Geht den Regierenden ein Licht auf?
Die Protestwelle erreicht einen neuen Höhepunkt. Der Ministerpräsident zieht die umstrittene Eilverordnung zurück. Wer muss jetzt Angst haben vor der Sonder-Staatsanwältin?
„In den Knast, nicht an die Macht!“, tönten am Sonntagabend die Sprechchöre über den Bukarester Siegesplatz. Unzählige Taschenlampen und Handys erleuchteten die Szenerie. Allein vor der Regierungszentrale in Rumäniens Hauptstadt versammelten sich fast 300 000 Menschen, um gegen eine Verordnung zu protestieren, die den Kampf gegen Korruption einschränken sollte. Mit Erfolg: Ministerpräsident Sorin Grindeanu gab bekannt, er wolle Rumänien „nicht spalten“, und zog das umstrittene Dekret zurück.
Doch die Proteste in Bukarest und anderen Städten gehen weiter. Zu wenig Vertrauen haben die Demonstranten in Grindeanu und seine von Korruptionsskandalen geschüttelten sozialdemokratischen Partei PSD. Die Menschen auf der Straße fordern seinen Rücktritt. Sie führen Marionetten führender Politiker in Gefängniskleidung mit sich.
Im Sitzungssaal des Palasts blieben auch am Sonntag die Lichter bis in die späten Stunden an. An einer Ecke wurde die rumänische Variante von „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“gesungen. Vor dem gegenüberliegenden Naturkundemuseum rief eine Gruppe von Studenten, man könne den Dinosauriern gerne beim Umzug helfen – ein Hinweis darauf, dass viele Rumänen die politische Klasse ihres Landes nicht mehr für zeitgemäß halten. Und während sich die Kabinettsmitglieder Sorgen darüber machen dürften, was überhaupt noch zu retten ist, die Demonstranten zum ersten Mal in den vergangenen Wochen einen Hauch von Erleichterung und viel Stolz.
Kaum einen Monat im Amt, gelang es der neuen sozialdemokratischen Regierung in Rumänien, einen Großteil der Gesellschaft gegen sich aufzubringen und die größten Proteste seit 1989 auszulösen. Das Kabinett hatte vor einer Woche eine Eilverordnung verabschiedet, die die Verfolgung von Korruption stark eingeschränkt und damit zahl- reichen Politikern, Beamten und Geschäftsleuten genutzt hätte. Diese Änderungen hätten die Verfolgung von Amtsmissbrauch oder Interessenkonflikten deutlich erschwert. Laufende Ermittlungen in mehr als 2500 Fällen hätten eingestellt werden müssen, und auch bereits rechtskräftig verurteilte Personen wären freigekommen.
Hauptprofiteurin der Änderungen wäre die Führungsriege der PSD, allen voran ihr Vorsitzender Liviu Dragnea, gewesen. Ihm werspüren fen die Staatsanwälte Anstiftung zu Amtsmissbrauch vor. Zahlreiche amtierende oder frühere Minister, Abgeordnete und Bürgermeister, die ihre Verwandten und Geschäftspartner begünstigt, Luxuswagen aus EU-Geldern gekauft oder Aufträge überteuert vergeben haben, wären ähnlich wie Dragnea ihre Probleme mit der Justiz losgeworden.
Doch obwohl die Regierung die Verordnung inzwischen aufgehoben hat, geben die Demonstranten nicht auf. Sie haben zu weiteren Kundgebungen in dieser Woche aufgerufen. Viele befürchten, dass die Politiker zu einem späteren Zeitpunkt erneut versuchen könnten, sich selbst durch weitere Gesetzesnovellen zu retten, etwa durch einen bereits dem Parlament vorgelegten Entwurf zur Begnadigung von Straftätern.
Chef-Staatsanwältin Laura Codruta Kövesi, Leiterin der gefürchteten Sonderabteilung für die Bekämpfung der großen Korruption (DNA), kritisierte aufs Schärfste die Pläne der Regierung. „Dragnea, Laura wartet auf dich“, wird auf der Straße besonders gerne gerufen.
Zu den entschlossenen Kritikern zählt auch Präsident Klaus Johannis, der von einem Trauertag für den rumänischen Rechtsstaat sprach und sich als Garant der Korruptionsbekämpfung und Held der Protestbewegung zu inszenieren versucht. Skeptische Beobachter sehen dies allerdings nicht ohne eine gewisse Ironie, denn der Staatschef selbst ist in eine Immobilienaffäre um ein gefälschtes Testament verwickelt. Er genießt aber laut Verfassung während seiner Amtszeit absolute Immunität.