Illertisser Zeitung

Afghanen: Abschiebun­g trotz Lehre?

Die IHK Schwaben droht der Staatsregi­erung mit Kündigung des Flüchtling­spakts. Jetzt zeichnet sich eine Lösung ab

- VON MICHAEL KERLER

In der schwäbisch­en Wirtschaft ist zuletzt der Unmut über die bayerische Staatsregi­erung gewachsen. Grund ist die Politik gegenüber Asylsuchen­den. Die schwäbisch­e Industrie- und Handelskam­mer droht sogar damit, den Ausbildung­spakt für Flüchtling­e zu kündigen, der im Herbst 2015 zwischen Freistaat, Wirtschaft und der Arbeitsage­ntur abgeschlos­sen worden war. „Seit Ende Januar liegt der Beschluss des IHK-Präsidiums vor, dass die Industrie- und Handelskam­mer Schwaben überlegen soll, den Integratio­nspakt zu kündigen“, sagt Hauptgesch­äftsführer Peter Saalfrank. Der viel beachtete Pakt sieht zum Beispiel Integratio­nskurse, Sprachförd­erung und eine Lehre für Flüchtling­e vor.

Grund des Streits ist die unsichere Situation von Flüchtling­en, die eine Lehre machen oder beginnen wollen. Derzeit absolviere­n in Schwaben 500 Flüchtling­e eine Ausbildung. Rund 200 nehmen an einem Projekt der IHK teil, in dem sie Berufsinte­grationskl­assen besuchen, individuel­l betreut werden und eine Lehre vermittelt bekommen. Bisher vertraute die Industrie auf die soge- „3 plus 2“-Regelung des Integratio­nsgesetzes. Demnach dürfen Flüchtling­e, die eine dreijährig­e Lehre absolviert haben, zwei weitere Jahre hierzuland­e arbeiten.

Vor allem junge Afghanen sind nach Darstellun­g der IHK aber plötzlich von Abschiebun­g bedroht oder könnten keine Arbeitserl­aubnis mehr erhalten, weil die Bundesregi­erung inzwischen Teile Afghanista­ns als sicher einstuft. Abschiebun­gen in das Land haben bekanntlic­h bereits stattgefun­den. „Wer keine Anerkennun­g durch das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e hat, ist hinsichtli­ch einer Abschiebun­g potentiell gefährdet“, befürchtet IHK-Hauptgesch­äftsführer Saalfrank.

Unmut in der Wirtschaft rief insbesonde­re eine Anweisung aus dem bayerische­n Innenminis­terium hervor, die Ende 2016 verschickt wurde. Demnach profitiere­n vom Ausbildung­spakt in erster Linie Flüchtling­e aus Ländern mit hoher Bleibepers­pektive – also Syrien, Irak, Iran, Somalia und Eritrea. Afghanista­n ist nicht darunter. Doch gerade Afghanen liegen der schwäbisch­en Industrie am Herzen: „Die jungen Afghanen sind für uns wichtig“, sagt Saalfrank. „Sie sind fleißig, motiviert, bescheiden und die Idealbeset­zung für Berufe, in denen Kräfte fehlen, zum Beispiel Gastronomi­e oder Logistik.“Die Reaktion der Betriebe sei positiv. Bisher sei das Projekt eine „Win-Win-Situation“.

Die IHK befürchtet, dass junge Afghanen, die am 1. September 2016 ihre Lehre begonnen hatten, abgeschobe­n werden könnten. Zunannte dem ist die Unsicherhe­it für jene groß, die zum 1. September 2017 eine Lehre beginnen könnten.

Jetzt zeichnet sich zumindest eine erste Annäherung ab, berichtet Oliver Heckemann, der bei der IHK Schwaben für die Ausbildung zuständig ist. Anscheinen­d rudert das Innenminis­terium zurück: Tatsächlic­h geht aus einem neuen Schreiben des Ministeriu­ms an die Ausländerb­ehörden vom 27. Januar hervor, dass es „rechtlich unzulässig“wäre, „Afghanen während des laufenden Asylverfah­rens grundsätzl­ich oder gar generell eine Beschäftig­ungserlaub­nis zu versagen“. Dies gelte auch für Entscheidu­ngen über die Aufnahme einer qualifizie­renden Berufsausb­ildung. Als Begründung heißt es im Schreiben, das unserer Zeitung vorliegt, dass die Schutzquot­e für Flüchtling­e aus Afghanista­n in den letzten Monaten auf 55,8 Prozent gestiegen sei.

Im bayerische­n Innenminis­terium wirkt man außerdem dem Eindruck entgegen, dass Afghanen aus einer bestehende­n Lehre heraus abgeschobe­n werden: „Die 3-plus2-Regel sieht eindeutig vor, dass Asylbewerb­er dann nicht abgeschobe­n werden, wenn sie eine Ausbildung begonnen haben“, sagte Ministeriu­mssprecher Oliver Platzer unserer Zeitung. Abgelehnte Asylbewerb­er können eine Duldung erhalten und ihre Lehre zu Ende machen plus zwei Jahre hier arbeiten. Sie dürfen aber nicht kriminell werden und müssen ihrer Mitwirkung­spflicht nachkommen. Ganz auf der Nase herumtanze­n lassen wollen sich die Behördenau­ch nicht.

 ?? Foto: Martin Schutt, dpa ?? In der Industrie gibt es die Befürchtun­g, dass die Betriebe Flüchtling­e ausbilden, die se dann aber abgeschobe­n werden.
Foto: Martin Schutt, dpa In der Industrie gibt es die Befürchtun­g, dass die Betriebe Flüchtling­e ausbilden, die se dann aber abgeschobe­n werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany