Hundert Jahre Feindschaft
Kann Kunst die Gesellschaft verändern? Die israelische Autorin Dorit Rabinyan hat ein Buch geschrieben, das Israel spaltet. Was sie jetzt fühlt
Eine Liebesgeschichte auf dem Index: Die israelische Erziehungsministerin Naftali Bennett ließ Dorit Rabinyans Roman „Wir sehen uns am Meer“von der Lektüreliste für die Oberstufe streichen. Ein Skandal in den Augen zahlreicher israelischer Schriftsteller wie Amos Oz und Meir Shalev. Die Intellektuellen setzten sich nun für Dorit Rabinyan und ihr Buch über die Beziehung zwischen einer Israelin und einem Palästinenser ein. Die Kontroverse machte den Roman zu einem internationalen Bestseller, er erscheint in 19 Ländern und wurde mit dem renommierten BernsteinPreis ausgezeichnet. Die 43-jährige Autorin landete bereits vor dem nun so umstrittenen Werk zwei Bestseller und wurde mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet. Rabinyan wurde als Tochter einer iranisch-jüdischen Familie in Israel geboren und lebt in Tel Aviv.
Ihr neuer Roman hat kontroverse Debatten ausgelöst – war das Ihre Absicht?
Auf keinen Fall! Nicht einmal in meinen wildesten Träumen hätte ich mir vorstellen können, dass mein Buch so eine Wirkung haben könnte. Wenn ich schreibe, findet das in einem sehr persönlichen Rahmen statt, in einer Sphäre zwischen Verstand und Unterbewusstsein. Dabei entsteht eine Art dokumentiertes Tagträumen. Hätte ich bewusst provozieren wollen oder beim Schreiben an die Folgen des Romans gedacht, wäre diese Geschichte nicht entstanden. Ich hätte vielleicht sogar eine Schreiblähmung bekommen.
Aber Sie haben bewusst ein brisantes Thema gewählt: die Liebe zwischen Liat und Chilmi, einer Israelin und einem Palästinenser.
Ja. Aber nicht, weil es brisant ist, sondern weil der israelischpalästinensische Konflikt einen äußerst wichtigen Aspekt unseres Lebens darstellt. Davon abgesehen benötigt Literatur natürlich grundsätzlich, wie jede künstlerische Arbeit an einem Drama, ein kontroverses Dilemma. Und das steckt definitiv in der Liebesbeziehung, von der ich erzähle.
Haben auch persönliche Erfahrungen zu Ihrer Geschichte geführt?
Nicht direkt. Zur Figur des Arabers Chilmi hat mich allerdings Hasan Hourani inspiriert, ein palästinensischer Künstler, den ich in New York kennenlernte. Und bei jedem meiner Romane war auch diesmal wieder mein Antrieb, meine Selbstwahrnehmung zu untersuchen und mein Bild von Israel zu hinterfragen.
Fühlen Sie sich eigentlich als Patriotin?
Als eine Patriotin des israelischen Staates, ja. Ich kämpfe sowohl für seine demokratischen Werte als auch für seine jüdische Identität. Trotzdem habe ich Mitgefühl für die Palästinenser; aus Liebe und aus einer Sorge für meine eigene Gemeinschaft.
Ich glaube, dass man sich um das Wohlergehen seiner Nachbarn kümmern sollte, und darum, dass sie ihr eigenes Leben genießen können. Das eigene Zuhause kann doch niemals sicher sein, wenn aus der Wohnung nebenan Rauch kommt.
Die israelische Erziehungsministerin Naftali Bennett hält Sie aber keineswegs für eine Patriotin und strich Ihren Roman von der Leseliste für die Oberstufe. Wie konnte das passieren?
Diese Art von Politikern sind von Macht getrieben, und deswegen sind sie zu Populismus und allen möglichen anderen gefährlichen Schritten bereit. Sie missbrauchen unsere Demokratie wie nie zuvor, und sie tun dies für ihre eigenen egomanischen Ziele. Dabei befinden sie sich in guter Gesellschaft, denn das sind die bekannten großartigen Methoden unseres Premiers Benjamin Netanjahu. Er ist hauptverantwortlich für den Machtmissbrauch unserer politischen Führung.
Sie könnten ihm in gewisser Weise dankbar sein – die Diskussionen um Ihren Roman haben die Verkaufszahlen massiv erhöht.
Nun ja, man sagt ja, dass die besten Wünsche manchmal verhüllt daherkommen. Die Verbannung meines Buches hat tatsächlich sehr verkaufsfördernd gewirkt, und dafür bin ich natürlich dankbar. Gleichzeitig hat die israelische Demokratie aber schweren Schaden genommen: