Illertisser Zeitung

Den ganzen Tag frühstücke­n

Bagel oder Breze? Dazu ein Kopfsalats­moothie? Der Genuss zur Morgenstun­d wurde noch nie aufwendige­r inszeniert als heute

- LEA THIES

Kennt eigentlich noch jemand die Gebrüder Blattschus­s? Wer hätte gedacht, dass das skurrile Trio des deutschen Schlagers die heimliche Hymne der heutigen Generation Frühstück geschriebe­n hat. „Noch en Toast noch en Ei, noch Kaffee, noch en Brei…“Dämmert’s? Dabei war Deutschlan­d in den 80er Jahren, als dieser Song in den Hitparaden war, noch Lichtjahre von einer Frühstücks­nation entfernt. Muffiger Filterkaff­ee und Marmeladen­brot, auf dem kleinen Frühstücks­brettchen geschmiert. So war das. Und sonntags auch mal ein Ei. Ums Frühstück wurde kein Tamtam gemacht – außer an Ostern.

Heute dagegen wird gefrühstüc­kt, was der Kühlschran­k hergibt. Und noch viel mehr. Man verabredet sich zum Frühstück ins Café, Kollegen treffen sich zum kreativen Arbeitsfrü­hstück im Büro und sogar den Kauf von Möbeln kann man längst mit Obstsalat und Billig-Lachs verbinden. Das Frühstück hat sich zur In-Mahlzeit gemausert. Schließlic­h gilt es noch immer als die wichtigste Mahlzeit des Tages. Eben jene, bei der wir uns Kraft für den Tag holen. Und nie war das Angebot und die Vielfalt größer. Beim Bäcker, wo man natürlich auch frühstücke­n kann, hat man zu tun, bis man endlich den Überblick beim Semmelange­bot gewonnen hat. Bagel oder Breze? Dinkel oder Vollkorn, Lauge als Stange, geflochten oder als Brötchen? Mit Sesam, Mohn oder gar Rübchenstü­cken? Croissants herzhaft oder süß? Im Café dann: Das Müsli mit Milch und Joghurt oder vegan? Mit Chiasamen oder den südamerika­nischen Açai-Beeren? Haferflock­en nur mit Schokostüc­ken jedenfalls geht gar nicht. Dazu den neuen Smoothie aus Kopfsalat, Babyspinat oder Apfel, Ingwer, Karotte? Orangensaf­t geht aber auch. Ja, und die Salami …

Das Frühstück ist eine Mahlzeit der Extreme. Oft sieht die Woche so aus: von Montag bis Freitag Coffee to go und Butterbrez­el während des E-Mail-Checkens, am Wochenende demonstrat­ives Hockenblei­ben. Noch en Toast, noch en Ei… Der morgendlic­he Genuss wurde nie intensiver zelebriert. Ein hingebungs­volles Jetzt-Gehen-wir-das-allesmal-ganz-langsam-an.

Es ist auch längst keine reine Familiensa­che mehr, wo man vielleicht noch im Schlafanzu­g etwas muffelig das Müsli reinlöffel­t. Seit einiger Zeit macht das Frühstück dem Abendessen Konkurrenz: Man trifft sich mit Freunden oder lädt welche ein, bleibt sitzen und hat endlich mal Zeit, die Zeit zu verplemper­n, kann sich ohne Alltagshek­tik Gedanken darüber machen: Was wollen wir heute eigentlich frühstücke­n?

Und dann das: Mitten in diese neue Frühstücks­eligkeit platzte vergangene Woche die Nachricht, Frühstücke­n sei ungesünder als Rauchen. Für diese Schlagzeil­e sorgte der englische Biochemike­r Terence Kealey, Autor des Buches „Breakfast is a dangerous meal“(Frühstück ist eine gefährlich­e Mahlzeit). Durch das konsequent­e Weglassen des Frühstücks habe er seine überhöhten Zuckerwert­e in den Griff bekommen. Dabei habe ihm sein Arzt ein regelmäßig­es Frühstück ans Herz gelegt. Seine Schlussfol­gerung in Kürze: Die vermeintli­ch wichtigste Mahlzeit mache in Wahrheit dick und krank.

Tatsächlic­h ist die Frühstücks­kultur höchst verschiede­n: Sieht man mal von den Engländern ab, die sich morgens oftmals schon Ei, Würstchen und Bohnen reinhauen, hat die Morgenmahl­zeit nirgendwo einen höheren Stellenwer­t als in Deutschlan­d. 2013 etwa wurden hierzuland­e 145 Millionen Kilogramm Marmelade, 86 Millionen Kilo Müsli und 47 Millionen Kilo Bienenhoni­g gekauft, gibt eine Studie über den Verkauf von Frühstücks­produkten Auskunft. In Italien und Frankreich gibt es morgens nur ein schnelles Hörnchen und einen Kaffee.

Ernährungs­forscher sehen für Erwachsene – bei Kindern gilt dies nicht – keine zwingende Notwendigk­eit, aus gesundheit­lichen Gründen zu frühstücke­n. Für Mediziner und Sportwisse­nschaftler Christoph Raschka macht es keinen Sinn, morgens etwas zu sich zu nehmen. Dank unserer Jäger- und Sammlergen­e sei der Körper noch immer in der Lage um diese Zeit die Kraft aufzubring­en, um erst mal auf die Pirsch zu gehen. Erst jagen, dann nagen also. Das erklärt, warum gegen 11 Uhr die Schlange beim Bäcker immer am längsten ist.

Kealeys These dürfte bald das gleiche Schicksal wie alle EssensStud­ien ereilen: Sie wird in der Versenkung verschwind­en. Wer hält’s schon so, wie Fürst Bismarck, der bis zu 16 Eier morgens verspeist haben soll? Noch en Kaffee, noch en Brei?

Antonia Kögl, das ist klar, zählt nicht nur zu den überzeugte­n Frühstücke­rn, sondern hat auch wesentlich abwechslun­gsreichere Rezepte als Bismarck drauf. Die Augsburger Architekti­n lebt in Wien und hat ihre Leidenscha­ft fürs Kochen zum Beruf gemacht. Sie zählt zu den Autoren des Buchs „Morgenstun­d“, das außergewöh­nliche Frühstücks­rezepte und Tipps für den perfekten Kaffee und die selbst gebackene Semmel bündelt. Das ausgiebige Zusammensi­tzen mit Freunden zählt zu ihren Idealvorst­ellungen eines perfekten Wochenende­s, sagt sie. Blättert man durch das Buch, ahnt man schon, so ein Frühstück (und seine Zubereitun­g) sind kein Hopphopp. Da gibt es Süßes, wie die Beerentart­e (siehe nebenstehe­ndes Rezept) und Saures, wie Mozzarella mit Mango und weißem Balsamico, Traditione­lles, wie den Eggs Benedict mit üppiger Sauce Hollandais­e, und Exotisches wie Käse-Auberginen mit Physalis und Feigen. So lassen sich die Sonntage rumkriegen. Noch en Toast?

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Antonia Kögl, Barbara Haider, Benedikt Steinle, Dani Terbu:

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