„Ich habe einen Plan“
Die Kanzlerin verteidigt ihre Flüchtlingspolitik, zeigt aber auch Verständnis für Kritik. Selbst ihre eigene Partei rebelliert nun – und CSU-Chef Seehofer droht mit „Notwehr“
Augsburg In den vielleicht schwierigsten Tagen ihrer Kanzlerschaft geht Angela Merkel in die Offensive. In einem Interview mit der
ARD-Moderatorin Anne Will hat sich die Regierungschefin gestern Abend der massiven Kritik an ihrer Flüchtlingspolitik gestellt. „Ich bin ganz fest davon überzeugt, dass wir das schaffen“, zeigte sie sich dabei ungebrochen zuversichtlich. „Aber ich sage auch, es ist eine schwierige Aufgabe, vielleicht die schwierigste seit der Wiedervereinigung.“Sie sehe, dass manche am Rande ihrer Kräfte sind, und ihr sei bewusst, dass es ihr Job ist, die Aufnahme von Flüchtlingen besser zu steuern. „Jetzt habe ich eine schwere Aufgabe und ich werde mit aller Kraft, die ich habe, daran arbeiten.“
Merkel äußerte Verständnis für die Ängste vieler Deutscher, und wenn es etwa zu Prügeleien in Asylunterkünften komme, müsse man solches „Fehlverhalten beim Namen nennen“. Die Kanzlerin betonte aber auch: „Ich will mich nicht an einem Wettbewerb beteiligen, wer am unfreundlichsten zu den Flüchtlingen ist – und dann werden sie schon nicht kommen.“Einen Aufnahmestopp gebe es nicht. „Ich habe einen Plan“, betonte Merkel, sie wolle aber keine falschen Versprechnungen machen.
Schon der ganze Tag stand für sie im Zeichen der Flüchtlingskrise. Am Vormittag wird ein Brandbrief von mehr als 30 CDU-Mandatsträgern aus ganz Deutschland bekannt, die ihrer Parteichefin schwere Vorwürfe machen. „Die gegenwärtig praktizierte Politik der offenen Grenzen entspricht weder dem europäischen oder deutschen Recht, noch steht sie im Einklang mit dem Programm der CDU“, heißt es in dem Schreiben.
Auch die CSU schießt sich weiterhin auf die Kanzlerin ein. Beim Flüchtlingsgipfel mit Oberbürgermeistern und Landräten in Ingolstadt droht Ministerpräsident Horst Seehofer mit „wirksamer Notwehr“, sollte die Bundesregierung den Flüchtlingsstrom nicht begrenzen. Wie diese „Notwehr“aussehen könnte, will der CSU-Chef morgen mit seinem Kabinett diskutieren. Warum er solch drastische Worte wählt, macht er schon gestern klar: „Sonst sagt Berlin, die Bayern reden immer davon, die Belastungsgrenze sei erreicht, aber führen jeden Tag vor, dass sie es trotzdem schaffen.“Der Freistaat fühlt sich von anderen Bundesländern im Stich gelassen. Ähnlich geht es der Bundesregierung mit der EU. Auch deshalb stand am Nachmittag ein Auftritt im Europäischen Parlament in Merkels Terminkalender. In Straßburg appelliert sie an die Solidarität jener EU-Staaten, die kaum Flüchtlinge aufnehmen, und fordert „ein neues System der Fairness bei der Lastenverteilung“.
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