Rocker stach im Drogenwahn zu
Eine zufällige Begegnung am Ulmer Hauptbahnhof endete in einer Bluttat. Jetzt steht ein junges Mitglied der Black Jackets wegen versuchten Totschlags vor Gericht
Bei einer Schlägerei zwischen zwei Mitgliedern der Black Jackets, einer rockerähnlichen Gruppierung, und mehreren Nachtschwärmern in Ulm sind zwei junge Männer um ein Haar erstochen worden. Wegen versuchten Totschlags muss sich ein 19-jähriger gebürtiger Iraner jetzt vor der Jugendkammer des Landgerichts Ulm verantworten. Doch die Beweisaufnahme erweist sich als äußerst kompliziert. Alle Beteiligten und Zeugen der Tat waren sturzbetrunken, der mutmaßliche Messerstecher befand sich zudem im Drogenrausch.
Dem Vorsitzenden der Kammer, Wolfgang Tresenreiter, kommt seine Erfahrung in früheren Rockerprozessen zu Gute, wo Zeugen sich häufig an nichts erinnern konnten und Zeuginnen erheblich unter Druck gesetzt wurden. Auch im aktuellen Fall zieht sich die Verhandlung zäh hin, doch am vierten Verhandlungstag gab es doch einige Hinweise, die die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft bestätigen.
„Nimm das Messer nicht mit“, soll der Angeklagte von seinen Freunden bedrängt worden sein, bevor sie in der Nacht zum 28. Februar 2016 auf Sauftour durch die Ulmer Innenstadt zogen. Sie ahnten wohl, was kommen könnte, denn ihr Kumpel galt in der Szene als Hitzkopf, der stets ein Messer bei sich trage und als jugendlicher Intensivtäter die hiesigen Gerichtsakten füllte. Der Zufall wollte es, dass der Angeklagte und sein Rockerkumpel nach ihren Zechgelagen in einer Ulmer Diskothek und einem Klub auf dem Nachhauseweg an einem Sonntag um vier Uhr morgens am Ulmer Hauptbahnhof auf fünf Männer stießen, die auch ganz schön geladen waren. Ohne langes Fackeln griffen nach der bisherigen Beweisaufnah- die mit Kutte erkennbaren Rocker – obwohl in der Minderheit – die Männer an. Diese bezeichnete ein Zeuge, der sie von Fußballplätzen her kannte, als Hooligans, die in Black-Jackets-Kreisen wegen ihrer Ausländerfeindlichkeit verhasst seien. Fäuste flogen, und im Nu lag ein 20-jähriger Hüne am Boden. Er hatte einen Messerstich in die Lunge und die Milz erlitten, sodass er drohte, zu sterben. Neben ihm sack- te sein 22-jähriger Freund mit einem Stich in den Bauch zusammen. Die Opfer hatten Glück, dass Polizei und Krankenwagen sofort alarmiert wurden, sodass sie durch eine Notoperation gerettet werden konnten.
Ausführlich schilderten die Tatzeugen, darunter die Freundin des Angeklagten und die Partnerin des Rockerkumpels, den Ablauf des Geschehens bei der polizeilichen Vernehmung. Der Angeklagte soll demme nach bei der Auseinandersetzung wie von Sinnen gewesen sein und habe einem seiner Opfer, das bereits am Boden lag, auch noch Fußtritte verpasst.
Doch bei ihren Auftritten im Zeugenstand gaben sie sich jetzt wortkarg und strapazierten die Geduld der Strafkammer. Am ersten Verhandlungstag widerrief die Freundin des Angeklagten ihre belastenden Aussagen, die sie bei der Polizei gemacht hatte. Die Freundin des anderen Rockers druckste herum und verwickelte sich in der stundenlangen richterlichen Befragung in zahlreiche Widersprüche. Auch ihr Freund, der laut Staatsanwaltschaft als möglicher Mittäter in Betracht kommen könnte, berief sich zunächst auf seinen Alkoholpegel wie die anderen auch, gab aber dann auf intensive Befragung des Gerichts hin doch Details preis, die den Angeklagten belasten könnten. Er selbst habe den angeblichen Hooligans zugerufen, „sie sollten sich verpissen“und habe einem von ihnen „mit der Faust in die Fresse gehauen“, erinnerte er sich auf einmal. Und dass sein Kumpel das Messer gezückt hatte, verneinte er zumindest nicht.
Sowohl er als auch seine Freundin waren bereits am vergangenen Mittwoch als Zeugen vorgeladen gewesen, waren aber nicht vor Gericht erschienen. So musste die Polizei sie jetzt zuhause abholen und zur Gerichtsverhandlung begleiten. Nach den Gründen seines Fehlens befragt, antwortete der 22-Jährige: „Ich hatte Kopfschmerzen.“Und seine Freundin wohl auch. Beiden wurde eine Ordnungsstrafe von 100 Euro beziehungsweise 120 Euro aufgebrummt.
Was die Opfer der Messerattacken betrifft, so konnten sie sich vor Gericht ebenfalls nur vage an das Tatgeschehen erinnern. Auch sie hatten in dieser Nacht große Mengen Alkohol konsumiert. Für einen der jungen Männer hat der Messerstich erhebliche Folgen, weil seine Milz bei der Notoperation entfernt werden musste. Im Zeugenstand berichtete er von erheblichen Einschränkungen bei der körperlichen Arbeit, Schlafstörungen und einem geschwächten Immunsystem, was sich auf seinen Alltag einschränkend auswirke.