Auszeit im Kloster
Hinter alten Mauern Ruhe finden
Kennen Sie das auch? Immer mehr in immer kürzerer Zeit wird uns in der Firma abverlangt. Selbst die Freizeit wird vom Smartphone, von E-mails und der ständigen Erreichbarkeit geprägt. Man hastet von Termin zu Termin, steckt ewig im Stau, und, und, und. Ich weiß nur eins: Ich will und kann nicht mehr! Alles zurücklassen, abschalten, wieder Kraft und Energie finden – und eine neue Lebenseinstellung. Das will ich, das brauche ich.
Ich im Kloster?
Ich erinnere mich, irgendwann mal etwas im Fernsehen über das „Ruhe suchen im Kloster“gesehen zu haben. No fun, no action – langweilig. So hatte ich es damals empfunden. Erst jetzt beginne ich zu begreifen, worin die Motivation liegen muss, sich in ein Kloster zurückzuziehen. Wie mir das Internet verrät, gibt es viele Klöster, die Gäste aufnehmen. Auf welche Art und Weise das geschieht, kann aber recht unterschiedlich sein und hängt nicht zuletzt auch davon ab, welchem Orden ein Kloster angehört. Meine Wahl fällt auf das Benediktinerstift Kremsmünster in Oberösterreich. Einmal, weil eine der Ordensregeln sagt: „ Alle Frem- den, die kommen, sollen aufgenommen werden wie Christus.“Außerdem kommt es meinem Anliegen entgegen, dass dort kein regulärer Hotelbetrieb herrscht und nur wenige Gästezimmer zur Verfügung stehen. Bereits die Kontaktaufnahme mit dem Kloster hinterlässt einen überaus positiven Eindruck. Per E-mail wird mein Wunschtermin bestätigt. Ich werde verständigt, dass ich nicht im normalen Gästetrakt, sondern direkt in der Klausur
Die Atmospäre eines Klosters ist schon die halbe Auszeit.
„ Was? Keine Verpflichtungen? Nicht einmal das Handy wird mir abgenommen – obwohl ich fest damit gerechnet hatte.“
untergebracht werden soll, dort, wo auch die Klosterbrüder und Patres wohnen. Nach meiner religiösen Zugehörigkeit wurde ich übrigens nicht gefragt. Im Kloster weiß man, dass man auch ohne Konfession ein Hilfe suchender, aufrechter Mensch sein kann.
An der Pforte
Das Stift Kremsmünster liegt neben einer belebten Hauptverkehrsstraße. Umso erstaunter bin ich, als ich im frei zugänglichen Prälatenhof eine unerwartete, auf mich sehr angenehm wirkende Stille vorfinde. Ich melde mich an der Kloster-pforte. Nach kurzem Warten werde ich von einem gleich vom ersten Augenblick an sehr sympathisch wirkenden Pater in Empfang genommen. „Ich bringe Sie jetzt zu Ihrer Zelle“, meint er nach dem Willkommensgruß. „Sie können sich bei uns frei bewegen und wenn Sie wollen, an unseren Gebetszeiten teilnehmen.“Was? Keine Verpflichtungen? Nicht einmal das Handy wird mir abgenommen – obwohl ich fest damit gerechnet hatte. Und mein heimlich reingeschmuggeltes Netbook? Sollte ich ein Netzwerkkabel benötigen, könne ich auch das haben, erfahre ich weiter. Weiter überrascht mich die Offenherzigkeit, die mir entgegenströmt. Ich darf sogar mit den Patres die Mahlzeiten im Refektorium, dem Speisesaal im Kloster, einnehmen. Mit anderen Worten: Während meines Aufenthaltes nimmt man mich voll und ganz in die Klostergemeinschaft auf – sofern ich das will. Auf dem Weg in meine Zelle stelle ich mir einen sehr spartanisch eingerichteten Raum vor. Eine Pritsche zum Schlafen, einen einfachen Tisch und einen Schemel, mehr werde ich nicht erwarten dürfen. Der Weg dorthin führt durch den 111 m langen, hellen,
breiten Gang der Klausur. An einer Seite reiht sich Tür an Tür, auf der anderen Fenster an Fenster. Zwischen ihnen hängen Gemälde der Äbte der letzten Jahrhunderte. Als der Gastmeister dann meine Zellentür aufschließt, bin ich ehrlich überrascht! Meine „Zelle“, das ist ein Raum von geschätzten 35 m² Größe und an die 5 m Höhe! „Um innere Ausgeglichenheit und Ruhe zu finden, braucht es auch eine weiträumige Umgebung“, meint der Pater. „Eine beengende Zelle wäre dafür ein denkbar ungeeigneter Ort.“Fasziniert bin ich auch von der Möblierung! Echtes Biedermeier – wenn nicht noch älter. Dazu noch alte Gemälde, die den Raum weiter auflockern und ihn so richtig wohnlich machen. Geräumige Dusche, WC, Waschbecken, alles da. Sogar ein Telefon steht auf dem Tisch.
Selbstdisziplin
Telefon neben dem Bett, Smartphone und Netbook im Koffer – wie soll ich dabei meine Ausgeglichenheit finden? Meine erste Erkenntnis in diesen ehrwürdigen Mauern: Es kommt alleine auf mich selbst an, darauf, was ich zulasse. Ruhe finden kann ich nur, wenn ich dazu auch wirklich bereit bin. Freilich könnte ich auch im Kloster auf Teufel komm raus weiter telefonieren und mich nerven lassen. Freilich könnte ich auch hier bis zum Umfallen arbeiten. Ich gebe mir also einen Ruck, schalte mein Smartphone aus und lege es ins Nachtkästchen. Und den Rechner? Den lasse ich eingepackt im Koffer. So, nun bin ich für die Welt nicht mehr erreichbar. Nun gehöre ich nur noch mir selbst. Anfangs ertappe ich mich immer wieder, wie ich in meine Hosentasche greife, um mein Smartphone herauszuholen. Einfach mal schnell einen Blick draufwerfen. Habe ich einen Anruf überhört? Habe ich eine SMS oder Mail bekommen? Das ist es, was ich ständig wissen will, ja wissen muss! Doch nun im Kloster greife ich in die leere Hosentasche. Ich spüre, wie mir das kleine Elektronikbündel mit dem bunten Bildschirm so richtig fehlt. Irgendwie raubt mir das die Ruhe, nach der ich ja eigentlich suche. Mir fehlt die vom Handy ausgehende Hektik.
Erdrückende Ruhe?
In meiner Zelle ist es ganz still. Kein Radio, kein Fernseher, kein Lärm von den Nebenzimmern. Nichts tun – das ist so richtig ungewohnt für mich. Kein Wunder, bin ich doch als umherfliegendes Energiebündel bekannt. Ob ich nicht doch mal nachsehen soll, ob mich jemand angerufen oder mir
eine SMS geschickt hat? Ganz kurz? Keiner würde es erfahren. Ich darf ja machen, was ich will, hat man mir gesagt. Doch ich bleibe standhaft. Bereits am ersten Abend stelle ich ferner fest, dass sich die Welt auch ohne „Tagesschau“weiter dreht. An einem so geschichtsträchtigen Ort wird mir auch erst klar, wie nebensächlich das Tagesgeschehen eigentlich ist. Was alleine mögen diese Gemäuer seit der Gründung des Klosters vor über 1 200 Jahren schon erlebt haben? Aber das Stift Kremsmünster ist nicht nur eines der ältesten Klöster Österreichs, sondern auch eines der größten. Seine heutige Gestalt und seinen Ruf als Kultur-kleinod hat das Stift den großen Architekturschöpfungen des 17. und 18. Jahrhunderts zu verdanken. Hier legten die großen Baumeister Jakob Prandtauer und Carlo Antonio Carlone Hand an. Die Größe der Klosteranlage erkunde ich in einem ersten Spaziergang. Mein Zimmerschlüssel erlaubt mir auch den Zugang zu den nur den Patres zugänglichen Parkanlagen. Ich spüre, wie die Ruhe Besitz von mir ergreift. Ich muss nicht in 5 Minuten irgendwo sein. Einfach nur etwas schlendern, mir die Sonne ins Gesicht scheinen lassen und mich an ihrer Wärme erfreuen.
Innere Einkehr
Die Teilnahme an den Gottesdiensten wurde mir freigestellt. Aber wenn ich schon hier bin, mache ich auch mit. 12 Uhr: Mittagshore in der Stiftskirche. Sie ist eines der Stundengebete, in der von den Patres gemeinsam hauptsächlich Psalmen vorgetragen werden. Psalmen sind poetische, religiöse Texte, die bis auf die Zeit um 600 v. Chr. zurückgehen. Gemeinsam mit den einstimmigen gregorianischen Gesängen sorgen sie für besonders tiefe Empfindungen, alleine schon durch die Art des Vortrags. Tiefe Ehrfurcht empfinde ich aber auch vor dem Alter dieser Psalmen und ihrer jahrtausendalten Botschaften. Auch das Mittagessen beginnt und endet mit einem Gebet. Während der Vorspeise herrscht unter den
„ Ich beginne zu erkennen, dass alles seine Zeit braucht. Auch das Lesen und das Verstehen eines Buches.“
Patres Stille. Gesprochen wird nur das, was sich absolut nicht vermeiden lässt. Ruhig ist es währenddessen im Refektorium dennoch nicht. Denn während die anderen speisen, liest einer der Patres aus einem Buch vor. Aktuelle Weltliteratur! Ich bin überrascht. Wie ich erfahre, werden so jeden Tag einige Seiten vorgelesen. Für ein Buch braucht man rund zwei Monate. Auch das scheint eine Art von Ruhe, von Entschleunigung zu sein. Ich beginne zu erkennen, dass alles seine Zeit braucht. Auch das Lesen und das Verstehen eines Buchs. Eine gute Zeit für Meditationen waren für mich die morgendlichen Rosenkranz-gebete. Sie erfüllen den Kirchenraum mit einer besonderen Melodik. Ich erlebte sie frühmorgendlich noch in der weitgehenden Dunkelheit des Hauptschiffs der Stiftkirche. Nur das Altargemälde ist sanft erleuchtet. Erst allmählich dringt das Tageslicht durch die Kirchenfenster und lässt einen den Innenraum zu jedem Augenblick neu erleben.
Selbsterfahrung
Ich habe mich auf das Experiment eingelassen, in einem Kloster abzuschalten und äußere wie innere Ruhe zu finden. Das Loslassen vom stressgeplagten Alltag ist mir leichter gefallen, als ich vermutet hätte. Das Smartphone blieb in der Schublade, das Netbook im Koffer. Die Schritte wurden entspannter, die Wahrnehmung tiefer und feinsinniger. Wie weit man bereit ist, die im Kloster gewonnene innere Stille und Ausgeglichenheit in den Alltag mitzunehmen, muss jeder für sich selbst entscheiden. Oft sind es ja nur Kleinigkeiten, die das eigene Leben „draußen in der Welt“wieder lebenswerter machen. Was man dafür ändern könnte, kann jeder für sich selbst während seines „Klosters auf Zeit“selbst ergründen – jeder wird seine ganz eigenen Inspirationen finden. Man muss es nur zulassen. •