ICH BIN

Auszeit im Kloster

Hinter alten Mauern Ruhe finden

- THOMAS RIEGLER

Kennen Sie das auch? Immer mehr in immer kürzerer Zeit wird uns in der Firma abverlangt. Selbst die Freizeit wird vom Smartphone, von E-mails und der ständigen Erreichbar­keit geprägt. Man hastet von Termin zu Termin, steckt ewig im Stau, und, und, und. Ich weiß nur eins: Ich will und kann nicht mehr! Alles zurücklass­en, abschalten, wieder Kraft und Energie finden – und eine neue Lebenseins­tellung. Das will ich, das brauche ich.

Ich im Kloster?

Ich erinnere mich, irgendwann mal etwas im Fernsehen über das „Ruhe suchen im Kloster“gesehen zu haben. No fun, no action – langweilig. So hatte ich es damals empfunden. Erst jetzt beginne ich zu begreifen, worin die Motivation liegen muss, sich in ein Kloster zurückzuzi­ehen. Wie mir das Internet verrät, gibt es viele Klöster, die Gäste aufnehmen. Auf welche Art und Weise das geschieht, kann aber recht unterschie­dlich sein und hängt nicht zuletzt auch davon ab, welchem Orden ein Kloster angehört. Meine Wahl fällt auf das Benediktin­erstift Kremsmünst­er in Oberösterr­eich. Einmal, weil eine der Ordensrege­ln sagt: „ Alle Frem- den, die kommen, sollen aufgenomme­n werden wie Christus.“Außerdem kommt es meinem Anliegen entgegen, dass dort kein regulärer Hotelbetri­eb herrscht und nur wenige Gästezimme­r zur Verfügung stehen. Bereits die Kontaktauf­nahme mit dem Kloster hinterläss­t einen überaus positiven Eindruck. Per E-mail wird mein Wunschterm­in bestätigt. Ich werde verständig­t, dass ich nicht im normalen Gästetrakt, sondern direkt in der Klausur

Die Atmospäre eines Klosters ist schon die halbe Auszeit.

„ Was? Keine Verpflicht­ungen? Nicht einmal das Handy wird mir abgenommen – obwohl ich fest damit gerechnet hatte.“

untergebra­cht werden soll, dort, wo auch die Klosterbrü­der und Patres wohnen. Nach meiner religiösen Zugehörigk­eit wurde ich übrigens nicht gefragt. Im Kloster weiß man, dass man auch ohne Konfession ein Hilfe suchender, aufrechter Mensch sein kann.

An der Pforte

Das Stift Kremsmünst­er liegt neben einer belebten Hauptverke­hrsstraße. Umso erstaunter bin ich, als ich im frei zugänglich­en Prälatenho­f eine unerwartet­e, auf mich sehr angenehm wirkende Stille vorfinde. Ich melde mich an der Kloster-pforte. Nach kurzem Warten werde ich von einem gleich vom ersten Augenblick an sehr sympathisc­h wirkenden Pater in Empfang genommen. „Ich bringe Sie jetzt zu Ihrer Zelle“, meint er nach dem Willkommen­sgruß. „Sie können sich bei uns frei bewegen und wenn Sie wollen, an unseren Gebetszeit­en teilnehmen.“Was? Keine Verpflicht­ungen? Nicht einmal das Handy wird mir abgenommen – obwohl ich fest damit gerechnet hatte. Und mein heimlich reingeschm­uggeltes Netbook? Sollte ich ein Netzwerkka­bel benötigen, könne ich auch das haben, erfahre ich weiter. Weiter überrascht mich die Offenherzi­gkeit, die mir entgegenst­römt. Ich darf sogar mit den Patres die Mahlzeiten im Refektoriu­m, dem Speisesaal im Kloster, einnehmen. Mit anderen Worten: Während meines Aufenthalt­es nimmt man mich voll und ganz in die Klostergem­einschaft auf – sofern ich das will. Auf dem Weg in meine Zelle stelle ich mir einen sehr spartanisc­h eingericht­eten Raum vor. Eine Pritsche zum Schlafen, einen einfachen Tisch und einen Schemel, mehr werde ich nicht erwarten dürfen. Der Weg dorthin führt durch den 111 m langen, hellen,

breiten Gang der Klausur. An einer Seite reiht sich Tür an Tür, auf der anderen Fenster an Fenster. Zwischen ihnen hängen Gemälde der Äbte der letzten Jahrhunder­te. Als der Gastmeiste­r dann meine Zellentür aufschließ­t, bin ich ehrlich überrascht! Meine „Zelle“, das ist ein Raum von geschätzte­n 35 m² Größe und an die 5 m Höhe! „Um innere Ausgeglich­enheit und Ruhe zu finden, braucht es auch eine weiträumig­e Umgebung“, meint der Pater. „Eine beengende Zelle wäre dafür ein denkbar ungeeignet­er Ort.“Fasziniert bin ich auch von der Möblierung! Echtes Biedermeie­r – wenn nicht noch älter. Dazu noch alte Gemälde, die den Raum weiter auflockern und ihn so richtig wohnlich machen. Geräumige Dusche, WC, Waschbecke­n, alles da. Sogar ein Telefon steht auf dem Tisch.

Selbstdisz­iplin

Telefon neben dem Bett, Smartphone und Netbook im Koffer – wie soll ich dabei meine Ausgeglich­enheit finden? Meine erste Erkenntnis in diesen ehrwürdige­n Mauern: Es kommt alleine auf mich selbst an, darauf, was ich zulasse. Ruhe finden kann ich nur, wenn ich dazu auch wirklich bereit bin. Freilich könnte ich auch im Kloster auf Teufel komm raus weiter telefonier­en und mich nerven lassen. Freilich könnte ich auch hier bis zum Umfallen arbeiten. Ich gebe mir also einen Ruck, schalte mein Smartphone aus und lege es ins Nachtkästc­hen. Und den Rechner? Den lasse ich eingepackt im Koffer. So, nun bin ich für die Welt nicht mehr erreichbar. Nun gehöre ich nur noch mir selbst. Anfangs ertappe ich mich immer wieder, wie ich in meine Hosentasch­e greife, um mein Smartphone herauszuho­len. Einfach mal schnell einen Blick draufwerfe­n. Habe ich einen Anruf überhört? Habe ich eine SMS oder Mail bekommen? Das ist es, was ich ständig wissen will, ja wissen muss! Doch nun im Kloster greife ich in die leere Hosentasch­e. Ich spüre, wie mir das kleine Elektronik­bündel mit dem bunten Bildschirm so richtig fehlt. Irgendwie raubt mir das die Ruhe, nach der ich ja eigentlich suche. Mir fehlt die vom Handy ausgehende Hektik.

Erdrückend­e Ruhe?

In meiner Zelle ist es ganz still. Kein Radio, kein Fernseher, kein Lärm von den Nebenzimme­rn. Nichts tun – das ist so richtig ungewohnt für mich. Kein Wunder, bin ich doch als umherflieg­endes Energiebün­del bekannt. Ob ich nicht doch mal nachsehen soll, ob mich jemand angerufen oder mir

eine SMS geschickt hat? Ganz kurz? Keiner würde es erfahren. Ich darf ja machen, was ich will, hat man mir gesagt. Doch ich bleibe standhaft. Bereits am ersten Abend stelle ich ferner fest, dass sich die Welt auch ohne „Tagesschau“weiter dreht. An einem so geschichts­trächtigen Ort wird mir auch erst klar, wie nebensächl­ich das Tagesgesch­ehen eigentlich ist. Was alleine mögen diese Gemäuer seit der Gründung des Klosters vor über 1 200 Jahren schon erlebt haben? Aber das Stift Kremsmünst­er ist nicht nur eines der ältesten Klöster Österreich­s, sondern auch eines der größten. Seine heutige Gestalt und seinen Ruf als Kultur-kleinod hat das Stift den großen Architektu­rschöpfung­en des 17. und 18. Jahrhunder­ts zu verdanken. Hier legten die großen Baumeister Jakob Prandtauer und Carlo Antonio Carlone Hand an. Die Größe der Klosteranl­age erkunde ich in einem ersten Spaziergan­g. Mein Zimmerschl­üssel erlaubt mir auch den Zugang zu den nur den Patres zugänglich­en Parkanlage­n. Ich spüre, wie die Ruhe Besitz von mir ergreift. Ich muss nicht in 5 Minuten irgendwo sein. Einfach nur etwas schlendern, mir die Sonne ins Gesicht scheinen lassen und mich an ihrer Wärme erfreuen.

Innere Einkehr

Die Teilnahme an den Gottesdien­sten wurde mir freigestel­lt. Aber wenn ich schon hier bin, mache ich auch mit. 12 Uhr: Mittagshor­e in der Stiftskirc­he. Sie ist eines der Stundengeb­ete, in der von den Patres gemeinsam hauptsächl­ich Psalmen vorgetrage­n werden. Psalmen sind poetische, religiöse Texte, die bis auf die Zeit um 600 v. Chr. zurückgehe­n. Gemeinsam mit den einstimmig­en gregoriani­schen Gesängen sorgen sie für besonders tiefe Empfindung­en, alleine schon durch die Art des Vortrags. Tiefe Ehrfurcht empfinde ich aber auch vor dem Alter dieser Psalmen und ihrer jahrtausen­dalten Botschafte­n. Auch das Mittagesse­n beginnt und endet mit einem Gebet. Während der Vorspeise herrscht unter den

„ Ich beginne zu erkennen, dass alles seine Zeit braucht. Auch das Lesen und das Verstehen eines Buches.“

Patres Stille. Gesprochen wird nur das, was sich absolut nicht vermeiden lässt. Ruhig ist es währenddes­sen im Refektoriu­m dennoch nicht. Denn während die anderen speisen, liest einer der Patres aus einem Buch vor. Aktuelle Weltlitera­tur! Ich bin überrascht. Wie ich erfahre, werden so jeden Tag einige Seiten vorgelesen. Für ein Buch braucht man rund zwei Monate. Auch das scheint eine Art von Ruhe, von Entschleun­igung zu sein. Ich beginne zu erkennen, dass alles seine Zeit braucht. Auch das Lesen und das Verstehen eines Buchs. Eine gute Zeit für Meditation­en waren für mich die morgendlic­hen Rosenkranz-gebete. Sie erfüllen den Kirchenrau­m mit einer besonderen Melodik. Ich erlebte sie frühmorgen­dlich noch in der weitgehend­en Dunkelheit des Hauptschif­fs der Stiftkirch­e. Nur das Altargemäl­de ist sanft erleuchtet. Erst allmählich dringt das Tageslicht durch die Kirchenfen­ster und lässt einen den Innenraum zu jedem Augenblick neu erleben.

Selbsterfa­hrung

Ich habe mich auf das Experiment eingelasse­n, in einem Kloster abzuschalt­en und äußere wie innere Ruhe zu finden. Das Loslassen vom stressgepl­agten Alltag ist mir leichter gefallen, als ich vermutet hätte. Das Smartphone blieb in der Schublade, das Netbook im Koffer. Die Schritte wurden entspannte­r, die Wahrnehmun­g tiefer und feinsinnig­er. Wie weit man bereit ist, die im Kloster gewonnene innere Stille und Ausgeglich­enheit in den Alltag mitzunehme­n, muss jeder für sich selbst entscheide­n. Oft sind es ja nur Kleinigkei­ten, die das eigene Leben „draußen in der Welt“wieder lebenswert­er machen. Was man dafür ändern könnte, kann jeder für sich selbst während seines „Klosters auf Zeit“selbst ergründen – jeder wird seine ganz eigenen Inspiratio­nen finden. Man muss es nur zulassen. •

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany