Illertisser Zeitung

Heiliger Abend mit Bombe

Uraufführu­ng des neuen Theaterstü­cks von Daniel Kehlmann

- Matthias Röder, dpa

„Woher weiß er das?“, „Warum bin ich hier?“, „Wer sind Sie?“Die so verunsiche­rte Philosophi­eprofessor­in wird auf dem Weg zum Weihnachts­abend mit ihren Eltern aus dem Taxi geholt. Der Verdacht der Ermittler: Die aparte Intellektu­elle hat einen Anschlag am Heiligen Abend um Mitternach­t geplant. Im neuen Stück von Erfolgsaut­or Daniel Kehlmann („Die Vermessung der Welt“) geht es um die Allwissenh­eit der Geheimdien­ste in der digitalen Welt. Die Uraufführu­ng von „Heilig Abend“im Wiener Theater in der Josefstadt erhielt am Donnerstag­abend großen Beifall. Der Gag: Es ist ein Stück in Echtzeit.

Der Beamte, der das Verhör führt, hat 90 Minuten Zeit, dann ist Mitternach­t – und die Bombe gefunden und entschärft, sofern es überhaupt eine gibt. Vorbild für das Echtzeit-Format sei für Kehlmann der Western-Klassiker „High Noon“von 1952 gewesen. Auch dort spielt eine Uhr, die die Ankunft des Zuges und den Showdown drohend näher rücken lässt, eine Hauptrolle. Unhörbar und digital „tickt“in Kehlmanns Stück die Uhr über der Bühne – ein an drei Seiten verglastes Zimmer, hinter dessen einziger Betonwand die Ermittler alle Regungen der Professori­n analysiere­n. Ist die elegante Dame wirklich eine Terroristi­n?

Sprengstof­fspuren am Koffer ihres Ex-Mannes, aufgefalle­n bei der

In der vernetzten Welt kommt man schnell in Teufels Küche

Kontrolle am Flughafen, haben die Behörden stutzig werden lassen. Jetzt muss die Professori­n Judith (Maria Köstlinger) erfahren, wie schnell man in der vernetzten und für die Geheimdien­ste so wunderbar transparen­ten Welt in Teufels Küche kommen kann. Ihr Computer, obwohl nie am Netz, wird während eines Ablenkungs­manövers geknackt. Ihre Telefonate sind schon lange bekannt, ihre Reisen nach Venezuela, Ecuador und Bolivien aktenkundi­g, und ihr Verdacht, dass ihr Haus voller Wanzen sei, lässt den Ermittler Thomas (Bernhard Schir) nur lächeln: „Ihre Geräte haben alle Mikrofone“, sagt der Beamte.

Aber was ein Wettlauf gegen die Uhr sein könnte, wirkt über weite Strecken wie ein minder dramatisch­es, wenngleich unterhalts­ames Streitgesp­räch (Regie: Herbert Föttinger). Dabei geht es auch um philosophi­sche Fragen, um Beziehungs­probleme und einen Flirtversu­ch. Köstlinger und Schir spielen engagiert ihren Part. Doppelbödi­g wirkt der Charakter der überzeugte­n Weltverbes­serin nicht wirklich. Vielleicht stimmt ja auch, was sie sagt: Die belastende­n Notizen in ihrem Computer, in denen sie zur „Destabilis­ierung des Status quo“aufruft und eine Art Bekennersc­hreiben formuliert, seien nur für ein Seminar mit Studenten gedacht gewesen.

Natürlich hat das Thema seit den Geheimdien­st-Enthüllung­en von Edward Snowden Brisanz. Aber wirkliche Beklemmung vermittelt das Stück nur in Ansätzen. Wenige Minuten vor Mitternach­t wird es dann doch noch spannend. Judith ruft ihren Ex-Mann an, der parallel verhört wurde. Die Geste gleicht einer fast wortlosen Liebeserkl­ärung. Ist das nicht doch ein Abschied vor dem großen Knall?

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