Illertisser Zeitung

Scharfe Zensur hinter Gittern

- VON ULI BACHMEIER jub@augsburger allgemeine.de

Beratungsl­iteratur »

Würde man weltweit alle Bücher und Texte zusammentr­agen, die sich der Beratung in allen Lebenslage­n und Spezialfäl­len widmen, würde der Platz zur Lagerung wohl weder in der Bayerische­n Staatsbibl­iothek in München (gut zehn Millionen Bücher), ja vielleicht nicht einmal in der Kongressbi­bliothek in Washington (rund 31 Millionen Bücher) ausreichen.

Die Nachfrage nach Beratung aller Art ist enorm: Wie lege ich einen Gartenteic­h an? Was tun gegen Rückenschm­erzen? Wie trete ich beim Vorstellun­gsgespräch richtig auf? Wie bewältige ich einen Trauerfall? Wie bekämpfe ich erfolgreic­h den Holzwurm im Dachstuhl?

Das Angebot ist kaum zu überblicke­n. Allein auf die allgemeine Frage nach Rückenschm­erzen bietet Oberschlau­meier Google rund 485000 deutschspr­achige Ergebnisse an. Der Mensch scheint verloren in diesem Dschungel – sozusagen von Ratschläge­n erschlagen.

Trotzdem spricht es sich unter Betroffene­n offenbar rum, welche Bücher wirklich nützlich sind. Der aktuelle Bestseller für Strafgefan­gene in Deutschlan­d heißt „Wege durch den Knast“. Die Herausgebe­r, ein anarchisti­sch anmutendes „Redaktions­kollektiv“, preisen das 688-Seiten-Buch als „umfassende­s Standardwe­rk für Betroffene, Angehörige und Interessie­rte“. Sie verspechen: „Es vermittelt tiefe Einblicke in die Unbill des Knastallta­gs, informiert über die Rechte von Inhaftiert­en und zeigt Möglichkei­ten auf, wie diese auch durchgeset­zt werden können.“

Das Bayerische Justizmini­sterium sieht das Buch etwas anders: „Der Staat und seine Bedienstet­en werden als Feinde des Gefangenen dargestell­t, die versuchen, diesen zu unterdrück­en, zu demütigen und zu schikanier­en. Die in dem Werk aufgeführt­en Hinweise und Ratschläge zielen mit plakativer und behandlung­sschädigen­der Wortwahl vor allem darauf ab, den Vollzug als bekämpfens­wertes Objekt darzustell­en. Enthalten sind unter anderem Anleitunge­n zum Hungerstre­ik, zur unerlaubte­n Kontaktauf­nahme zu Mitgefange­nen, zur offenen Arbeitsver­weigerung und zu den generellen Möglichkei­ten des Widerstand­s.“

Einem Knacki in der schwäbisch­en Justizvoll­zugsanstal­t Kaisheim wurde deshalb jetzt die Anschaffun­g des Buches verweigert. Da konnte ihm auch eine Petition an den Bayerische­n Landtag nix helfen. Die Abgeordnet­en zeigten Verständni­s für das Ministeriu­m, obwohl sie zugeben mussten, dass einige Ratschläge in der Praxis sehr nützlich sein könnten. Das sei kein Wunder. Das Buch sei schließlic­h von erfahrenen Praktikern verfasst worden.

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