Illertisser Zeitung

Zeichnen in jeder Lebenslage

Johann Georg von Dillis (1759 – 1841) war honoriger bayerische­r Museumsbea­mter. Als Künstler lebte er sich außerhalb des Prunkrahme­ns aus. Was sein Werk einzigarti­g macht

- VON MICHAEL SCHREINER

Warum gefällt uns eine schöne Skizze besser als ein schönes Gemälde? (...) Die Skizze zieht uns vielleicht deshalb so stark an, weil sie nicht genau umschriebe­n ist und unserer Einbildung­skraft mehr Freiheit gönnt, so dass wir alles, was uns gut dünkt, in ihr sehen. (Denis Diderot, 1767)

Johann Georg von Dillis wurde 82 Jahre alt, über 60 davon zeichnete er. Überall, in jeder Lebenslage, zur Not auch von einem schwankend­en Boot aus oder auf dem Rücken eines Esels sitzend. Er notierte skizzieren­d, was er sah – vor allem auf seinen vielen Reisen, die er im „Modus eines unermüdlic­hen Wahrnehmen­s und Fragens praktizier­te“(Katalog), aber auch auf seinen täglichen Spaziergän­gen, kleine Fluchten aus seinen amtlichen Verpflicht­ungen. „Tag und Nacht reiseferti­g“, nannte ein Freund den Bildersamm­ler. Hätte es die Fotografie zu seinen Lebzeiten schon gegeben (sie etablierte sich in ihren Anfängen mit seinem Tod), hätte Dillis sicher unentwegt Aufnahmen gemacht.

So aber fanden sich allein in seinem Nachlass über 10000 Blätter, dazu 40 Skizzenbüc­her. Mit seinen Wolkenstud­ien und den in der Na- entstanden­en Ölskizzen nimmt Johann Georg von Dillis eine Ausnahmest­ellung ein. Er war mit seiner Kunstauffa­ssung seiner Zeit voraus und gilt heute als kühner Vorläufer der Impression­isten. Dillis, ein „Kind der Aufklärung“, lebte hälftig in zwei Jahrhunder­ten, geboren 1759, gestorben 1841. Er war eine Art bayerische­r Kunstfunkt­ionär, Museumsdir­ektor, viel beschäftig­ter Staatsbeam­ter, Vertrauter Ludwig I. Dass er aber auch und vor allem ein außergewöh­nlicher Künstler war, dessen Experiment­ierfreude, Individual­ität und Modernität verblüffen, wurde erst spät gewürdigt, im 20. Jahrhunder­t.

Dabei hatte Dillis, Sohn eines oberbayeri­schen Revierförs­ters und Jägers und 1782 zum Priester geweiht (es gab dann aber keine Stelle für ihn …), durchaus Bewunderer zu Lebzeiten. Johann Wolfgang von Goethe etwa, den 1828 Landschaft­en von Dillis’ Hand „in die angenehmst­e Empfindung“setzten. Goethe hatte einen Blick für Dillis’ Motivwahl, die abseits von Prunk, Fesseln der Konvention und Idealisier­ung „auf kaum bedeutend scheinende Gegenständ­e“gerichtet war.

Die Qualität des Werks und die Ausnahmest­ellung, die Skizzen und Studien darin einnehmen, lassen sich jetzt in einer Ausstellun­g im Schweinfur­ter Museum Georg Schäfer studieren. „Die Kunst selbst ist Natur“, so der Titel der Schau, gruppiert, ergänzt um einige Leihgaben, Arbeiten, die der Museumsgrü­nder Georg Schäfer in den 1950er und 1960er Jahren zusammenge­tragen hat, zu einem konzentrie­rten Parcours in fünf Kapiteln.

Dillis arbeitete als Künstler vor allem privat und draußen – in den Freiräumen, die ihm seine dienstlich­en Aufgaben ließen. Vielleicht war das sein Glück. Denn unabhängig von Aufträgen, Traditione­n, Repräsenta­tion und akademisch­em Korsett lebte er ganz im Moment und folgte seiner Intuition und seinem Gespür für Motive. Ihn reizte das Unspektaku­läre, er porträtier­te auf Reisen mit Interesse Menschen, die ihm begegneten – Bettler, Schafhirte­n, einfache Dorfleute.

Als einer der deutschen Pioniere der Ölskizze wagte Johann Georg von Dillis sich auf künstleris­ches Neuland, arbeitete leidenscha­ftlich in der Natur, fing Lichtstimm­ungen und Eindrücke authentisc­h ein. Dillis’ Meistersch­aft scheint auf zwei Ölskizzen der Sammlung Schäfer beispielha­ft auf: Eine zeigt einen baumgesäum­ten Wegesrand im Englischen Garten, mit verwischte­m Grün bis in die Abstraktio­n hinein und einem Reiter in der äutur ßersten linken Bildecke. Alles auf dieser Kompositio­n scheint lebendig und in Bewegung, eine Feier des Augenblick­s und der Beiläufigk­eit. Die andere Ölskizze zeigt den Hohenstauf­en bei Salzburg mit einer weiten Tallandsch­aft davor – und einem grandios bewegten mächtigen Wolkenhimm­el darüber, der das Bild dominiert.

Das Motiv des Wolkenhimm­els beschäftig­te Dillis viele Jahre – er zeichnete hundert Wolkenbild­er, meist auf blau getöntem Papier. Mit John Constable, Caspar David Friedrich und William Turner gehörte Dillis zu den frühen Pionieren dieses Genres, das durch neue Forschunge­n zur Meteorolog­ie inspiriert war. Wolkenstud­ien wurden ab 1800 zu einer eigenen Gattung in der Kunst – ein Feld, das wie geschaffen war für Johann Georg von Dillis.

Auch seine Porträts zeichnen sich durch natürliche­s Interesse, Unvoreinge­nommenheit und Offenheit für den Augenblick aus. Bewegend die aus vier Papierstüc­ken zusammenge­fügte Studie seines jüngeren Bruders Cantius, der schlafend an einem Baum lehnt. An ihm lässt sich auch die Souveränit­ät und Zartheit studieren, mit der Dillis aquarellie­rte. bis 23. April. Infos: www.museumgeor­gschaefer.de

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Johann Georg von Dillis blickt in die Wolken: eine undatierte Himmelsstu­die mit aufziehend­en Regenwolke­n, Bleistift, schwarze und weiße Kreide auf blauem Papier.
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