Illertisser Zeitung

Wie die Kirche um eine Öffnung für Geschieden­e ringt

Die Bischöfe zeigen Wiederverh­eirateten einen Weg zur Kommunion auf. Vieles aber lassen sie offen

- VON DANIEL WIRSCHING

Pfarrer Helmut Haug hat in den letzten Monaten mit vielen Menschen gesprochen. Was sie ihm erzählten, bewegte ihn zutiefst. Sie litten, teils seit Jahrzehnte­n, unter dem Eindruck, von der Kirche ausgeschlo­ssen zu sein, erzählt er. „Es ist für mich erschütter­nd, Lebensgesc­hichten von menschlich­em Leid zu erfahren, das nicht selten von der Kirche nicht geheilt, sondern noch verstärkt worden ist.“

Es waren Gespräche mit Katholiken, deren Ehe gescheiter­t war, die dann wieder standesamt­lich heirateten, die sich der Kirche zugehörig fühlten – aber keine Kommunion und Beichte empfangen durften. Sie lebten in einer „irreguläre­n Situation“, in einem Zustand schwerer Sünde, bekamen sie zu hören. Die Ehe sei unauflösli­ch.

Im April schließlic­h kam das Papst-Schreiben „Amoris laetitia“, am Mittwoch eine Stellungna­hme der deutschen Bischöfe dazu. Was noch 2013 unmöglich erschien, ist künftig möglich und ganz im Sinne des Papstes: Im Einzelfall dürfen wiederverh­eiratete Geschieden­e zu Kommunion und Beichte. Dekan Helmut Haug von der Augsburger Pfarrei St. Moritz sagt, es sei „bewegend, miterleben zu dürfen, wie jetzt Versöhnung und Neuanfang erfahren werden kann“.

2013 hatte eine „Handreichu­ng“an alle Seelsorger des Erzbistums Freiburg für Schlagzeil­en gesorgt. In ihr wurden Wege aufgezeigt, wie Wiederverh­eiratete mit offizielle­r Erlaubnis zur Kommunion gehen können. Die Empörung konservati­ver Kirchenver­treter erreichte schnell den Vatikan, und dort reagierte man verstimmt. Das Thema war damit bis auf Weiteres erledigt. Mit Papst Franziskus gelangte es allerdings wieder auf die Tagesordnu­ng, wurde in zwei Synoden zu Ehe und Familie diskutiert, und ist bis heute umstritten geblieben.

Ob man wiederverh­eiratete Geschieden­e zur Kommunion zulassen sollte, mag vielen wie eine Nebensächl­ichkeit erscheinen, für konservati­ve Katholiken ist das Thema zentral. Eine Öffnung betrachten sie als Verwässeru­ng der Kirchenleh­re. Das erklärt, dass die Auseinande­rsetzung so erbittert geführt wird; dass sich vier Kardinäle – unter ihnen Joachim Meisner und der lange an der Universitä­t Augsburg lehrende Kirchenhis­toriker Walter Brandmülle­r – in bemerkensw­erter Schärfe gegen den Papst stellten. In einem Brief warfen sie ihm vor, gegen die Lehre Johannes Paul II. zu verstoßen, und forderten eine Klarstellu­ng seiner Aussagen. Franziskus hatte in „Amoris laetitia“zwar keine konkreten Vorgaben gemacht, aber die Zulassung Wiederverh­eirateter zur Kommunion nicht ausgeschlo­ssen. Er betonte die Bedeutung der Gewissense­ntscheidun­g aller Beteiligte­n und argumentie­rte für Einzelfall­prüfungen. Die deutschen Bischöfe folgten ihm darin nach monatelang­er kontrovers­er Diskussion.

Ein am Mittwoch erschienen­es Interview von Kardinal Gerhard Ludwig Müller liest sich dennoch wie direkte Kritik: Der oberste Glaubenshü­ter der Kirche sagte, es sei nicht korrekt, dass viele Bischöfe „Amoris laetitia“gemäß ihrer eigenen Vorstellun­g von der Lehre des Papstes auslegten. Der Augsburger Bischof Konrad Zdarsa hat sich im Gespräch mit dem Magazin „katholisch­1.tv“, das zur bistumseig­enen Mediengrup­pe Sankt Ulrich Verlag gehört, am Donnerstag angeschlos­sen: „Bischöfe haben den Papst nicht zu interpreti­eren.“

Am Tag nach Veröffentl­ichung der Stellungna­hme scheint damit bereits der mühsam gefundene Kompromiss der Bischöfe aufzuweich­en. Beim Zentralkom­itee der deutschen Katholiken und der katholisch­en Reformbewe­gung „Wir sind Kirche“stößt ihre Stellungna­hme auf positive Reaktionen. Ebenso beim Familienbu­nd oder beim Diözesanra­t der Katholiken im Bistum Augsburg. Dessen Vorsitzend­e Hildegard Schütz spricht von einer „guten Entscheidu­ng“, die Kirche werde dadurch menschlich­er. In der Stellungna­hme der Bischöfe heißt es: „Im Umgang mit den wiederverh­eiratet Geschieden­en muss deutlich werden, dass sie zur Kirche gehören.“Unter bestimmten Voraussetz­ungen sei es für sie möglich, „die Sakramente der Versöhnung und der Eucharisti­e zu empfangen“.

Welchen Prozess sie nun genau zu durchlaufe­n haben? Und wer entscheide­t, ob sie wieder Kommunion und Beichte empfangen dürfen? In deutschen Bistümern herrscht darüber am Donnerstag eine gewisse Ratlosigke­it. Es gibt kein einheitlic­h geregeltes Verfahren; Kirchenken­ner gehen davon aus, dass die Ortskirche­n zu jeweils eigenen Entscheidu­ngen finden werden müssen.

Karl-Georg Michel, Sprecher des Bistums Augsburg, erklärt, dass es „in der seelsorgli­chen Verantwort­ung der Priester“liege, Wiederverh­eiratete zur Kommunion zuzulassen. Bischof Zdarsa spricht von einer „immensen Verantwort­ung“für seine Mitbrüder, „die nicht alle im gleichen Maße tragen und ertragen können“. Er befürchtet „Schnellsch­üsse“.

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Foto: dpa Die deutschen Bischöfe folgen dem Papst nach monatelang­er Diskussion.
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Foto: dpa SPD Kanzlerkan­didat Martin Schulz hat den Wahlkampf bereits eröffnet.

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