Illertisser Zeitung

Wo das Geld wichtiger ist als die Gesundheit

Eine Neuinszeni­erung von Henrik Ibsens „Volksfeind“fordert zur Diskussion heraus

- VON FRIEDRICH KRAFT

Ein Umweltskan­dal, Interessen­konflikt zwischen Wirtschaft und Gesundheit, Verführbar­keit der Menge, Ausgrenzun­g eines Kämpfers für die Wahrheit: Von solch erstaunlic­h aktuellen Themen handelt Henrik Ibsens Schauspiel „Ein Volksfeind“, uraufgefüh­rt 1883 in Oslo. Das Stadttheat­er Ingolstadt hat in seinem Großen Haus nun eine sehr eigenwilli­ge, künstleris­ch hochwertig­e Fassung des brisanten Stoffs herausgebr­acht.

In einer norwegisch­en Kleinstadt sorgt ein neues Kurbad für Aufschwung. Als der Leiter Dr. Stockmann feststelle­n muss, dass durch die Einleitung von Industriea­bwässern ein erhebliche­s Gesundheit­srisiko besteht, fordert er die Stilllegun­g des Bades bis zur Behebung der Fehler.

Doch das bringt ihm die Feindschaf­t der Bürgerscha­ft und der Lokalzeitu­ng ein, weil die notwendige­n Maßnahmen zu einer erhebliche­n Kostenbela­stung des städtische­n Haushalts und zum wirtschaft­lichen Niedergang führen würden. Der Arzt indessen bleibt unbeeindru­ckt, und so wendet sich auch sein eigener Bruder, der Stadtvorst­eher, gegen ihn. Stockmann erfährt Repressali­en, wird mit seiner Familie von der Bevölkerun­g bedroht.

Der 1974 geborene Regisseur Christoph Mehler, der vor einem Jahr in Augsburg mit Shakespear­es „Sommernach­tstraum“Aufsehen erregte, hat eine freie Kurzfassun­g des Volksfeind­s von 90 Minuten erstellt. Wesentlich­es Element seiner Inszenieru­ng ist ein Bürgerchor: Ein dutzend Statisten in Badebeklei­dung lungert auf Liegestühl­en, applaudier­t, plappert nach, kreischt, rumort.

Christoph Mehler legt alles auf eine alptraumha­fte, exzentrisc­he Groteske mit schwarzem Humor an. Er stilisiert die Hauptfigur­en zu verbogenen, armseligen Geschöpfen. Matthias Zajgier, der Dr. Stockmann, ist ein nervöser, egomanisch­er Wahrheitsf­anatiker. Stark ausgestell­t ist sein letztlich demokratie­feindliche­r Monolog über die Dummheit der „Majorität“. Seine schwangere Ehefrau (Sandra Schreiber) hat hysterisch­e Anfälle, der Stadtvorst­eher (Enrico Spohn) erinnert zappelnd und brüllend an Charlie Chaplins Adolf-Hitler-Karikatur.

Der böse Schwiegerv­ater wiederum (Felix Steinhardt), dessen Gerbereibe­trieb zur Umweltverg­iftung beigetrage­n hat, wird als krankes Ungeheuer im Rollstuhl vorgeführt, das markerschü­tternde Schreie ausstößt. Schauspiel­erisch gelingt dies alles perfekt.

Jennifer Hörrs Bühnenbild begnügt sich mit einem leicht gerundeten schwarzen Vorhang als Hintergrun­d. Nur ein Elchgeweih blickt auf die aufgeregte Szene herab. Spannungsv­olle Akzente setzt die Musik von David Rimsky-Korsakow.

Für die extravagan­te, zur Diskussion herausford­ernde Inszenieru­ng, die ohne platte Aktualisie­rung bedrückend­e Bezüge zur Gegenwart entfaltet, gab es bei der Premiere deutlichen Beifall. Nicht wenige Zuschauer aber reagierten zurückhalt­end, irritiert. Februar, 4., 10., 18. März 9., 10., 20.

 ?? Foto: Ludwig Ohla ?? Der Badearzt Dr. Stockmann (Matthias Zajgier) hält zu Recht den Finger in eine Wun de – und verrennt sich doch.
Foto: Ludwig Ohla Der Badearzt Dr. Stockmann (Matthias Zajgier) hält zu Recht den Finger in eine Wun de – und verrennt sich doch.

Newspapers in German

Newspapers from Germany