Gefangen im Fahrstuhl
In einer Wohnanlage für Senioren in Illertissen stockte der Aufzug: Hilfe kam erst spät. Deshalb fordern Bewohner ein neues Notrufsystem – offenbar ein schwer zu erfüllender Wunsch
Mit einem Ächzen setzt sich der Fahrstuhl in Bewegung. Die Kabine ruckelt nur leicht, doch Magdalena Klein richtet den Blick beunruhigt zur Tür. Nur ungern nutzt die 69-Jährige den Aufzug dieser Wohnanlage für Senioren in Illertissen. Ein „ungutes Gefühl“verspüre sie dabei. Und das hat einen Grund: Vor einigen Wochen blieb der Fahrstuhl unvermittelt zwischen zwei Stockwerken stehen. Klein betätigte den Notrufknopf. Ein Techniker sei unterwegs und treffe gleich ein, hieß es aus der Sprechanlage. Wieder und wieder sei sie vertröstet worden und habe letztendlich eine Stunde lang in der Kabine ausharren müssen, bevor die Hilfe dann eintraf. Viel zu lange, findet die Frau.
Auch wenn sie selbst fit sei und zudem niemand, der leicht in Panik gerate: In dem Haus lebten durchaus gebrechliche Personen mit angeschlagener Gesundheit. „Was, wenn jemand stecken bleibt und vor Schreck plötzlich Atemnot oder Herzprobleme bekommt?“, fragt Klein. Dann könne so ein technisches Malheur lebensgefährlich werden. Gleicher Meinung ist der 85-jährige Karl Bachmann: „Das ist doch kein Zustand.“Deshalb haben sich die Bewohner an den Betreiber und den Verwalter des Hauses gewandt. Sie wollen, dass im Notfall Hilfe gleich vor Ort ist und innerhalb kurzer Zeit eingreifen kann. Doch diese Bitte umzusetzen, ist offenbar nicht ganz einfach.
Beim Träger der Einrichtung, dem Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), sieht man sich nicht zuständig und verweist auf Anfrage unserer Zeitung auf die Betreiberfirma des Fahrstuhls. Allein die sei berechtigt, an einer feststeckenden Kabine Hand anzulegen. „Was, wenn einer unser Mitarbeiter rangeht, einen Fehler macht und etwas passiert?“, heißt es. Aus diesem Grund sei auch die Einrichtung eines Hilfsdienstes vor Ort wohl nicht möglich. Und schließlich könne es ja auch vorkommen, dass ein Notarzt bei einem Einsatz aufgehalten werde, etwa an geschlossenen Bahnschranken.
Ähnlich sieht das der Verwalter des Hauses: Der damals zum stockenden Aufzug gerufene Techniker habe 55 Minuten gebraucht, „das kann schon mal passieren“, sagt der Mann, der seinen Namen in diesem Zusammenhang lieber nicht in der Zeitung lesen will. Die Bedenken der Senioren könne er allerdings nachvollziehen: „Es hängt niemand gerne im Fahrstuhl fest.“Eine akute Gefahr gehe von dem Aufzug nicht aus: Dieser sei nicht baufällig, werde gemäß Wartungsvertrag regelmäßig kontrolliert und zudem gebe es die üblichen Prüfungen. Dass der Fahrstuhl niemals stecken bleibt, könne trotzdem niemand garantieren. Ebenso wenig, dass Hilfe immer innerhalb einer festgesetzten Frist eintrifft.
Wird der im Aufzug befindliche Alarmknopf gedrückt, melde sich ein Mitarbeiter der Notrufzentrale über eine Sprechanlage. Sollte dann von einem gesundheitlichen Notfall die Rede sein, werde die Illertisser Feuerwehr gerufen, erklärt der Verwalter. Greife jemand anders ein und mache sich am Aufzug zu schaffen, dann sei diese Person womöglich haftbar. „Das darf niemand machen, der keine Einweisung erhalten hat“, sagt der Verwalter. So müsse ein Hilfeleistender genau wissen, was zu tun ist, wenn der Fahrstuhl zwischen zwei Stockwerken steht. „Da sollte keiner ran, der sich nicht auskennt und vielleicht dann noch nervös wird.“Schlimmstenfalls könne sich der Aufzug in Bewegung setzen, während ein Passagier gerade herausklettert und jener schwer verletzt oder vielleicht sogar getötet werden – aus Sicht aller Beteiligten eine Horrorvorstellung.
Einen Zuständigen in die richtige Vorgehensweise einzuweisen, sei zwar möglich, doch auch dann werde es „nicht ganz einfach“, einen Notrufservice vor Ort zu betreiben, sagt der Verwalter. Denn der müsste dann vermutlich täglich 24 Stunden erreichbar und einsatzbereit sein – weshalb zwei bis drei versierte Leute gebraucht würden.
Der Verwalter will die Beschwerden der Senioren bei der kommenden Eigentümerversammlung zur Sprache bringen. Diese sei im Frühjahr anberaumt, hieß es. Dann soll auch ein Vertreter der Aufzugfirma dabei sein. Und möglicherweise erkläre sich bei der Gelegenheit jemand dazu bereit, sich für das Hantieren am Aufzug ausbilden zu lassen. „Aber wir können niemanden dazu zwingen“, sagt der Verwalter.
Bewohner Bachmann geht es in der Sache indessen zu langsam voran. So sei das Thema bereits vor einiger Zeit bei einer Versammlung der Bewohner angesprochen und auch im Protokoll festgehalten worden. Nach seiner Einsätzung muss dringend etwas passieren, und zwar schnell: Immerhin habe der Aufzug bereits einige Jahre auf dem Buckel und werde etwa von Rollstuhlfahrern und älteren Menschen mit Rollatoren dringend benötigt. „Wir sind ja alle mehr oder weniger angeschlagen“, sagt der 85-Jährige. Geht es nach ihm, dann müssen Steckengebliebene zügig befreit werden können. Getränken: Angeblich ja längst kein Qualitätsmerkmal mehr – aber irre praktisch. Eine hektisch angesetzte Reihe von Schubladen-durchwühl-Tests zeigte: kein Öffnungsutensil parat. Im Geiste glaubte man den weltberühmten Zitatgeber Edward A. Murphy (1917 bis 1990) schadenfroh kichern zu hören: „Was schiefgehen kann, geht auch schief.“Der Sinnspruch über Versagen und Fehlerquellen ist bei passender Gelegenheit als „Murphys Gesetz“in aller Munde. Anders als der Wein.
Nicht so schnell, Murphy! Not macht erfinderisch. Und die Wühlerei hatte einen beachtlichen Fundus zutage gefördert: einen Schraubenzieher (stumpf), ein Geschirrtuch (mehr oder weniger benützt), eine Salatschüssel mit Sprung (was man so alles aufhebt) und ein Taschenmesser (natürlich ohne Korkenzieher). Sie alle spielten eine Rolle in der folgenden Verkettung unglücklicher Ereignisse: In den Korken gepiekst (Taschenmesser), entnervt aufgegeben, den Korken in die Flasche gedrückt (Schraubenzieher), den mit Bröseln versetzten Wein (kaputter Korken) in die Schüssel abgeseiht (Geschirrtuch). Das Resultat: ein sicher nicht ganz rein eingeschenkter Wein mit einem feinen Aroma von Geschirrtuch. Auf Dich, Murphy! Und auf die Klinikmisere. Denn (Vorsicht, Satire): Was nützt einem eine Krise, wenn man keinen Wein hat, um sie zu erdulden?
Verantwortlicher müsste 24 Stunden bereitstehen