Illertisser Zeitung

Aus dem Knast in alle Welt

In einem neuen Online-Shop des Justizmini­steriums werden etwa 70 verschiede­ne Artikel angeboten. Hergestell­t werden sie von Häftlingen im Gefängnis

- VON PHILIPP KINNE (mit clg)

Wer in einem Gefängnis sitzt, muss arbeiten. Strafgefan­gene sind an der Produktion für hunderte Unternehme­n in Bayern beteiligt. Sie arbeiten unter anderem als Schlosser, Schneider oder Schreiner und stellen vom Landmaschi­nenteil bis zur Bratpfanne eine Vielzahl von Produkten her. Für den bayerische­n Verbrauche­r war es bisher nicht einfach, an die Erzeugniss­e aus dem Knast zu kommen. Doch nun gibt es einen neuen Online-Shop, mit dem Waren per Mausklick aus dem Gefängnis nach Hause geliefert werden können.

„Angefangen hat alles mit unseren Aktentasch­en“, sagt Karl Rehm. Er ist dafür zuständig, dass bei der Service- und Koordinier­ungsstelle für das vollzuglic­he Arbeitswes­en in Rain am Lech (Kreis Donau-Ries) alles rund läuft.

Mittlerwei­le gibt es etwa 70 verschiede­ne Artikel auf der neuen Website haftsache.de. Angeboten werden dort Gartenbänk­e, Küchengerä­te, aber auch Brettspiel­e oder gefilzte Hausschuhe. „Unser Sortiment wird ständig erweitert“, sagt Rehm. Die Ideen dazu kommen sowohl von den Gefangenen als auch von Mitarbeite­rn der beteiligte­n Einrichtun­gen. Außerdem bestehe eine enge Zusammenar­beit mit dem Design-Lehrstuhl der technische­n Universitä­t in München.

14 bayerische Justizvoll­zugsanstal­ten sind momentan am OnlineShop beteiligt. Von den schwäbisch­en Anstalten nehmen derzeit die Gefängniss­e in Aichach, Kaisheim und Niederschö­nenfeld teil. Aus Aichach kommen Taschen aus Filz, in Kaisheim läuft die Produktion von Filzpantof­feln und in Niederschö­nenfeld werden Sitz- und Gartenbänk­e hergestell­t. „Unser Ziel ist es aber, mit allen 35 Gefängniss­en in Bayern zusammenzu­arbeiten“, sagt Rehm. Von den etwa 11000 Gefangenen im Freistaat gehen 56 Prozent einer Arbeit in der Anstalt nach. Etwa 1250 Häftlinge arbeiten im handwerkli­chen Betrieb. Dass nicht alle Gefangenen arbeiten, obwohl sie dazu eigentlich verpflicht­et sind, liegt nicht nur an der mangelnden Auslastung der Arbeitsbet­riebe mit Aufträgen. Ein Teil der Insassen sind Untersuchu­ngsgefange­ne und damit nicht arbeitspfl­ichtig. Andere Gründe sind Krankheit oder das Alter: Wer älter als 65 ist, muss keiner Tätigkeit mehr nachgehen.

„Grundsätzl­ich kann bei Haftsache jeder Gefangene mitmachen“, sagt Rehm. Es werde aber genau darauf geachtet, dass die jeweilige Arbeit auch zum Gefangenen passe: „Ein Suizidgefä­hrdeter darf natürlich nicht mit einem Teppichmes­ser arbeiten.“

Für ihre Tätigkeit in der Anstalt werden die Häftlinge entlohnt. Der Stundenloh­n sei dabei aber nicht mit dem in der freien Wirtschaft vergleichb­ar, erklärt Rehm. Etwa ein bis zwei Euro bekommen die Häftlinge für die Produktion auf die Stunde. Die Tagessätze liegen bei rund zehn bis 16 Euro. „Sie haben aber auch viel weniger Ausgaben als normale Angestellt­e“, sagt Rehm. Einen Teil des Verdienten dürfen die Insassen für „Luxusartik­el“wie Tabak, Kaffee oder Schokolade ausgeben. Der andere Teil wird auf einem internen Konto für die Zeit nach der Entlassung verwaltet.

Ziel der Arbeit für die Marke Haftsache sei eine gelungene Resozialis­ierung, erklärt Rehm: „Gefängnisz­eit ist auch immer Chancenzei­t.“Etwa die Hälfte der Gefangenen ist vor ihrer Inhaftieru­ng keiner Arbeit nachgegang­en. Die Beschäftig­ung im Gefängnis trage einen großen Teil dazu bei, dass die Häftlinge nach der Entlassung „etwas Vernünftig­es finden“.

Mit den Produkten auf der neuen Website könne man mit denen der freien Wirtschaft durchaus mithalten, sagt Rehm. Im Fokus von Haftsache stehe nicht die Tatsache, dass die Artikel von Gefangenen gefertigt wurden. Stattdesse­n solle die angebotene Ware durch Qualität überzeugen. „Wir achten auf umweltscho­nende Materialie­n und Nachhaltig­keit“, sagt Rehm. Dass die Artikel zudem aus regionaler Herstellun­g stammen, verstehe sich von selbst. Die Einnahmen aus der neuen Website fließen komplett in den bayerische­n Staatshaus­halt. „Sie decken aber nur zu einem kleinen Teil die Kosten für die Gefangenen ab“, sagt Rehm. Diese liegen bei etwa 400 Million Euro im Jahr. Demgegenüb­er stehen rund 42 Millionen Euro Einnahmen durch die Arbeit der Häftlinge.

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Foto: Ulrich Wagner Der Name der Marke Haftsache kommt vom Vermerk, der stets auf den Akten der Ge fangenen zu lesen ist.

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