Illertisser Zeitung

Alle gegen einen

Arbeitsaus­fälle und Leistungse­inbrüche sind nicht die einzige mögliche Folge von Mobbing. Manche Betroffene werden depressiv und bekommen massive gesundheit­liche Probleme

- Interview: Sibylle Hübner-Schroll

Es ist ein eklatantes Risiko für Gesundheit und Wohlbefind­en: Mobbing am Arbeitspla­tz. Wie kommt es dazu, was kann man dagegen tun? Ein Gespräch.

Nimmt das Problem Mobbing Ihrem Gefühl nach zu?

Man hat zumindest den Eindruck, dass massive Konflikte am Arbeitspla­tz häufiger werden. Mobbing hat ja eine enge Definition: Es geht dabei um auf eine Person gerichtete unfaire und negative Handlungen über einen längeren Zeitraum, also mit gewisser Kontinuitä­t. Ob diese Form zunimmt, ist schwer zu sagen. Aber wenn man Mobbing und andere kränkende, eskalieren­de Konflikte zusammenni­mmt, haben wir aufgrund unserer Beratungen und betrieblic­hen Projekte den Eindruck, dass die Zahlen steigen. Wir bekommen mehr Anfragen von Betrieben, die feststelle­n, dass Konflikte aus dem Ruder laufen. Unsere Telefonber­atung für Betroffene, die es zweimal wöchentlic­h gibt, können wir im Moment nicht ausweiten. Insgesamt, Telefon- und E-MailAnfrag­en zusammenge­nommen, haben wir etwa 1000 Kontakte pro Jahr.

Was ist das Charakteri­stische am Mobbing? Sieht jeder Fall anders aus?

Ja, jeder Fall ist anders, aber von der Definition her geht es, wie gesagt, um unfaire, negative Handlungen gegen eine Person über einen längeren Zeitraum. Darum herum gibt es ein breites Dunstfeld, wo sich Leute gemobbt fühlen, Konflikte eskalieren, Menschen gekränkt werden. Der „Klassiker“in den letzten Jahren ist der Konflikt zwischen einem neuen, jungen Vorgesetzt­en und einem altgedient­en Mitarbeite­r. Dieser Konflikt eskaliert oft aufgrund unterschie­dlicher Erwartunge­n: Der Vorgesetzt­e hat spezifisch­e, hohe Erwartunge­n an den Mitarbeite­r, die der Mitarbeite­r nicht leisten kann oder will. Häufig ist auch ein anderer Fall: Ein Mitarbeite­r kommt nach längerer Krankheit zurück an den Arbeitspla­tz, wo er vom Vorgesetzt­en hört, dass man sich Mitarbeite­r, die so lange krank seien, nicht mehr leisten könne, und man versucht, ihn rauszuekel­n.

Was macht Mobbing mit den davon Betroffene­n, speziell mit ihrer Gesundheit?

Das ist relativ gut erforscht und zeigt sich auch in der Beratungsp­raxis. Anfangs dauert es ein bisschen, bis der Betroffene merkt, was läuft, es zu klären versucht und merkt, dass es nicht geht. Er ist verunsiche­rt, fängt an zu grübeln und genauer zu beobachten, was pas- siert. Es kommt zu Angst, Unsicherhe­it und schließlic­h auch körperlich­en Symptomen wie Magengrumm­eln, Kloß im Hals oder Ähnlichem. Bei anhaltende­m Mobbing sind Krankheite­n und damit einhergehe­nde Arbeitsunf­ähigkeit die Folge. Konkrete gesundheit­liche Probleme sind dann zum Beispiel massive Schlafstör­ungen, Konzentrat­ionsstörun­gen, Kopfschmer­zen, psychische Probleme sowie Erkrankung­en im Magen-Darm-Bereich oder am Herz-Kreislauf-System. Im Grunde handelt es sich dabei um typische Reaktionen auf eine massive und anhaltende Stresssitu­ation.

Und was macht Mobbing speziell mit der Psyche?

Es zermürbt! Irgendwann entsteht das Gefühl, man kann machen, was man will, es ist ja doch immer alles falsch. Man entwickelt depressive Gefühle, wird energielos, teilweise auch aggressiv. Dass Betroffene starke depressive Phasen entwickeln, das erleben wir immer wieder. Da ist es ganz wichtig, in Bewegung zu kommen. Bewegung hilft gegen Trübsinn und Depression. Deshalb empfehlen wir den Leuten dringend, rauszugehe­n. Durch Mobbing werden Menschen aber auch konfus. Es gibt Untersuchu­ngen, dass starke Stresssitu­ationen eine Unkonzentr­iertheit bedingen, die wiederum zu einer erhöhten Unfallgefa­hr führt.

Das alles verursacht sicher nicht unerheblic­he Schäden, oder?

Ja, der Schaden entsteht auf verschiede­ne Weise. Bei dem von Mobbing Betroffene­n kommt es zu Arbeitsaus­fällen und Leistungse­inbrüchen. Die Fehler, die ihm am Anfang unterstell­t werden, macht er irgendwann von alleine. Außerdem weitet sich die Konfliktsi­tuation im gesamten Team aus, in der Regel sind immer mehr daran beteiligt, sei es als Mobber oder solche, die vermitteln möchten. All das kostet Energie und Arbeitszei­t mit der Folge, dass das Team wesentlich weniger leistungsf­ähig ist. Es entsteht also ein großer Schaden, den man nicht immer genau beziffern kann.

Wann wendet sich ein Betroffene­r erfahrungs­gemäß an profession­elle Berater?

Es dauert meist zu lange, bis es dazu kommt. Viele wollen es erst mal nicht wahrhaben, was da passiert, und versuchen, sich klein zu machen, nicht aufzufalle­n, in der Hoffnung, dass das hilft. Diese Hoffnung trügt jedoch! Außerdem gibt es gerade bei Männern eine große Hemmschwel­le, profession­elle Beratung in Anspruch zu nehmen. Manche kommen schon nach drei Wochen, das ist rechtzeiti­g, denn dann ist der Konflikt noch nicht eskaliert. Bei anderen schwelt der Konflikt schon ein paar Monate, sie aber noch arbeitsfäh­ig – das ist auch noch rechtzeiti­g. Dann aber gibt es Personen, die schon seit einem halben Jahr arbeitsunf­ähig sind und sich melden, weil sie Ärger mit der Krankenkas­se haben. Da ist es schon ziemlich spät – oft sogar zu spät, um noch helfen zu können.

Wie können Sie denn bei MobbingFäl­len helfen?

Unsere Aufgabe ist der Blick von außen auf die Situation und eine Art Weichenste­llung. Da gibt es zunächst einmal die Frage: Was möchte die betroffene Person – will sie im Betrieb bleiben oder gehen? Und wenn sie bleiben will: Wo im Betrieb könnte sie Unterstütz­ung bekommen, was ist möglich und praktisch sinnvoll? Wer könnte Ansprechpa­rtner sein – und wie sollte man ihm das Problem vortragen? Wichtig ist, nicht von Mobbing zu sprechen, sondern zu dokumentie­ren, was ist wann passiert. Zu sagen, „ich werde gemobbt“, wäre schädlich. Denn das käme dem Vorwurf an den Arbeitgebe­r gleich, seine Fürsorgepf­licht verletzt zu haben. Besser ist es zu sagen, dass es nicht gut läuft und dass das Auswirkung­en auf die eigene Arbeit hat. Gemeinsam mit dem Betroffene­n zu überlegen, wie man den Konflikt lösen kann, das ist das, was wir als Berater leisten können.

Welche Art von Mobbing ist Ihnen als Berater schon zu Ohren gekommen?

Dass Arbeitserg­ebnisse manipulier­t oder Informatio­nen bewusst falsch oder unvollstän­dig weitergege­ben werden, ist ein häufiges Thema. Es gibt da schon sehr vieles – zum Beispiel auch, dass Ergebnisse von anderen abgegriffe­n und als eigene präsentier­t werden.

Unfaire Handlungen über längeren Zeitraum

Und wenn man einmal auf die Seite der Mobber wechselt: Was haben sie von ihrem Tun, weshalb werden sie überhaupt zu Mobbern?

Das Thema ist sehr vielschich­tig. Findet ein Team einen „Sündenbock“, der für Probleme verantwort­lich gemacht wird, so entlastet dies das Team enorm. Der Gewinn, den die Mobber haben: Sie wissen, wer schuld ist! Ein anderer Punkt ist, dass Mobber versuchen, ihr „Terrain“gegen Eindringli­nge zu verteidige­n. Da reicht es oft schon, dass jemand einmal zu viel gelobt wurde am Anfang – es kommt zu Neid und Angst und zum Versuch, diese Person „kleinzuhal­ten“. Bei Führungskr­äften schließlic­h gibt es das strategisc­he Mobbing, wenn eine Führungskr­aft unter Druck ist, weil das Team die Leistung nicht bringt oder Personal abgebaut werden muss. Häufig ist Mobbing durch Vorgesetzt­e auch Folge von Fehlern in der Personalfü­hrung.

Kann der Arbeitgebe­r schädliche­m Mobbing vorbeugen beziehungs­weise es verhindern?

Er sollte eine Kultur entwickeln, die davon ausgeht, dass Konflikte immer und überall entstehen und frühzeitig und sachgerech­t angegangen werden können. Außerdem sind manche Konflikte tatsächlic­h vorhersehb­ar, etwa, wenn jemand unvorberei­tet zur Führungskr­aft gemacht wird und für die Lösung von Konflikten nicht qualifizie­rt ist. Oder man denke an die Konstellat­ion junger dynamische­r Chef und ältere bedächtig arbeitende Kollegin: Bei solchen Situatiosi­nd nen, die vorhersehb­ar konfliktha­ft sind, kann man vorbeugend etwas tun und den Leuten zum Beispiel einen Coach zur Seite stellen. Zur Vorbeugung kann es aber auch sinnvoll sein, den Status quo zu erheben, etwa durch Befragunge­n oder Workshops mit den Beschäftig­ten. Dadurch erfährt die Unternehme­nsleitung, in welchen Bereichen es gut läuft und wo es Probleme gibt. Die kann man dann zielgerich­tet anpacken.

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Foto: imago Böse Botschafte­n: Mobbingakt­ionen richten sich über längere Zeit gegen eine Per son.

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