Hör mal, wer da röhrt
Auf der Messe „Jagd & Hund“in Dortmund schreien wieder Deutschlands Hirschrufer um die Wette. Der Oberbayer Martin-Michael Mayer erzählt von einer langen Tradition
Es war auf einer Almhütte. Martin-Michael Mayer sagte damals einem Freund, dass er mit einem Weißbierglas die Rufe eines Rothirsches imitieren könne. Und lieferte den Beweis. Ein Hirsch trat aus der Dickung, um zu schauen, wo sich der vermeintliche Kontrahent in Pose bringt. Was auf der Berghütte eher einer Laune entsprang, hat der Oberbayer aus dem Chiemgau inzwischen fast schon professionalisiert. Er nahm an deutschen Meisterschaften der Hirschrufer teil, ging bei europäischen Titelkämpfen an den Start und wurde 2014 deutscher Vizemeister. Wenn heute die Hirschrufer in Dortmund wieder um die Wette röhren, ist das ein Höhepunkt der Messe „Jagd & Hund“. Mayer wird dann zwar nicht dabei sein, aber fürs kommende Jahr hat er sich die Teilnahme wieder fest vorgenommen.
Früh übt sich, wer ein Meister werden will. Schon als 14-Jähriger hat er im Hochwildrevier eines Bekannten nahe Mittenwald den Hirschen in der Natur aufmerksam gelauscht und ihre Stimmen nachgemacht. Mit 16 besuchte er schließlich ein Seminar beim ehemaligen Wildmeister Konrad Esterl, einem begnadeten Hirschrufer und einer der schillerndsten Figuren der bayerischen Jägerschaft. Der Schlierseer Esterl sitzt auch heute in Dortmund in der Jury.
Mayer geht inzwischen am Hochgern im Chiemgau zur Jagd – einem Revier mit Rotwild. Und in der Brunft, der Paarungszeit von September bis Anfang Oktober, greift er dann zu einem Papprohr und ahmt den Schrei der Hirsche nach. Doch Hirsch ist nicht gleich Hirsch. Da ist der junge, unerfahrene Bursche, der nach den weiblichen Tieren mit, wie es Mayer sagt, einem „jammernden Ton“ruft. Da ist aber auch der alte Knabe mit tiefer, furchterregender Stimme. Oder der Platzhirsch, der sein Rudel verteidigt. Mit den Rufen, einer uralten Jagdform, die schon in der Steinzeit betrieben wurde, werden die Tiere angelockt. Und die Chance, dass der Hirsch dem Ruf folgt, sei hoch, sagt Mayer. Einmal sei einer auf der Suche nach dem vermeintlichen Nebenbuhler sogar bis auf fünf Meter an seinen Ansitz herangetreten. „Mein Hund hat, Auge in Auge mit dem mächtigen Wild, vor Aufregung gezittert.“Der 37-Jährige betont allerdings auch, dass es bei der jahrhundertelangen Tradition des Hirschrufens nicht nur um die Jagd gehe. „Wir wollen damit auch auf das Rotwild, das größte Säugetier in Deutschland, aufmerksam machen.“
16 verschiedene Rufe gibt es in der Natur, sagt Mayer. Und alle kann der passionierte Jäger, in St. Georgen im Landkreis Traunstein zu Hause, imitieren. Bei den deutschen Meisterschaften müssen von den Teilnehmern drei Aufgaben bewältigt werden: In diesem Jahr sollen die Stimme des alten, suchenden Hirsches, das Kampfgeschrei des Platzhirsches beim Kahlwildrudel – das sind die weiblichen Tiere – und das Rufduell zweier gleich starker Hirsche auf dem Höhepunkt der Brunft täuschend echt nachgemacht werden. Die Hirschrufer wiederum brauchen viel Übung und ein Rohr aus Pappe oder Plastik. Das wird an den Mund gelegt und verstärkt den Ton wie bei einem Blasinstrument. Die Kunst, den Hirsch zu rufen, ist anspruchsvolles waidmännisches Handwerk und gehört zur hohen Schule der Lock- und Rufjagd.
Mayers Traum wäre es, einmal bei den Weltmeisterschaften anzutreten, nachdem er bei europäischen Wettkämpfen bereits hervorragende Ergebnisse erzielt hat. Er kennt die meisten Hirsche in seinem Hochwildrevier an der Stimme. „Ich kann Ihnen bei sieben bis acht Tieren exakt sagen, welcher Hirsch gerade schreit.“Und dann greift der Jäger zu seinem Papprohr, wird zum Nebenbuhler und lockt den Kontrahenten aus der Deckung.
„Ich kann sagen, welcher Hirsch in meinem Revier schreit.“Martin Michael Mayer