Illertisser Zeitung

Und die Kanzlerin schweigt nicht

- VON MICHAEL STIFTER msti@augsburger allgemeine.de

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Bei ihrem Besuch in Ankara hat sich Angela Merkel auf oblatendün­nem Eis bewegt. Und sie ist nicht eingebroch­en. Seit Monaten werfen ihre Kritiker der Kanzlerin vor, sie habe sich erpressbar gemacht. Die Argumentat­ion geht so: Der türkische Präsident hat Merkel in der Hand, weil er jederzeit seinen Pakt mit der überforder­ten EU platzen lassen und Millionen von Flüchtling­en Richtung Europa durchwinke­n könnte. Deshalb – so argwöhnen die Gegner der Kanzlerin – schaut sie schweigend zu, wie in der Türkei Menschenre­chte quasi abgeschaff­t werden und das Land in Richtung Diktatur abrutscht. Doch diesmal hat Merkel eben nicht geschwiege­n.

Sie hat ihre Kritiker Lügen gestraft und Erdogan ins Gesicht gesagt, was Demokratie bedeutet, was ihr am Weg seines Landes Sorgen bereitet. Ein solches Signal war richtig – und überfällig. Die Kanzlerin zeigt dem Präsidente­n damit, dass sie nicht wegschauen wird, nur um den Flüchtling­sdeal zu retten. Ob sich der Autokrat davon beeindru- cken lässt? Wohl kaum. Aber ohne Frage waren Merkels Worte eine Provokatio­n für ihn. Dementspre­chend gereizt fiel seine Reaktion aus. Das Risiko der Kanzlerin blieb trotzdem überschaub­ar. Denn auch ihr Gegenüber hat etwas zu verlieren: Er braucht die EU als Partner, um die marode türkische Wirtschaft zu stabilisie­ren.

Die Bilder mit seiner Besucherin aus Deutschlan­d wird Erdogan zur Selbstinsz­enierung nutzen – ob sie das will oder nicht. Aber das musste Merkel in Kauf nehmen.

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Foto: Lefteris Pitarakis, dpa Klar und hart in der Sache: Angela Merkel und Recep Tayyip Erdogan gestern in Ankara.

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