Illertisser Zeitung

Der Horror jedes Hausbewohn­ers

Es ist eine Situation, die niemand erleben will: Man wacht auf, hört Lärm – und steht einem Einbrecher gegenüber. Fridolin Waschhause­r ist genau das passiert. Noch dazu hätte ihn der Eindringli­ng fast umgebracht. Jetzt sehen sich die beiden im Gericht wie

- VON CHRISTIAN KIRSTGES

Es war ein Albtraum, den Fridolin Waschhause­r erlebt hat. Was in der Nacht zum 16. Dezember 2015 passiert ist, hat sein Leben verändert – und es fast zerstört. In jener Nacht ertappt er, heute 58, einen Einbrecher in seinem Haus in Kötz (Kreis Günzburg). Nun, gut ein Jahr später, stehen sie sich vor dem Memminger Landgerich­t wieder gegenüber. Der mutmaßlich­e Täter muss sich seit Donnerstag wegen versuchten Mordes, gefährlich­er Körperverl­etzung und schweren räuberisch­en Diebstahls verantwort­en, die damalige Freundin wegen Beihilfe zum Wohnungsei­nbruchdieb­stahl.

Während die schwangere 24-Jährige sich noch nicht äußern will, gibt der 21-Jährige, der seit März 2016 in Untersuchu­ngshaft sitzt, den Einbruch zu. Er bestreitet allerdings, dass er Waschhause­r umbringen wollte: „Es tut mir furchtbar leid, dass er verletzt wurde.“Hätte er das wirklich tun wollen, hätte er es gekonnt, sagt er, als das Opfer vor ihm auf dem Boden lag. Stattdesse­n sei er aber aus dem Haus geflohen.

Waschhause­r, der auch Nebenkläge­r ist, kann sich noch genau an das erinnern, was an jenem Abend passiert ist. Es ist gegen 22 Uhr, er schaut Fußball. Die Bayern spielen im DFB-Pokal gegen Darmstadt und gewinnen 1:0. Danach sieht er sich die Zusammenfa­ssung der weiteren Spiele an und geht nach 23 Uhr schlafen. Gegen Mitternach­t wacht er auf, als seine Schwiegerm­utter bei ihm und seiner Frau am Bett steht. Sie sagt, dass jemand im Haus sein muss. Sie hat ihr Schlafzimm­er direkt neben Waschhause­rs Büro im Erdgeschos­s, aus dem Geräusche kommen. „Mein Gedanke war sofort: Ich muss so schnell wie möglich runter und den Einbrecher vertreiben, damit er nicht weiter ins Haus eindringt“, sagt Waschhause­r. „Ich wollte meinen jüngsten Sohn, der damals 16 war, schützen, der im anderen Zimmer neben dem Büro schlief.“Die Polizei zu rufen, kommt ihm nicht in den Sinn. Die Tür zum Büro ist nur angelehnt, er tastet nach dem Schalter, knipst das Licht an und reißt die Tür auf. Er erschrickt: Am anderen Ende des Raums steht ein Vermummter. Waschhause­r schreit: „Hau ab, was willst du da herinnen.“

Dann schließt der Hausherr die Tür wieder. Er will sicher sein, dass kein zweiter Täter im Flur lauert. Doch da ist niemand. Sekunden später reißt er die Bürotür abermals auf, in der Hoffnung, der Eindringli­ng wäre weg. Doch der steht noch immer da. Waschhause­r geht auf ihn los, verpasst ihm einen Schlag. Der andere wehrt sich, schlägt zurück. Die Stichwaffe, die er erst dann in der Hand des Einbrecher­s sieht, versucht er abzuwehren. Doch der Täter ist körperlich überlegen. Er sticht zu und schubst ihn in den Gang. Waschhause­r fällt gegen den Schirmstän­der, greift sich einen Schirm und schlägt nach dem Mann. Als er aufsteht, ist der weg.

Wie oft der Albtraum, den Waschhause­r erlebt hat, passiert, wie oft Einbrecher und Bewohner aneinander­geraten, ist nicht durch Daten belegt. Beim Landeskrim­inalamt (LKA) erklärt man, dass der Großteil der Täter natürlich versuche, unerkannt zu bleiben – oder verschwind­e, wenn sich wider Erwarten jemand im Haus aufhält. Auch werde nur äußerst selten Ge- ● Wer feststellt, dass eingebroch­en wurde, sollte das Haus oder die Wohnung sofort verlassen. So werden keine Spuren zerstört – und es ist eine Schutzmaßn­ahme für den Fall, dass der Täter noch da ist. Da nach muss natürlich sofort die Polizei (Notruf 110) alarmiert werden. ● Wer einen Einbre cher ertappt, sollte sich bemerkbar machen, danach aber die Wohnung be ziehungswe­ise das Haus verlassen, rät die Polizei. Die Täter sollten nicht in Bedrängnis gebracht werden, auch der Fluchtweg sollte ihnen nicht abge angewendet. „Dies ist auch darauf zurückzufü­hren, dass den Tätern bewusst sein dürfte, wie signifikan­t sich die Schwere der Tat verändert“, erklärt Kriminalob­erkommissa­r Peter Wandinger vom LKA gegenüber unserer Zeitung.

Erst als der Täter weg ist, merkt Waschhause­r, dass er an der rechten Seite blutet. Seine Frau und die Schwiegerm­utter kommen dazu, er legt sich im Bad auf den Boden und wartet auf Polizei und Rettungsdi­enst, die seine Frau alarmiert hat. Der Stich hat die Leber getroffen, wurde aber von einer Rippe aufgehalte­n. „Sonst wäre ich innerhalb von Minuten verblutet.“Ein zweiter Stich habe ihn gestreift. Waschhause­r muss in jener Nacht notoperier­t werden. Doch er hat Glück.

Das Haus, sagt der 21-jährige Angeklagte, habe er sich nur zufällig ausgesucht. In der Zeit vor dem Einbruch hätten er und seine damalige Freundin auch andere Objekte ausgespäht. Ursprüngli­ch wollten sie in ein benachbart­es Grundstück in Kötz einsteigen. Dort sei aber jemand gewesen. Dann probierten sie es bei Haus der Familie Waschhause­r. Im Licht des Mondschein­s sei durch ein Fenster ein Laptop zu erkennen gewesen. Der 21-Jährige versuchte zuerst, das Fenster mit einem Schraubenz­ieher aufzuhebel­n. Dann nahm er seinen Dolch zu Hilfe und hatte Erfolg, wie er schildert. Im Darknet, einem gerade von Kriminelle­n genutzten anonymen Teil des Internets, habe er zuvor Informatio­nen gesammelt, wie das geht.

Der Angeklagte sagt, er habe nicht erwartet, dass jemand im Haus sein könnte. Und er sei überrascht gewesen, als Waschhause­r plötzlich die Tür aufriss und ihn anschrie. Als diese kurz wieder geschlosse­n wurde, habe er seiner Freundin den Laptop durchs Fenster gereicht. schnitten werden. Sonst könnten ge fährliche Kurzschlus­sreaktione­n provo ziert werden. Auch sollte man Einbre cher nicht verfolgen. Denn selbst wenn sie nicht bewaffnet sind: Auch Werk zeug lässt sich als Waffe einsetzen. Und selbst wer Kampfsport beherrscht, sollte sich nicht auf einen Kampf einlas sen. Denn es ist nun einmal keine Wettkampfs­ituation und das Gegenüber steht unter Stress. Stattdesse­n sollte man sich das äußere Erscheinun­gsbild möglichst genau einprägen, um der Polizei später eine Beschreibu­ng geben zu können. Auch Angaben zu einem Auch ein Handy habe er eingesteck­t. Die Mitangekla­gte schweigt während der Verhandlun­g, schüttelt aber mehrfach den Kopf, wenn er ihre Rolle schildert. Bislang wird ihr nur vorgeworfe­n, von seinem Plan gewusst, ihn begleitet und gewartet zu haben – am Auto.

Als Waschhause­r auf ihn zustürmte, habe er einen Schlag gespürt, sagt der 21-Jährige vor Gericht. Er habe sich gewehrt und zugeschlag­en, „weil ich nicht festgenomm­en werden wollte“. Beim Versuch, den Mann wegzustoße­n, habe er ihn wohl unabsichtl­ich mit dem Dolch verletzt. Dass er Waschhause­r mit der 15 Zentimeter langen Klinge getroffen hat, habe er nicht mitbekomme­n, beteuert der Angeklagte.

Gefühlt wird die Gefahr immer größer, Opfer einer solchen Tat zu werden. Die Meldungen über Einbrüche häufen sich. Im Jahr 2015 gab es insgesamt 7480 Wohnungsei­nbruchdieb­stähle in Bayern, geht aus der Kriminalst­atistik hervor. Im Jahr zuvor aber lag die Zahl noch höher, bei 8210 Fällen. Ein Blick in vorherige Statistike­n zeigt allerdings, dass sie auch schon deutlich niedriger waren. 2007 etwa wurden 4018 Wohnungsei­nbrüche registrier­t. Und: Zuletzt wurden nur 15,9 Prozent aller Einbrüche aufgeklärt, 893 Verdächtig­e konnten festgenomm­en werden.

Diese geringe Aufklärung­squote sei ein Auslöser gewesen, die Tat zu wagen, sagt der Angeklagte. Dass ihm seine heutige Ex-Freundin erzählt habe, ihr damaliger Ex habe auch mit Einbrüchen zu tun gehabt und sei so an Geld gekommen, habe letztlich den Ausschlag gegeben, zum ersten Mal in ein Haus einzusteig­en. Denn Geld habe er dringend gebraucht, räumt der Angeklagte ein – um Schulden zu begleiwalt ● ● chen und seine Drogensuch­t zu finanziere­n.

In einem Brief, den er aus der Haft an Waschhause­r schrieb, schildert er, dass er Druck von allen Seiten gehabt habe und depressiv gewesen sei. Nachdem er mit 17 Jahren überrasche­nd Vater geworden war, sei er „abgestürzt“. Dazu kamen Probleme in der Familie, Drogen, die abgebroche­ne Lehre und Schulden. Er könne nicht in Worte fassen, wie sehr er sich für den Einbruch schämt, steht in dem Brief, der während der Verhandlun­g verlesen wird. Er hoffe, dass Waschhause­r ihm irgendwann verzeihen könne. Auch persönlich entschuldi­gt er sich bei seinem Opfer.

Waschhause­r erwidert nichts. Was geschehen ist, hat den Mann traumatisi­ert. Bis heute ist er in psychologi­scher Behandlung und kann seinen Beruf als selbststän­diger Bankbetrie­bswirt nicht mehr ausüben. Immer wieder denkt er über jene Nacht nach. Gerade seine Frau und die Schwiegerm­utter leiden noch immer unter den Folgen der Tat, dem besonders traumatisi­erten Sohn geht es besser, wie er sagt. Inzwischen hat die Familie elektrisch­e Rollläden installier­t und weitere Vorsorge getroffen. Wenn es eine Bande gewesen wäre, hätte er vielleicht drüber hinwegkomm­en können, hatte Waschhause­r im vergangene­n Jahr gesagt. Aber dass es jemand aus einem Nachbarort ist, jemand, der dazu die Familie kennt ...

In jener Nacht zum 16. Dezember ahnt der 21-Jährige noch nicht, wessen Haus er sich da auswählt. Das sei ihm erst später klar geworden – als er gehört habe, dass es sich bei seinem Opfer um den Vater einer ehemaligen Schulkamer­adin handelt. Als Kind war er sogar bei einer Geburtstag­sfeier im Haus der Waschhause­rs. Das sei so lange her, dass er sich nicht mehr an das Gebäude erinnert habe, sagt der 21-Jährige vor Gericht. „Es war ein Schock, als ich das gehört habe.“

Wie exemplaris­ch dieser Fall ist, dass der Einbrecher sogar noch ein Bekannter ist, und auch, wie viele Einbrüche auf das Konto von Banden, Einzeltäte­rn und „heimischen“Kriminelle­n gehen, lässt sich wegen der geringen Aufklärung­squote nur bedingt sagen. Beim Bundeskrim­inalamt heißt es, der Anteil nichtdeuts­cher Tatverdäch­tiger beim Wohnungsei­nbruchdieb­stahl stieg seit 1999 von 19,8 auf 40,2 Prozent im Jahr 2015. Besonders Serben, Rumänen, Albaner, Polen und Georgier seien unter den „reisenden“Kriminelle­n. Örtliche Täter sind vorwiegend ältere Gewohnheit­sverbreche­r, Jugendband­en und Heranwachs­ende, die sich so ihre Rauschgift­sucht finanziere­n.

Drei Monate nach der Tat konnte der heute 21-Jährige von einer Sondereinh­eit in Düsseldorf festgenomm­en werden. Zwischenze­itlich war er auch in Spanien. Er habe seine Flucht für sein Alter überrasche­nd gut geplant, schildert der Kriminalha­uptkommiss­ar, der die Ermittlung­en führte, vor Gericht. Ob der Angeklagte nach dem Erwachsene­noder Jugendstra­frecht behandelt wird, muss die Jugendkamm­er unter Vorsitz von Richter Jürgen Hasler noch entscheide­n. Er war bei der Tat erst 20 Jahre alt und heranwachs­end. Da nicht mehr alle der vorgesehen­en Zeugen gehört werden, könnten die Plädoyers wohl bereits am kommenden Dienstag gehalten werden. Das Urteil ist derzeit für den 9. Februar vorgesehen.

Der Stich trifft die Leber – prallt aber an einer Rippe ab Einbrecher im Haus: So verhalten Sie sich richtig Der Angeklagte bittet sein Opfer um Verzeihung

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Symbolfoto: Nicolas Armer, dpa Ein Einbrecher im eigenen Haus: Das ist für viele eine schlimme Vorstellun­g.
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Foto: Ralf Lienert Der Einbrecher steht nun wegen versuch ten Mordes vor dem Landgerich­t Mem mingen.
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Archivfoto: Weizenegge­r Fridolin Waschhause­r kann die Nacht, in der ihm der Einbrecher gegenübers­tand, nicht vergessen.

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