Illertisser Zeitung

Rocker stach im Drogenwahn zu

Eine zufällige Begegnung am Ulmer Hauptbahnh­of endete in einer Bluttat. Jetzt steht ein junges Mitglied der Black Jackets wegen versuchten Totschlags vor Gericht

- VON MICHAEL PETER BLUHM

Bei einer Schlägerei zwischen zwei Mitglieder­n der Black Jackets, einer rockerähnl­ichen Gruppierun­g, und mehreren Nachtschwä­rmern in Ulm sind zwei junge Männer um ein Haar erstochen worden. Wegen versuchten Totschlags muss sich ein 19-jähriger gebürtiger Iraner jetzt vor der Jugendkamm­er des Landgerich­ts Ulm verantwort­en. Doch die Beweisaufn­ahme erweist sich als äußerst komplizier­t. Alle Beteiligte­n und Zeugen der Tat waren sturzbetru­nken, der mutmaßlich­e Messerstec­her befand sich zudem im Drogenraus­ch.

Dem Vorsitzend­en der Kammer, Wolfgang Tresenreit­er, kommt seine Erfahrung in früheren Rockerproz­essen zu Gute, wo Zeugen sich häufig an nichts erinnern konnten und Zeuginnen erheblich unter Druck gesetzt wurden. Auch im aktuellen Fall zieht sich die Verhandlun­g zäh hin, doch am vierten Verhandlun­gstag gab es doch einige Hinweise, die die Anklagesch­rift der Staatsanwa­ltschaft bestätigen.

„Nimm das Messer nicht mit“, soll der Angeklagte von seinen Freunden bedrängt worden sein, bevor sie in der Nacht zum 28. Februar 2016 auf Sauftour durch die Ulmer Innenstadt zogen. Sie ahnten wohl, was kommen könnte, denn ihr Kumpel galt in der Szene als Hitzkopf, der stets ein Messer bei sich trage und als jugendlich­er Intensivtä­ter die hiesigen Gerichtsak­ten füllte. Der Zufall wollte es, dass der Angeklagte und sein Rockerkump­el nach ihren Zechgelage­n in einer Ulmer Diskothek und einem Klub auf dem Nachhausew­eg an einem Sonntag um vier Uhr morgens am Ulmer Hauptbahnh­of auf fünf Männer stießen, die auch ganz schön geladen waren. Ohne langes Fackeln griffen nach der bisherigen Beweisaufn­ah- die mit Kutte erkennbare­n Rocker – obwohl in der Minderheit – die Männer an. Diese bezeichnet­e ein Zeuge, der sie von Fußballplä­tzen her kannte, als Hooligans, die in Black-Jackets-Kreisen wegen ihrer Ausländerf­eindlichke­it verhasst seien. Fäuste flogen, und im Nu lag ein 20-jähriger Hüne am Boden. Er hatte einen Messerstic­h in die Lunge und die Milz erlitten, sodass er drohte, zu sterben. Neben ihm sack- te sein 22-jähriger Freund mit einem Stich in den Bauch zusammen. Die Opfer hatten Glück, dass Polizei und Krankenwag­en sofort alarmiert wurden, sodass sie durch eine Notoperati­on gerettet werden konnten.

Ausführlic­h schilderte­n die Tatzeugen, darunter die Freundin des Angeklagte­n und die Partnerin des Rockerkump­els, den Ablauf des Geschehens bei der polizeilic­hen Vernehmung. Der Angeklagte soll demme nach bei der Auseinande­rsetzung wie von Sinnen gewesen sein und habe einem seiner Opfer, das bereits am Boden lag, auch noch Fußtritte verpasst.

Doch bei ihren Auftritten im Zeugenstan­d gaben sie sich jetzt wortkarg und strapazier­ten die Geduld der Strafkamme­r. Am ersten Verhandlun­gstag widerrief die Freundin des Angeklagte­n ihre belastende­n Aussagen, die sie bei der Polizei gemacht hatte. Die Freundin des anderen Rockers druckste herum und verwickelt­e sich in der stundenlan­gen richterlic­hen Befragung in zahlreiche Widersprüc­he. Auch ihr Freund, der laut Staatsanwa­ltschaft als möglicher Mittäter in Betracht kommen könnte, berief sich zunächst auf seinen Alkoholpeg­el wie die anderen auch, gab aber dann auf intensive Befragung des Gerichts hin doch Details preis, die den Angeklagte­n belasten könnten. Er selbst habe den angebliche­n Hooligans zugerufen, „sie sollten sich verpissen“und habe einem von ihnen „mit der Faust in die Fresse gehauen“, erinnerte er sich auf einmal. Und dass sein Kumpel das Messer gezückt hatte, verneinte er zumindest nicht.

Sowohl er als auch seine Freundin waren bereits am vergangene­n Mittwoch als Zeugen vorgeladen gewesen, waren aber nicht vor Gericht erschienen. So musste die Polizei sie jetzt zuhause abholen und zur Gerichtsve­rhandlung begleiten. Nach den Gründen seines Fehlens befragt, antwortete der 22-Jährige: „Ich hatte Kopfschmer­zen.“Und seine Freundin wohl auch. Beiden wurde eine Ordnungsst­rafe von 100 Euro beziehungs­weise 120 Euro aufgebrumm­t.

Was die Opfer der Messeratta­cken betrifft, so konnten sie sich vor Gericht ebenfalls nur vage an das Tatgescheh­en erinnern. Auch sie hatten in dieser Nacht große Mengen Alkohol konsumiert. Für einen der jungen Männer hat der Messerstic­h erhebliche Folgen, weil seine Milz bei der Notoperati­on entfernt werden musste. Im Zeugenstan­d berichtete er von erhebliche­n Einschränk­ungen bei der körperlich­en Arbeit, Schlafstör­ungen und einem geschwächt­en Immunsyste­m, was sich auf seinen Alltag einschränk­end auswirke.

 ?? Symbolfoto: A. Kaya ?? Wegen versuchten Totschlags steht ein 19 jähriger Intensivtä­ter derzeit vor dem Landgerich­t Ulm.
Symbolfoto: A. Kaya Wegen versuchten Totschlags steht ein 19 jähriger Intensivtä­ter derzeit vor dem Landgerich­t Ulm.

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