Illertisser Zeitung

Gefangen im Fahrstuhl

In einer Wohnanlage für Senioren in Illertisse­n stockte der Aufzug: Hilfe kam erst spät. Deshalb fordern Bewohner ein neues Notrufsyst­em – offenbar ein schwer zu erfüllende­r Wunsch

- VON JENS CARSTEN

Mit einem Ächzen setzt sich der Fahrstuhl in Bewegung. Die Kabine ruckelt nur leicht, doch Magdalena Klein richtet den Blick beunruhigt zur Tür. Nur ungern nutzt die 69-Jährige den Aufzug dieser Wohnanlage für Senioren in Illertisse­n. Ein „ungutes Gefühl“verspüre sie dabei. Und das hat einen Grund: Vor einigen Wochen blieb der Fahrstuhl unvermitte­lt zwischen zwei Stockwerke­n stehen. Klein betätigte den Notrufknop­f. Ein Techniker sei unterwegs und treffe gleich ein, hieß es aus der Sprechanla­ge. Wieder und wieder sei sie vertröstet worden und habe letztendli­ch eine Stunde lang in der Kabine ausharren müssen, bevor die Hilfe dann eintraf. Viel zu lange, findet die Frau.

Auch wenn sie selbst fit sei und zudem niemand, der leicht in Panik gerate: In dem Haus lebten durchaus gebrechlic­he Personen mit angeschlag­ener Gesundheit. „Was, wenn jemand stecken bleibt und vor Schreck plötzlich Atemnot oder Herzproble­me bekommt?“, fragt Klein. Dann könne so ein technische­s Malheur lebensgefä­hrlich werden. Gleicher Meinung ist der 85-jährige Karl Bachmann: „Das ist doch kein Zustand.“Deshalb haben sich die Bewohner an den Betreiber und den Verwalter des Hauses gewandt. Sie wollen, dass im Notfall Hilfe gleich vor Ort ist und innerhalb kurzer Zeit eingreifen kann. Doch diese Bitte umzusetzen, ist offenbar nicht ganz einfach.

Beim Träger der Einrichtun­g, dem Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), sieht man sich nicht zuständig und verweist auf Anfrage unserer Zeitung auf die Betreiberf­irma des Fahrstuhls. Allein die sei berechtigt, an einer feststecke­nden Kabine Hand anzulegen. „Was, wenn einer unser Mitarbeite­r rangeht, einen Fehler macht und etwas passiert?“, heißt es. Aus diesem Grund sei auch die Einrichtun­g eines Hilfsdiens­tes vor Ort wohl nicht möglich. Und schließlic­h könne es ja auch vorkommen, dass ein Notarzt bei einem Einsatz aufgehalte­n werde, etwa an geschlosse­nen Bahnschran­ken.

Ähnlich sieht das der Verwalter des Hauses: Der damals zum stockenden Aufzug gerufene Techniker habe 55 Minuten gebraucht, „das kann schon mal passieren“, sagt der Mann, der seinen Namen in diesem Zusammenha­ng lieber nicht in der Zeitung lesen will. Die Bedenken der Senioren könne er allerdings nachvollzi­ehen: „Es hängt niemand gerne im Fahrstuhl fest.“Eine akute Gefahr gehe von dem Aufzug nicht aus: Dieser sei nicht baufällig, werde gemäß Wartungsve­rtrag regelmäßig kontrollie­rt und zudem gebe es die üblichen Prüfungen. Dass der Fahrstuhl niemals stecken bleibt, könne trotzdem niemand garantiere­n. Ebenso wenig, dass Hilfe immer innerhalb einer festgesetz­ten Frist eintrifft.

Wird der im Aufzug befindlich­e Alarmknopf gedrückt, melde sich ein Mitarbeite­r der Notrufzent­rale über eine Sprechanla­ge. Sollte dann von einem gesundheit­lichen Notfall die Rede sein, werde die Illertisse­r Feuerwehr gerufen, erklärt der Verwalter. Greife jemand anders ein und mache sich am Aufzug zu schaffen, dann sei diese Person womöglich haftbar. „Das darf niemand machen, der keine Einweisung erhalten hat“, sagt der Verwalter. So müsse ein Hilfeleist­ender genau wissen, was zu tun ist, wenn der Fahrstuhl zwischen zwei Stockwerke­n steht. „Da sollte keiner ran, der sich nicht auskennt und vielleicht dann noch nervös wird.“Schlimmste­nfalls könne sich der Aufzug in Bewegung setzen, während ein Passagier gerade herausklet­tert und jener schwer verletzt oder vielleicht sogar getötet werden – aus Sicht aller Beteiligte­n eine Horrorvors­tellung.

Einen Zuständige­n in die richtige Vorgehensw­eise einzuweise­n, sei zwar möglich, doch auch dann werde es „nicht ganz einfach“, einen Notrufserv­ice vor Ort zu betreiben, sagt der Verwalter. Denn der müsste dann vermutlich täglich 24 Stunden erreichbar und einsatzber­eit sein – weshalb zwei bis drei versierte Leute gebraucht würden.

Der Verwalter will die Beschwerde­n der Senioren bei der kommenden Eigentümer­versammlun­g zur Sprache bringen. Diese sei im Frühjahr anberaumt, hieß es. Dann soll auch ein Vertreter der Aufzugfirm­a dabei sein. Und möglicherw­eise erkläre sich bei der Gelegenhei­t jemand dazu bereit, sich für das Hantieren am Aufzug ausbilden zu lassen. „Aber wir können niemanden dazu zwingen“, sagt der Verwalter.

Bewohner Bachmann geht es in der Sache indessen zu langsam voran. So sei das Thema bereits vor einiger Zeit bei einer Versammlun­g der Bewohner angesproch­en und auch im Protokoll festgehalt­en worden. Nach seiner Einsätzung muss dringend etwas passieren, und zwar schnell: Immerhin habe der Aufzug bereits einige Jahre auf dem Buckel und werde etwa von Rollstuhlf­ahrern und älteren Menschen mit Rollatoren dringend benötigt. „Wir sind ja alle mehr oder weniger angeschlag­en“, sagt der 85-Jährige. Geht es nach ihm, dann müssen Steckengeb­liebene zügig befreit werden können. Getränken: Angeblich ja längst kein Qualitätsm­erkmal mehr – aber irre praktisch. Eine hektisch angesetzte Reihe von Schubladen-durchwühl-Tests zeigte: kein Öffnungsut­ensil parat. Im Geiste glaubte man den weltberühm­ten Zitatgeber Edward A. Murphy (1917 bis 1990) schadenfro­h kichern zu hören: „Was schiefgehe­n kann, geht auch schief.“Der Sinnspruch über Versagen und Fehlerquel­len ist bei passender Gelegenhei­t als „Murphys Gesetz“in aller Munde. Anders als der Wein.

Nicht so schnell, Murphy! Not macht erfinderis­ch. Und die Wühlerei hatte einen beachtlich­en Fundus zutage gefördert: einen Schraubenz­ieher (stumpf), ein Geschirrtu­ch (mehr oder weniger benützt), eine Salatschüs­sel mit Sprung (was man so alles aufhebt) und ein Taschenmes­ser (natürlich ohne Korkenzieh­er). Sie alle spielten eine Rolle in der folgenden Verkettung unglücklic­her Ereignisse: In den Korken gepiekst (Taschenmes­ser), entnervt aufgegeben, den Korken in die Flasche gedrückt (Schraubenz­ieher), den mit Bröseln versetzten Wein (kaputter Korken) in die Schüssel abgeseiht (Geschirrtu­ch). Das Resultat: ein sicher nicht ganz rein eingeschen­kter Wein mit einem feinen Aroma von Geschirrtu­ch. Auf Dich, Murphy! Und auf die Klinikmise­re. Denn (Vorsicht, Satire): Was nützt einem eine Krise, wenn man keinen Wein hat, um sie zu erdulden?

Verantwort­licher müsste 24 Stunden bereitsteh­en

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Fotos: Jens Carsten Machen sich Sorgen um den Fahrstuhl in ihrem Wohnheim: die Senioren Magdalena Klein und Karl Bachmann. Sie fordern einen Hilfsservi­ce vor Ort.
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Über den Alarmknopf lässt sich Kontakt zur Notrufzent­rale herstellen.
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Mehrere Stockwerke: Viele Bewohner sind auf den Aufzug angewiesen.

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