EU will Mittelmeerroute schließen
Fast alle Flüchtlinge, die es in ihren Booten nach Italien schaffen, sind von Libyen aus gestartet. Nun reagiert Europa – mit einem Pakt, der an den Vertrag mit der Türkei erinnert
Immer mehr Flüchtlinge in Italien, immer mehr Tote bei der Überfahrt und immer katastrophalere Zustände an der Küste Libyens: Mit einem politischen Kraftakt will die Europäische Union jetzt die sogenannte Mittelmeerroute für Flüchtlinge schließen. Ein ZehnPunkte-Plan, den die Staats- und Regierungschefs der EU bei ihrem Gipfeltreffen am Freitag in Malta beschlossen haben, sieht unter anderem finanzielle Hilfen für die libysche Regierung und Unterstützung bei der Ausrüstung und Ausbildung der libyschen Küstenwache vor, damit sie die von Schlepperbanden organisierten Überfahrten in Richtung Europa verhindern kann. Außerdem soll Tripolis mit italienischer Hilfe große Aufnahmelager in Libyen selbst einrichten.
In sie sollen Flüchtlinge bis zur Abschiebung in ihre Heimatländer oder bis zu einer freiwilligen Rückkehr gebracht werden. Finanziert werden sollen sie zunächst durch Italien und gegebenenfalls später auch durch EU-Gelder. Gegen Flüchtlingslager in Libyen gibt es bisher bei mehreren Mitgliedslän- der EU wegen der chaotischen Lage in dem nordafrikanischen Land Vorbehalte: Gleichzeitig ist das Land das mit Abstand wichtigste Transitland für Flüchtlinge, die aus Afrika nach Europa wollen. Nach verschiedenen Schätzungen warten in Libyen bis zu 350 000 Menschen auf eine Gelegenheit, nach Italien überzusetzen.
Im vergangenen Jahr sind rund 181 000 Flüchtlinge über das Meer in die EU gekommen, rund 90 Prozent davon direkt aus Libyen. Mehr als 5000 ertranken, weil ihre maroden und überladenen Boote kenterten. Gestern wurden laut italienischer Küstenwache vor der Küste Libyens mehr als 1300 Flüchtlinge gerettet. Ohne Gegenmaßnahmen, heißt es in EU-Kreisen, würden die Flüchtlingszahlen im Frühjahr wieder deutlich steigen.
Libyen wird trotz einer Einheitsregierung in weiten Teilen von bewaffneten Milizen kontrolliert. Hilfsorganisationen sehen Flüchtlinge schwersten Menschenrechtsdern verletzungen ausgesetzt. Auch die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, die oberbayerische SPD-Abgeordnete Bärbel Kofler, kritisierte die EU-Pläne scharf: Eine Auslagerung des Flüchtlingsschutzes nach Libyen wäre „fatal“, warnt sie. Die Organisation Pro Asyl und der Paritätische Wohlfahrtsverband sprachen in einem offenen Brief von einem „Tiefpunkt europäischer Flüchtlingspolitik“.
Bundeskanzlerin Angela Merkel verteidigte die Übereinkunft. Im Kampf gegen die illegale Migration über das Mittelmeer habe Europa noch „sehr, sehr viel Arbeit“vor sich, sagte sie. Dabei müsse die EU vorgehen wie bei der Türkei, mit der sie bereits einen Flüchtlingspakt geschlossen hat, um den Andrang nach Griechenland zu bremsen. Großbritannien wolle auch nach dem Brexit in der Flüchtlingspolitik mit der EU zusammenarbeiten, sagte Premierministerin May.
Wie erfolgversprechend die neue Übereinkunft ist, beurteilt Simon Kaminski im Worüber man in Malta noch diskutierte, lesen Sie auf
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