Babystation: Wird Entscheidung der Bürger gekippt?
Nicht nur Landrat Freudenberger spricht von einer völlig neuen Situation
Die Wähler haben entschieden: Die Geburtsstation an der Illertalklinik soll erhalten bleiben. Doch ob das Ergebnis des Bürgerentscheids tatsächlich umgesetzt und nicht vielmehr aufgehoben wird, steht noch in den Sternen. Jetzt muss sich die Regierung von Schwaben mit dem Thema befassen, da war sich gestern Vormittag der Kankenhausausschuss des Kreises quer durch alle Fraktionen einig. Auch die Räte aus dem Süden votierten für eine juristische Prüfung der Angelegenheit.
Die Rechtslage, wie sie in der bayerischen Landkreisordnung festgehalten ist, sieht folgendermaßen aus: Ein Bürgerentscheid kann innerhalb eines Jahres nur durch ein neues Bürgervotum aufgehoben werden – es sei denn, die „Sach- und Rechtslage“die einer solchen Abstimmung zugrunde liegt, habe sich „wesentlich geändert“. Im Fall Neu-Ulm hat sich bei der Rechtslage nichts getan. Doch seit der endgültigen Entscheidung, die Wählerinnen und Wähler im Landkreis über die Zukunft der Illertisser Geburtshilfe abstimmen zu lassen, ist manches anders geworden, vor allem kamen im Herbst unerfreuliche Defizitzahlen auf den Tisch, die bis dahin niemand kannte. Damit stellt sich die Frage, ob der Entscheid wirklich umgesetzt werden kann und ob dies überhaupt zulässig ist.
Landrat Thorsten Freudenberger erinnerte daran, noch im Frühjahr 2016 habe das sogenannte PeritinosGutachten empfohlen, die Illertisser Babystation zu einer Hauptabteilung mit rund 700 Geburten im Jahr aufzurüsten, auch wenn das mit „erheblichen Kosten und Risiken“verbunden sei. Die Umbauten hätten sich auf 2,5 bis 4 Millionen Euro summiert, der Aufwand für neue Geräte auf 0,6 Millionen Euro. Unter dem Strich würde sich die Hauptabteilung Gynäkologie und Geburtshilfe kostendeckend führen lassen. Freudenberger machte sich in der Kreistagssitzung vom 12. Mai dafür stark, in Illertissen so zu verfahren. Die geschätzten laufenden Kosten in der Startphase hätten rund 2,4 Millionen Euro betragen.
Doch mittlerweile kursieren ganz andere Beträge, welche die Wirtschaftsprüfer von KPMG vorgelegt haben. Sie gehen von jährlichen Kosten zwischen 4 und 5,8 Millionen aus. Auch die Zahlen beim Personal klafften auseinander. Im Frühjahrsgutachten wurde ein Bedarf von rund 28 Stellen geschätzt, doch KPMG kommt auf knapp 67 notwendige Vollzeitkräfte für eine Hauptabteilung. Nach Ansicht von Freudenberger sei es unmöglich, so viel Personal überhaupt zu gewinnen. Somit hätten sich die Erkenntnisse darüber, mit welchem Aufwand die Geburtshilfe betrieben werden sollte, „deutlich geändert“.
Zudem wurde Ende des Jahres bekannt, dass sich das Defizit der drei Kreiskliniken für die Jahre 2015 und 2016 voraussichtlich auf unerwartete 13 Millionen Euro anhäufen wird. Exakte Zahlen liegen noch nicht vor, die Wirtschaftsprüfer brüten noch über dem Abschluss für 2016. Weil sich die „finanzielle Leistungsfähigkeit der Kreisspitalstiftung“mittlerweile gänzlich anders darstelle, sollte nach Ansicht des Landrats die Regierung von Schwaben prüfen, ob sich die Sachlage gravierend geändert habe, bevor der Kreistag darüber abstimmt.
Das meinten auch die Ausschussmitglieder. Gerold Noerenberg (CSU) wünschte sich eine „sichere Lageeinschätzung“durch die Regierung. Ärgerlich fand er, dass die Problematik für die Bürger kaum mehr nachvollziehbar sei und der Verdacht aufkomme, die Politiker wollten sich vor dem Ergebnis des Entscheids drücken. „Aber das hilft nicht weiter, wir wollen nicht aus dem hohlen Bauch entscheiden“, sagte der Neu-Ulmer Oberbürgermeister.
Antje Esser (SPD) bemängelte, das Frühjahrsgutachten sei „durch und durch unseriös“gewesen. Jetzt würden wohl wieder alte Gräben aufgerissen. Dennoch müsse man sich von der Illertisser Geburtshilfe verabschieden, um die kommunale Krankenversorgung im Ganzen zu erhalten. Sie bemängelte, dass bei der Behandlung des Finanzierungsproblems schon so viel Zeit verstrichen sei. Auch die Illertisser Josef Kränzle und Roland Hunger votierten dafür, erst mal die Regierung zu fragen.