Illertisser Zeitung

Geht den Regierende­n ein Licht auf?

Die Protestwel­le erreicht einen neuen Höhepunkt. Der Ministerpr­äsident zieht die umstritten­e Eilverordn­ung zurück. Wer muss jetzt Angst haben vor der Sonder-Staatsanwä­ltin?

- VON SILVIU MIHAI UND GEORGE POPESCU (n-ost)

„In den Knast, nicht an die Macht!“, tönten am Sonntagabe­nd die Sprechchör­e über den Bukarester Siegesplat­z. Unzählige Taschenlam­pen und Handys erleuchtet­en die Szenerie. Allein vor der Regierungs­zentrale in Rumäniens Hauptstadt versammelt­en sich fast 300 000 Menschen, um gegen eine Verordnung zu protestier­en, die den Kampf gegen Korruption einschränk­en sollte. Mit Erfolg: Ministerpr­äsident Sorin Grindeanu gab bekannt, er wolle Rumänien „nicht spalten“, und zog das umstritten­e Dekret zurück.

Doch die Proteste in Bukarest und anderen Städten gehen weiter. Zu wenig Vertrauen haben die Demonstran­ten in Grindeanu und seine von Korruption­sskandalen geschüttel­ten sozialdemo­kratischen Partei PSD. Die Menschen auf der Straße fordern seinen Rücktritt. Sie führen Marionette­n führender Politiker in Gefängnisk­leidung mit sich.

Im Sitzungssa­al des Palasts blieben auch am Sonntag die Lichter bis in die späten Stunden an. An einer Ecke wurde die rumänische Variante von „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“gesungen. Vor dem gegenüberl­iegenden Naturkunde­museum rief eine Gruppe von Studenten, man könne den Dinosaurie­rn gerne beim Umzug helfen – ein Hinweis darauf, dass viele Rumänen die politische Klasse ihres Landes nicht mehr für zeitgemäß halten. Und während sich die Kabinettsm­itglieder Sorgen darüber machen dürften, was überhaupt noch zu retten ist, die Demonstran­ten zum ersten Mal in den vergangene­n Wochen einen Hauch von Erleichter­ung und viel Stolz.

Kaum einen Monat im Amt, gelang es der neuen sozialdemo­kratischen Regierung in Rumänien, einen Großteil der Gesellscha­ft gegen sich aufzubring­en und die größten Proteste seit 1989 auszulösen. Das Kabinett hatte vor einer Woche eine Eilverordn­ung verabschie­det, die die Verfolgung von Korruption stark eingeschrä­nkt und damit zahl- reichen Politikern, Beamten und Geschäftsl­euten genutzt hätte. Diese Änderungen hätten die Verfolgung von Amtsmissbr­auch oder Interessen­konflikten deutlich erschwert. Laufende Ermittlung­en in mehr als 2500 Fällen hätten eingestell­t werden müssen, und auch bereits rechtskräf­tig verurteilt­e Personen wären freigekomm­en.

Hauptprofi­teurin der Änderungen wäre die Führungsri­ege der PSD, allen voran ihr Vorsitzend­er Liviu Dragnea, gewesen. Ihm werspüren fen die Staatsanwä­lte Anstiftung zu Amtsmissbr­auch vor. Zahlreiche amtierende oder frühere Minister, Abgeordnet­e und Bürgermeis­ter, die ihre Verwandten und Geschäftsp­artner begünstigt, Luxuswagen aus EU-Geldern gekauft oder Aufträge überteuert vergeben haben, wären ähnlich wie Dragnea ihre Probleme mit der Justiz losgeworde­n.

Doch obwohl die Regierung die Verordnung inzwischen aufgehoben hat, geben die Demonstran­ten nicht auf. Sie haben zu weiteren Kundgebung­en in dieser Woche aufgerufen. Viele befürchten, dass die Politiker zu einem späteren Zeitpunkt erneut versuchen könnten, sich selbst durch weitere Gesetzesno­vellen zu retten, etwa durch einen bereits dem Parlament vorgelegte­n Entwurf zur Begnadigun­g von Straftäter­n.

Chef-Staatsanwä­ltin Laura Codruta Kövesi, Leiterin der gefürchtet­en Sonderabte­ilung für die Bekämpfung der großen Korruption (DNA), kritisiert­e aufs Schärfste die Pläne der Regierung. „Dragnea, Laura wartet auf dich“, wird auf der Straße besonders gerne gerufen.

Zu den entschloss­enen Kritikern zählt auch Präsident Klaus Johannis, der von einem Trauertag für den rumänische­n Rechtsstaa­t sprach und sich als Garant der Korruption­sbekämpfun­g und Held der Protestbew­egung zu inszeniere­n versucht. Skeptische Beobachter sehen dies allerdings nicht ohne eine gewisse Ironie, denn der Staatschef selbst ist in eine Immobilien­affäre um ein gefälschte­s Testament verwickelt. Er genießt aber laut Verfassung während seiner Amtszeit absolute Immunität.

 ?? Foto: Andreea Alexandru, dpa ?? Leuchtende­r Protest: Mit Taschenlam­pen und Handys illuminier­ten die Demonstran­ten in Bukarest ihre Kundgebung.
Foto: Andreea Alexandru, dpa Leuchtende­r Protest: Mit Taschenlam­pen und Handys illuminier­ten die Demonstran­ten in Bukarest ihre Kundgebung.

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