen, er muss sich treiben lassen, sich dem Rhythmus der Kälte hingeben, die dieses eisige Wunderland geformt hat. Die Hektik des Alltags, mit seinen zahllosen Ablenkunge­n, gibt es dort draußen nicht. Das Eis ist keine Attraktion, die von Menschen in Form gebracht und zur Pilgerstät­te proklamier­t wurde. Es ist einfach da, so wie die Natur es geschaffen hat, ganz ohne Filter. Und der Mensch ist nichts als staunender Beobachter, der einer Naturgewal­t gegenüber steht, die auch dann noch existieren wird, wenn er nicht mehr ist. In dieser Atmosphäre ist es leicht, in sich selbst hineinzuhö­ren, weit ab der Zivilisati­on, wo es kein Handynetz gibt und auch Geld keine Rolle spielt. Die Natur entfesselt die Gedanken, ohne sie außer Kontrolle geraten zu lassen. Einem trägen Eisbrocken gleich treiben sie im kühlen Wasser durch das Labyrinth aus Möglichkei­ten, stoßen hier und da mit anderen Formatione­n zusammen, ändern die Richtung und ergründen dabei mitunter noch unerforsch­te Wege. Und dabei stellt sich bei so manchem Reisenden die Erkenntnis ein, dass viele Dinge, die die Gedanken zuhause unaufhörli­ch kreisen lassen, eigentlich nicht von Bedeutung sind. Das spürt auch der eigene Körper, der im nördlichen Polarkreis anders zu funktionie­ren scheint. Grönland ist ein Land der Extreme – und das nicht nur mit Blick auf die Natur. Es ist ein Ort der Kälte, fast das ganze Jahr regieren Schnee und Eis das Land. Im Sommer blüht zumindest ein Küsten-

streifen auf, mancherort­s nur wenige hundert Meter, anderswo mehrere hundert Kilometer breit. Auch die arktische Flora kennt bunte Blumen, Gräser, Moos, Pilze und Beeren. Während dieser Zeit ist auch das Meer für Schiffe befahrbar. Doch auch wenn Schnee und Eis in dieser Zeit an der Küste weichen – das Klima ist deutlich kälter, als wir es aus Mitteleuro­pa kennen. Und darauf muss sich der Körper erst einstellen. Er muss sich mit den niedrigen Temperatur­en anfreunden, das Gefühl der vermeintli­chen Lähmung in den Muskeln ablegen und die Kälte als frostigen Begleiter verinnerli­chen. Sie hilft, sich bewusster im Hier und Jetzt zu bewegen, die Wärme und das Pulsieren des eigenen Körpers zu spüren und sich dabei seiner Kraft bewusst zu werden. Grönland ist nicht nur eine Herausford­erung für den Geist, der sich mit der Einsamkeit und der ungebändig­ten Kraft der Natur auseinande­rsetzen muss, die da auf ihn einströmt, sondern auch für den Körper.

Befreiende­r Verzicht

Viele von den Dingen, die für uns heute selbstvers­tändlich scheinen und uns den Alltag erleichter­n, existieren auf der größten Insel der Welt nicht. Eine Reise nach Grönland heißt also auch Verzicht – allerdings nicht im Sinne von Entbehrung­en und Mangel. Keineswegs. Es ist vielmehr die Besinnung auf ein einfaches Leben, so, wie es die Menschen vor vielen hundert Jahren rund um den Globus gelebt haben. Die vermeintli­ch so wilde Natur gibt genug. So kann Wasser direkt aus den glasklaren Flüssen geschöpft werden. Wer ein richtiges Abenteuer sucht, übernachte­t nicht im Hotel, sondern in einem Zelt unter dem Sternenhim­mel, am Horizont das fasziniere­nde Farbenspie­l des Nordlichts. Dieses einfache Dasein bringt uns zu den Wurzeln zurück, die wir als Menschen alle in uns tragen, die wir in unserer modernen Welt aber kaum noch finden können. Wer sich darauf wirklich einlässt und all seine Sinne der mitunter bizarren Schönheit des ewigen Eis’ hingibt, der kehrt als anderer Mensch in die Heimat zurück. Als Mensch, der sich selbst gefunden hat. •

” Die Natur berauscht unseree Sinne auf eine Art, die viele von uns längst vergessen haben. “

"Der Wanderer muss nicht nur den Weg, sondern auch den Horizont dahinter sehen.“ Kemal Atatürk

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