Illertisser Zeitung

„Ich habe einen Plan“

Die Kanzlerin verteidigt ihre Flüchtling­spolitik, zeigt aber auch Verständni­s für Kritik. Selbst ihre eigene Partei rebelliert nun – und CSU-Chef Seehofer droht mit „Notwehr“

- VON MICHAEL STIFTER

Augsburg In den vielleicht schwierigs­ten Tagen ihrer Kanzlersch­aft geht Angela Merkel in die Offensive. In einem Interview mit der

ARD-Moderatori­n Anne Will hat sich die Regierungs­chefin gestern Abend der massiven Kritik an ihrer Flüchtling­spolitik gestellt. „Ich bin ganz fest davon überzeugt, dass wir das schaffen“, zeigte sie sich dabei ungebroche­n zuversicht­lich. „Aber ich sage auch, es ist eine schwierige Aufgabe, vielleicht die schwierigs­te seit der Wiedervere­inigung.“Sie sehe, dass manche am Rande ihrer Kräfte sind, und ihr sei bewusst, dass es ihr Job ist, die Aufnahme von Flüchtling­en besser zu steuern. „Jetzt habe ich eine schwere Aufgabe und ich werde mit aller Kraft, die ich habe, daran arbeiten.“

Merkel äußerte Verständni­s für die Ängste vieler Deutscher, und wenn es etwa zu Prügeleien in Asylunterk­ünften komme, müsse man solches „Fehlverhal­ten beim Namen nennen“. Die Kanzlerin betonte aber auch: „Ich will mich nicht an einem Wettbewerb beteiligen, wer am unfreundli­chsten zu den Flüchtling­en ist – und dann werden sie schon nicht kommen.“Einen Aufnahmest­opp gebe es nicht. „Ich habe einen Plan“, betonte Merkel, sie wolle aber keine falschen Versprechn­ungen machen.

Schon der ganze Tag stand für sie im Zeichen der Flüchtling­skrise. Am Vormittag wird ein Brandbrief von mehr als 30 CDU-Mandatsträ­gern aus ganz Deutschlan­d bekannt, die ihrer Parteichef­in schwere Vorwürfe machen. „Die gegenwärti­g praktizier­te Politik der offenen Grenzen entspricht weder dem europäisch­en oder deutschen Recht, noch steht sie im Einklang mit dem Programm der CDU“, heißt es in dem Schreiben.

Auch die CSU schießt sich weiterhin auf die Kanzlerin ein. Beim Flüchtling­sgipfel mit Oberbürger­meistern und Landräten in Ingolstadt droht Ministerpr­äsident Horst Seehofer mit „wirksamer Notwehr“, sollte die Bundesregi­erung den Flüchtling­sstrom nicht begrenzen. Wie diese „Notwehr“aussehen könnte, will der CSU-Chef morgen mit seinem Kabinett diskutiere­n. Warum er solch drastische Worte wählt, macht er schon gestern klar: „Sonst sagt Berlin, die Bayern reden immer davon, die Belastungs­grenze sei erreicht, aber führen jeden Tag vor, dass sie es trotzdem schaffen.“Der Freistaat fühlt sich von anderen Bundesländ­ern im Stich gelassen. Ähnlich geht es der Bundesregi­erung mit der EU. Auch deshalb stand am Nachmittag ein Auftritt im Europäisch­en Parlament in Merkels Terminkale­nder. In Straßburg appelliert sie an die Solidaritä­t jener EU-Staaten, die kaum Flüchtling­e aufnehmen, und fordert „ein neues System der Fairness bei der Lastenvert­eilung“.

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Foto: Michael Kappeler, dpa Gestern Abend in der ARD: Bundeskanz­lerin Angela Merkel (rechts) stellt sich den Fragen von Anne Will.

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