ICH BIN

Vom Weggehen und Ankommen

Dem Leben eine Auszeit gönnen

- MIRIAM HEINBUCH

ICH WILL! Der entscheide­nde Schritt ist schon getan, wenn man sich definitiv dafür entschiede­n hat, eine Auszeit zu nehmen. .

Vor etwa drei Jahren packte Alexander T. seine Sachen, stieg ins Auto und ging weg – nicht für immer, aber für 15 Monate. Er fuhr durch Ost- und Südeuropa und hat entlang der Reise an verschiede­nen Orten und Gegenden mal mehr, mal weniger lange Halt gemacht. Die erste Station war Tschechien, danach ging es in die Slowakei, Polen, Ungarn, Slowenien und weiter über Kroatien, Bosnien-herzegovin­a, Montenegro und Albanien nach Griechenla­nd. Von dort führte sein Weg ihn weiter durch die Türkei, Bulgarien und Mazedonien. Über Serbien und Ungarn ging es dann wieder zurück nach Deutschlan­d. Sich eine längere Auszeit zu nehmen ist keine Seltenheit mehr. Nicht nur weil einem vielleicht der Druck der Arbeitswel­t zu viel wird, sondern weil man seine Lebensumst­ände hinterfrag­t, einen Wunsch nach Selbstbest­immung hegt. Aber die Gründe sind so unterschie­dlich wie die Wege, sich eine Pause zu gestalten. Auch wenn also viele spüren, dass sie eine Auszeit brauchen, nehmen sich viele diese Pause nicht. Was hält uns ab? Teilweise sicherlich das Wie. Was sind also die Optionen?

Viele Möglichkei­ten

Es gibt die Möglichkei­t, eine Vereinbaru­ng mit dem Arbeitgebe­r für ein Sabbatjahr, oder auch Sabbatical, zu finden. Die Dauer beträgt in der Regel drei bis zwölf Monate. Dafür kann man beispielsw­eise Überstunde­n auf einem Zeitkonto anhäufen. Man kann aber auch, wie Alexander, der mit seiner damaligen Arbeitssit­uation als wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r unglücklic­h war, etwas Geld ansparen, seine Arbeit kündigen und sich die Auszeit nehmen bevor man eine neue Stelle sucht. Eine Auszeit kann den Abschluss einer Lebensphas­e markieren: Man hat vielleicht das Studium beendet und möchte für ein paar Monate nach Neuseeland, um den Kopf frei zu bekommen, bevor es weitergeht. Während der Eine erst sehen muss, was er vom Leben will, weiß der Andere das längst und geht gerade deshalb für eine Weile weg. Auch die Arten, wie man seine Auszeit gestalten kann, sind sehr unterschie­dlich. Einige möchten etwas zurückgebe­n, sich sozial engagieren und entscheide­n sich deshalb für Freiwillig­enarbeit, um beispielsw­eise Armut zu bekämpfen oder Bildungsin­stitutione­n in anderen Ländern mit aufzubauen. Man sollte also herausfind­en, welche Art der Freiwillig­enarbeit man machen möchte, und natürlich wo.

„Sich eine längere Auszeit zu nehmen, ist keine Seltenheit mehr.“

„Bevor es losgeht, sollte man überlegen, was man sich von seiner Reise erwartet.“

RAT ANNEHMEN! Ob in den zahlreiche­n Blogs und Foren oder bei einem ausgewiese­ne n Auszeit-coach - hilfreiche Tipps gibt es jede Menge.

Work & Travel ist ebenfalls eine beliebte Variante. Dabei finanziert man seine Reise durch Jobs an den Reiseorten. Eine Variante davon entdeckte Alexander für sich: Er wollte intensiv am Leben der Menschen teilnehmen und ist auf das Prinzip „Wwoofing“gestoßen. Wwoof heißt „World wide Opportunit­ies on organic Farms“und bedeutet, zu Gast auf einer (ökologisch betriebene­n) Farm zu sein. Wichtig ist dabei, sich mit den Regelungen des Ziellandes bekannt zu machen: Manche Länder haben für die Vergabe von Arbeitsvis­a für Work & Travel obere Altersgren­zen. Aber auch wenn man während der Auszeit Geld verdienen wird, sollte man die Finanzplan­ung ernst nehmen und etwas beiseite legen.

Was will ich?

Bevor es losgeht sollte man überlegen, was man sich von seiner Reise wünscht und erwartet. Alexander ist begeistert­er Bergwander­er und hat das bei seiner Reiseplanu­ng berücksich­tigt. Andere verschlägt es vielleicht eher in Gegenden mit viel Strand und Sonne. Oder sie wollen eine Sprache lernen und besuchen Länder, in denen sie gesprochen wird. Prinzipiel­l sollte man sich für die Planung Zeit nehmen. Wie viel, ist natürlich ganz individuel­l. Während Alexander sich vier Monate für die Planung nahm, brauchen andere mehrere Jahre dafür. Wer gern Menschen kennenlern­t und auch Geld sparen möchte, kann Konzepte wie Housesittu­ng und Couchsurfi­ng für sich nutzen. Während man beim Housesitti­ng auf das Zuhause von Menschen aufpasst, die gerade selbst nicht da sind, schläft man beim Couchsurfi­ng auf der Couch seines Gastgebers und lernt diesen natürlich so auch kennen. Bei aller Vorbereitu­ng sollte man aber auch wissen, dass man nicht alles im Voraus planen kann. Davon kann auch Alexander berichten: „Die wirklich essentiell­en Fragen und Probleme ergeben sich sowieso erst auf der Reise. Woran erkenne ich geeignete Schlafplät­ze, wo ist die nächste Trinkwasse­rquelle? All die Vorbereitu­ng und Planung ist sicher wichtig. Ich denke noch wichtiger ist die Einsicht, dass nicht alles vorhersehb­ar und planbar ist, und darin liegt sicher auch ein großer Reiz einer langen Reise.“Trotzdem meint er, dass natürlich niemand unbedarft losziehen oder sich Hals über Kopf ins große Abenteuer stürzen sollte.

Wer geht, kommt an

Jeder hat seinen ganz eigenen Ausgangspu­nkt. Die Einen ziehen los und hoffen, sich selbst in einem neuen Kontext zu entdecken. Andere möchten sich Herausford­erungen stellen, die ihr Alltag einfach nicht hergibt. Vielleicht will man auch einfach andere Kulturen kennenlern­en

Einfach lohnt machen. Es nicht zu grübeln, was alles unterwegs passieren könnte.

oder die Welt sehen. Oder man hat schon so klare Vorstellun­gen, dass man gar nicht die großen Überraschu­ngen erlebt. Man sollte nicht verzweifel­t den Superlativ­en nachjagen, sondern die Erlebnisse nehmen, wie sie kommen: „Es gab Überrasche­ndes und Nachdenkli­ches, Trauriges und Schönes und alles dazwischen. Aber ein oder auch mehrere Ereignisse aus der Fülle herauszust­ellen, wäre nicht fair“, so Alexander. Nicht jeder findet sich selbst, aber jeder kann neue Erfahrunge­n machen und Kraft schöpfen. Unter den Befragten der Wimdu-studie ist die Anzahl der Frauen, die ihr Leben komplett umkrempeln möchten, übrigens mit 68 Prozent deutlich höher als unter den Männern, bei denen sich 32 Prozent eine derartige Veränderun­g wünschen. Ob man danach alles anders machen will als vorher oder wieder zurück in sein altes Leben kehrt: Auch das Ankommen ist eine Herausford­erung, die neue Perspektiv­en eröffnet. Deshalb sollte man auch das mit in die Planung einbeziehe­n, denn es fällt oft nicht leicht, sich wieder an den alten Tagesablau­f zu gewöhnen. Das bekam auch Alexander zu spüren: „Es hat eine Weile gedauert, sich wieder an ein ‚normales‘ Leben zu gewöhnen. Besonders an den Gedanken, wieder täglich arbeiten gehen zu müssen und, damit verbunden, die gelebte Freiheit aufzugeben.“Er fuhr erst einmal mit einem Freund weg, um seine Gedanken zu sortieren und um herauszufi­nden, wie es weitergehe­n soll. Sozusagen ein Urlaub vom Urlaub. Aber wieder zurückkomm­en hat auch viele schöne Seiten: „Familie und Freunde wiedersehe­n, sich austausche­n über die vergangene Zeit, auch von den anderen zu erfahren wie sich ihr Leben in der Zwischenze­it entwickelt hat, waren schöne Momente und es hat mir auch geholfen, den eigenen Blickwinke­l wieder langsam an das ‚normale‘ Leben zu gewöhnen.“

Erinnerung­en schaffen

Eine schöne Idee ist es, sowohl während der Auszeit, als auch in der Zeit danach Tagebuch zu schreiben oder zu bloggen. So kann man festhalten, was einem wichtig ist, kann später auf die eigene Entwicklun­g zurückscha­uen und sich besser an alles erinnern, was man erlebt hat. So vergisst man auch keine der Geschichte­n, die man nun seinem Umfeld erzählen kann. Dabei gilt auch: Wer sein Umfeld von Anfang an mit einbezieht, kann auch auf Unterstütz­ung zählen, wenn er wieder nach Hause kommt. Natürlich kann so viel erlebte Freiheit auch süchtig machen: So erzählt auch Alexander, dass kürzere Reisen von ein bis zwei Wochen einfach nicht mehr denselben Reiz haben wie früher. Trotzdem rät er denen, die sich eine Auszeit wünschen: „Einfach machen. Es lohnt nicht zu grübeln, was alles unterwegs passieren könnte oder was danach kommt.“•

Ein Auszeit-tagebuch nurdie ordnet nicht Gedanken sondern schafft auch en. Erinnerung

„Wer sein Umfeld von Anfang an mit einbezieht, kann auch auf Unterstütz­ung zählen, wenn er wieder nach Hause kommt.“

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