Afghanen: Abschiebung trotz Lehre?
Die IHK Schwaben droht der Staatsregierung mit Kündigung des Flüchtlingspakts. Jetzt zeichnet sich eine Lösung ab
In der schwäbischen Wirtschaft ist zuletzt der Unmut über die bayerische Staatsregierung gewachsen. Grund ist die Politik gegenüber Asylsuchenden. Die schwäbische Industrie- und Handelskammer droht sogar damit, den Ausbildungspakt für Flüchtlinge zu kündigen, der im Herbst 2015 zwischen Freistaat, Wirtschaft und der Arbeitsagentur abgeschlossen worden war. „Seit Ende Januar liegt der Beschluss des IHK-Präsidiums vor, dass die Industrie- und Handelskammer Schwaben überlegen soll, den Integrationspakt zu kündigen“, sagt Hauptgeschäftsführer Peter Saalfrank. Der viel beachtete Pakt sieht zum Beispiel Integrationskurse, Sprachförderung und eine Lehre für Flüchtlinge vor.
Grund des Streits ist die unsichere Situation von Flüchtlingen, die eine Lehre machen oder beginnen wollen. Derzeit absolvieren in Schwaben 500 Flüchtlinge eine Ausbildung. Rund 200 nehmen an einem Projekt der IHK teil, in dem sie Berufsintegrationsklassen besuchen, individuell betreut werden und eine Lehre vermittelt bekommen. Bisher vertraute die Industrie auf die soge- „3 plus 2“-Regelung des Integrationsgesetzes. Demnach dürfen Flüchtlinge, die eine dreijährige Lehre absolviert haben, zwei weitere Jahre hierzulande arbeiten.
Vor allem junge Afghanen sind nach Darstellung der IHK aber plötzlich von Abschiebung bedroht oder könnten keine Arbeitserlaubnis mehr erhalten, weil die Bundesregierung inzwischen Teile Afghanistans als sicher einstuft. Abschiebungen in das Land haben bekanntlich bereits stattgefunden. „Wer keine Anerkennung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat, ist hinsichtlich einer Abschiebung potentiell gefährdet“, befürchtet IHK-Hauptgeschäftsführer Saalfrank.
Unmut in der Wirtschaft rief insbesondere eine Anweisung aus dem bayerischen Innenministerium hervor, die Ende 2016 verschickt wurde. Demnach profitieren vom Ausbildungspakt in erster Linie Flüchtlinge aus Ländern mit hoher Bleibeperspektive – also Syrien, Irak, Iran, Somalia und Eritrea. Afghanistan ist nicht darunter. Doch gerade Afghanen liegen der schwäbischen Industrie am Herzen: „Die jungen Afghanen sind für uns wichtig“, sagt Saalfrank. „Sie sind fleißig, motiviert, bescheiden und die Idealbesetzung für Berufe, in denen Kräfte fehlen, zum Beispiel Gastronomie oder Logistik.“Die Reaktion der Betriebe sei positiv. Bisher sei das Projekt eine „Win-Win-Situation“.
Die IHK befürchtet, dass junge Afghanen, die am 1. September 2016 ihre Lehre begonnen hatten, abgeschoben werden könnten. Zunannte dem ist die Unsicherheit für jene groß, die zum 1. September 2017 eine Lehre beginnen könnten.
Jetzt zeichnet sich zumindest eine erste Annäherung ab, berichtet Oliver Heckemann, der bei der IHK Schwaben für die Ausbildung zuständig ist. Anscheinend rudert das Innenministerium zurück: Tatsächlich geht aus einem neuen Schreiben des Ministeriums an die Ausländerbehörden vom 27. Januar hervor, dass es „rechtlich unzulässig“wäre, „Afghanen während des laufenden Asylverfahrens grundsätzlich oder gar generell eine Beschäftigungserlaubnis zu versagen“. Dies gelte auch für Entscheidungen über die Aufnahme einer qualifizierenden Berufsausbildung. Als Begründung heißt es im Schreiben, das unserer Zeitung vorliegt, dass die Schutzquote für Flüchtlinge aus Afghanistan in den letzten Monaten auf 55,8 Prozent gestiegen sei.
Im bayerischen Innenministerium wirkt man außerdem dem Eindruck entgegen, dass Afghanen aus einer bestehenden Lehre heraus abgeschoben werden: „Die 3-plus2-Regel sieht eindeutig vor, dass Asylbewerber dann nicht abgeschoben werden, wenn sie eine Ausbildung begonnen haben“, sagte Ministeriumssprecher Oliver Platzer unserer Zeitung. Abgelehnte Asylbewerber können eine Duldung erhalten und ihre Lehre zu Ende machen plus zwei Jahre hier arbeiten. Sie dürfen aber nicht kriminell werden und müssen ihrer Mitwirkungspflicht nachkommen. Ganz auf der Nase herumtanzen lassen wollen sich die Behördenauch nicht.