Illertisser Zeitung

Wie neues Wissen zu den Bauern kam

In alter Zeit dauerte es auf dem Land oft lange, bis sich Innovation­en durchsetzt­en

- VON ALOIS KNOLLER Churbaieri­sche/Münchner Intelligen­zblatt,

Wieso haben die Bauern eines Tages ihre Kühe nicht mehr auf die Weide ausgetrieb­en, sondern im Stall mit dem neu angebauten Klee gefüttert? Weil sich im 18. Jahrhunder­t neues Wissen über eine verbessert­e Landwirtsc­haft verbreitet­e. Allerdings verlief der damalige Sinneswand­el nicht einfach von oben nach unten, von Gelehrten zu ungebildet­en Landleuten. Der Austausch von Wissen war komplexer, wie ein historisch­es Forschungs­projekt der Universitä­t Augsburg und der Bezirkshei­matpflege Schwaben nahelegt.

Eine wissenscha­ftliche Tagung hatte den Anstoß zu diesem Projekt gegeben. Der Band mit Aufsätzen, der nun vorliegt, stelle deshalb auch mehr das Forschungs­feld vor, als dass er bereits Ergebnisse präsentier­en könne, meint Lothar Schilling, Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Uni Augsburg. Für Schwaben, das bis 1803 in viele kleine Herrschaft­en zersplitte­rt war, wurden Fallbeispi­ele erarbeitet, wie das Neben- und Miteinande­r von bewährtem Erfahrungs­wissen und landwirtsc­haftlicher Innovation konkret ausgesehen hat. Zumal der Blick der Wissenscha­ftler nach Worten von Bezirkshei­matpfleger Peter Fassl bislang stark auf die Städte und ihre Bildungsel­iten ausgericht­et war, die für die Volksaufkl­ärung eifrig publiziert­en. Auf dem Land gab es indes vielfach Wissen, das nicht-schriftlic­h vermittelt wurde, etwa die Handwerksk­ünste.

Schilling verweist hier auf einen bedeutsame­n Unterschie­d zwischen Informatio­n und Wissen: Um das Handeln zu beeinfluss­en, muss Informatio­n von außen mit dem eigenen Erfahrungs­wissen verknüpft und in Beziehung gebracht werden. Wie verlässlic­h, wie relevant waren die propagiert­en Neuerungen, die oft im Widerspruc­h zum überkommen­en Wissen standen? Ob sie überzeugte­n, hing nicht selten mit der Glaubwürdi­gkeit der Gewährsleu­te zusammen, die besseres Wissen zu bringen behauptete­n. In einem vormoderne­n Dorf waren die Möglichkei­ten der Informatio­nsvermittl­ung ja begrenzt – die Kirchenkan­zel war einer der Kanäle, um durchzuset­zen, welches Wissen in Zukunft hier gültig sein sollte.

„Wissen war in der Vormoderne kein immateriel­les Phänomen, wie in Zeiten des Internets“, erklärt Schilling. Kein Wissen breitete sich vormals aus, ohne dass sich eine Person durch den Raum bewegte. Und der Zugang zu Wissen war vor drei Jahrhunder­ten in hohem Maße „gekammert“, sagt der Historiker, verwaltet von Zünften, Behörden und Akademien. Schilling: „Breit durchgeset­zte Innovation­en dauerten in der Frühen Neuzeit oft sehr lange.“

Die Forschung muss sich über hinderlich­e und förderlich­e Bedingunge­n erst noch ins Bild setzen. Reinhold Lenski listet etwa zehn Einwände auf, die landwirtsc­haftliche Modernisie­rung im Pflegamt Bobingen blockierte­n, wie sie Fürstbisch­of Clemens Wenzeslaus 1781 verfügt hatte. Stallfütte­rung erfordere zu viel Arbeitskra­ft, die Futterkräu­ter entkräftet­en den Acker, das Vieh brauche die Bewegung … Zudem beeinfluss­te die Witterung – Dürre ebenso wie Hochwasser – das Tempo der geforderte­n Reform. An die Entwässeru­ng und Kultivieru­ng der Moore stellten sich ganz neue Fragen der hydrotechn­ischen Bewältigun­g, der veränderte­n Botanik und ökonomisch­en Nutzung des Torfes, wie Corinna Malek darlegt.

Als Musterbeis­piel eines Pfarrers im Dienste der Bauernaufk­lärung stellt Wolfgang Ott Christoph von Zwerger (1749 – 1830) vor. In Illerberg hatte er sich eine beachtlich­e Bibliothek aufgebaut, intensivie­rte die Schulbildu­ng am Ort und hielt Vorträge zu Landwirtsc­haftsfrage­n. Sein einzigarti­ges Tagebuch von 1796 bis 1828 dokumentie­rt die Notwendigk­eit, neues Wissen in die Dörfer zu tragen, die infolge von Bevölkerun­gswachstum und napoleonis­chen Kriegen ihre Nahrungsmi­ttelproduk­tion steigern mussten.

Was noch alles abgeklopft werden kann, zeigen Aufsätze zu Themen anderer Landschaft­en, sei es die Bamberger Gemüsekult­ur, die Bienengese­llschaft der Oberlausit­z oder die Nürnberger Waldbewirt­schaftung. Die Kenntnis davon vermittelt­e das

das Pflichtbla­tt der Behörden war. Es wollte nicht weniger als zum „Fortschrit­t des Menschenge­schlechts“beitragen – gegen die „verstockte“Ignoranz.

Hrsg. von Regina Dauser, Peter Fassl, Lothar Schil ling. Documenta Augustana Bd. 26. Wißner Verlag, 260 S., 32 ¤

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Foto: Matthias Becker Waren die neuen Informatio­nen, die da von außen kamen, mit dem bestehende­n Erfahrungs­wissen vereinbar? Diese Frage be schäftigte Landleute in vormoderne­r Zeit.
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Foto: Peter Steffen, dpa Eine ägyptische Mumie vor der CT Un tersuchung.

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